Dienstag, 29. Dezember 2009

Im Bett der Fundamentalisten

„Natürlich ist es unmöglich, Atheist zu sein.“ Der Wissenschafter müsse glauben. Glauben zum Beispiel, dass seine Beobachtungen von heute auch für morgen gelten. Das sei der wunde Punkt des Beat M. Stadler, Berner Immunologe und Provokateur vom Dienst, der nichts so sehr hasse wie den Glauben, schreibt Thomas Zaugg in seinem Interview mit dem Titel „Der Anti-Christ“ in Die Zeit vom 27. August 2009. Seinen wissenschaftlichen Glauben dürfe er den Religiösen um Himmels willen nicht zugestehen. Man dürfe der Gegenseite nie einräumen, dass eine gewisse Form des Glaubens notwendig sei. Die Religiösen würden dann, fürchtet Stadler, nicht seinen kleinen Finger nehmen, sondern die ganze Hand. „Die Moderaten sind das Bett der Fundamentalisten“, sagt Stadler, und Religion sei heilbar. Sein Heilmittel ist der evolutionäre Humanismus, also der Versuch, wissenschaftliche Aufklärung und humanistische Ethik miteinander in Einklang zu bringen, unhaltbare Mythen zu entzaubern und die so gewonnenen Freiräume für die Etablierung neuer Spielregeln in der Ethik, der Politik, Ökonomie und Kultur zu nutzen, damit der Eigennutz des Einzelnen in humanere Bahnen gelenkt werden kann.

Als Moderate im Visier der Kritik stehen auch jene liberalen Christinnen und Christen, denen in den Augen von Stadler ganz offensichtlich das Gespür für die prinzipielle Unverträglichkeit von aufklärerischem und religiösem Denken fehlt. Im logisch inkonsistenten Amalgam von aufgeklärtem Denken und archaischem Glauben der „Weichfilter-Christen“ oder „Euro-Islamisten“ sieht er eine reale Gefahr, dass die fundamentalistischen Reintypen der Religionen, deren Bedrohungspotenziale aufgrund der so handzahmen religiösen „Light-Versionen“ gerne übersehen würden, mehr und mehr an Attraktivität gewinnen. Im Zuge eines weltweit erkennbaren Trends in Richtung eines konsequenteren Denkens und Handelns neigten offenkundig immer mehr Menschen dazu, entweder auf konsequentere Weise zu glauben oder aber sich aufgrund rationaler Argumente konsequenter gegen den Glauben zu entscheiden. Wer wirklich glauben will, so die Überzeugung der evolutionären Humanisten, wird sich kaum auf längere Sicht mit unverbindlichen Metaphern abspeisen lassen, und wer sich für eine humanere, aufgeklärtere Weltsicht engagiert, wird in Zukunft wohl eher das säkulare Original, nicht die halbgare religiöse Kopie bevorzugen.

Ist es Zufall, dass ich in diesen Tagen auf der Facebook-Pinnwand von Marc Jost, meines politischen Weggefährten, EVP-Grossrats, –Regierungsratskandidaten und Pastors des Evangelischen Gemeinschaftswerks Thun folgendes Zitat lese: „One hundred years from my day there will not be a Bible in the earth except one that is looked upon by an antiquarian curiosity seeker. (Voltaire 1694-1778)“? Marc stellt der durch Voltaire vertretenen Aufklärung ein weiteres Zitat des amerikanischen Religionswissenschafters Philip Jenkins („The Jesus Wars“) entgegen: „If you are the type of person who buys stocks and bonds, I'd buy Christianity. The price is very low... it has to go up.“ Dem schliesst Marc sein eigenes Glaubensbekenntnis an: “I believe in a post-secular Europe.“

Im Nachgang zur Volksabstimmung vom 29. November 2009 über die Minarettverbots-Initiative und in meiner persönlichen Aufarbeitung des konsternierenden Abstimmungsresultats haben mich Marc Josts Pinnwand-Einträge nicht mehr losgelassen. Sein Glaube an ein zukünftig postsäkulares Europa setzt ja eine weitgehende Säkularisierung unserer Gesellschaft voraus. In der formalen Trennung von Kirche und Staat und im greifbaren Relevanzverlust der Kirchen und Religionsgemeinschaften in den Bereichen Recht, Politik, öffentliche Wohlfahrt, Kultur, Erziehung und Wissenschaft ist eine solche Verweltlichung mindestens in Westeuropa tatsächlich erkennbar.

