Sie kennen wohl den Witz vom Falschfahrer auf der Autobahn, der am Radio die Warnung hört, auf seinem Teilstück komme ihm ein Geisterfahrer entgegen. „Was heisst hier ein Geisterfahrer“, meint er entnervt, „es sind Hunderte!“
Etwa so verhält es sich mit der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit. Ihr umtriebiger Geschäftsführer Matthias Stürmer wird nicht müde, jede öffentliche IT-Ausschreibung, die ein Softwareprodukt aus dem Hause Microsoft namentlich erwähnt, als Verstoss gegen die Beschaffungsrichtlinien der Welthandelsorganisation WTO, von Bund, Kantonen oder Gemeinden anzuprangern. Entsprechend dem Verbreitungs- und Standardisierungsgrad von Microsoft-Produkten für die Büroautomation gibt es viele solche Fälle – wohl Hunderte pro Jahr.
Nicht dass es Stürmer am Verständnis für den Sachverhalt fehlte. Als Mitarbeiter der global tätigen Wirtschaftsprüfungs- und –beratungsfirma Ernst & Young mit 152‘000 Mitarbeitenden in 140 Ländern ist er selber durchaus an einen Standard-IT-Arbeitsplatz und den Umgang mit standardisierten Software-Werkzeugen gewohnt. Auch Ernst & Young überlässt seinen Länderniederlassungen und Regionalvertretungen nicht die freie Wahl von Softwareprodukten bei der Ausrüstung ihrer Arbeitsplätze, sondern erlässt Vorgaben für Standardprodukte, die einheitlich paketiert und ausgerollt werden.
Wenn nicht fehlender Sachverstand, dann kann nur System hinter der fortgesetzten Geisterfahrt von Stürmer und seiner Parlamentariergruppe stecken. Mit der systematischen Diskreditierung des Marktführers Microsoft im Bereich der Bürosoftware soll dem Umstand entgegengewirkt werden, dass es Open-Source-Software für diese Anwendungen bisher kaum in die Standardproduktkataloge der Privatwirtschaft und öffentlichen Verwaltung geschafft hat.
Das jüngste Opfer dieser Masche ist der Bund-Journalist David Vonplon, dessen Artikel im heutigen „Bund“ eine Benachteiligung der Schweizer Software-Hersteller durch das EDA gegenüber den US-Software-Giganten beklagt. Er stösst damit ins selbe Horn wie eine Paneldiskussionsrunde zum Thema „Politik und IT in der Schweiz“ an der Berner Topsoft-Messe von letzter Woche. Auch dort wird Stürmer mit der Aussage zitiert, rund die Hälfte der öffentlichen IT-Beschaffungen verstiessen gegen WTO-Regeln und verbauten Schweizer Softwareentwicklern die Chancen überhaupt mitzubieten.
Diese Aussage ist falsch. Die Schweiz ist beschaffungsrechtlich keine Bananenrepublik, und unsere Beschaffungsrichtlinien werden nicht permanent in diesem Ausmass missachtet. Als Leiter einer erfolgreichen mittelständischen Schweizer Softwarefirma darf ich auch festhalten, dass uns diese Beschaffungspraxis keiner Chancen beraubt. Es wäre an der Zeit zu klären, welchen Standpunkt Stürmer bei solchen Gelegenheiten jeweils öffentlich vertritt: Denjenigen seines renommierten Arbeitgebers Ernst & Young, oder denjenigen der hiesigen Open-Source-Lobby, die zuweilen ihre Felle davon schwimmen sieht.
Bei den Mitgliedern der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit zeigt das Beispiel der SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher, wie hoch die öffentlichen Beschaffungsnormen im Falle von Eigeninteressen gehalten werden. Sie, die am 21. September 2011 in einem Vorstoss die Verletzung der WTO-Regeln durch das EDA beklagte, hatte nur gerade zwei Tage zuvor die nationalrätliche Fragestunde in einem Vorstoss zur Stärkung des Binnenmarktes genutzt mit der Frage an Bundesrat Schneider-Ammann: „Wäre es denn da nicht eine Möglichkeit, auch im Rahmen der Gatt/WTO-Regelungen für eine gewisse Flexibilität zu sorgen?“