Dennoch wecken globale Veränderungen und die weithin sichtbaren Konflikte, die sich heute an religiösen Fragen entzünden, Zweifel am angeblichen Relevanzverlust der Religion. Nach Jürgen Habermas („Die Dialektik der Säkularisierung“, Blätter für deutsche und internationale Politik 4/2008) sind es vor allem drei, einander überlappende Phänomene, die sich zum Eindruck einer weltweiten „resurgence of religion“ verdichten – die missionarische Ausbreitung der grossen Weltregionen, deren fundamentalistische Zuspitzung und die politische Instrumentalisierung ihrer Gewaltpotenziale, etwa im Regime der Mullahs im Iran und in der Form des islamischen Terrorismus.

Die Auseinandersetzung mit der Abstimmungsfrage zum Minarettverbot drängt unseren christlichen Bürgerinnen und Bürgern die Begegnung mit einer konkurrierenden Glaubenspraxis auf und bringt ihnen das Phänomen einer öffentlich in Erscheinung tretenden Religion deutlicher zu Bewusstsein. In diesem Kontext scheinen mir die Betrachtungen der niederländischen Autorin Margriet de Moor (zitiert von Habermas) zur Befriedung einer konfessionell gespaltenen Gesellschaft am Ende der Reformation interessant: „Toleranz wird oft im selben Atemzug mit Respekt genannt, doch unserer Toleranz, die ihre Wurzeln im 16. und 17. Jahrhundert hat, liegt kein Respekt zugrunde, im Gegenteil. Wir haben die Religion des anderen gehasst, Katholiken und Calvinisten hatten keinen Funken Respekt vor den Anschauungen der anderen Seite, und unser achtzigjähriger Krieg war nicht nur ein Aufstand gegen Spanien, sondern auch ein blutiger Dschihad der orthodoxen Calvinisten gegen den Katholizismus.“

Nach Habermas heisst Toleranz, dass sich Gläubige, Andersgläubige und Ungläubige gegenseitig Überzeugungen, Praktiken und Lebensformen zugestehen, die sie selbst ablehnen. Dieses Zugeständnis muss sich auf eine gemeinsame Basis gegenseitiger Anerkennung stützen, auf der sich abstossende Widersprüche überbrücken lassen. Habermas zufolge darf diese Anerkennung nicht mit der Wertschätzung der fremden Kultur und Lebensart, der abgelehnten Überzeugungen und Praktiken verwechselt werden. Toleranz brauchen wir nur gegenüber Weltanschauungen zu üben, die wir für falsch halten, und gegenüber Lebensgewohnheiten, die wir nicht goutieren. Anerkennungsbasis ist nicht die Wertschätzung dieser oder jener Eigenschaften und Leistungen, sondern das Bewusstsein, einer Gemeinschaft gleichberechtigter Bürger anzugehören, in der einer dem anderen für seine politischen Äusserungen und Handlungen Rechenschaft schuldet.

Die Abstimmung vom 29. November 2009 über Minarette, in der es eigentlich um Moscheen ging, förderte ein anderes Toleranzverständnis zu Tage. Auch in meiner Partei, der CVP, gab und gibt es Stimmen, die fordern, wir dürften die Augen, die uns das Stimmvolk nun geöffnet habe, nicht länger „vor dem herrschenden Malaise“ des Islam in der Schweiz verschliessen. Wenn eine politische Partei in der Schweiz gefordert und berufen ist, sich diesem Abstimmungsergebnis zu stellen, es zu analysieren und aufzuarbeiten, dann die Christlichdemokratische Volkspartei, die bereits im April 2006 ein Grundsatzpapier zur Religionsfreiheit und Integration am Beispiel der Musliminnen und Muslime der Schweiz, und bereits im Juni 2007 einen Leitfaden zum Umgang mit muslimischen Sakralbauten verfasst hat. Beide Papiere sind zwischenzeitlich leider etwas in Vergessenheit geraten, offensichtlich zuweilen sogar im Parteipräsidium.

In der Deutungsfrage von „Religion“ im 21. Jahrhundert bzw. der Interpretationsfrage einer „postsäkularen Gesellschaft“ beruft sich auch meine Partei gerne auf das bekannte Diktum des deutschen Verfassungsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde, wonach der freiheitliche säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren kann. Damit sind Grundrechte, Menschenrechte und nicht zuletzt der Respekt der Menschenwürde gemeint – jene fragilen Rechtsgüter, die auch von der Zivilgesellschaft unterstützt und gefördert werden müssen. Die Kritik, mit diesem Postulat die ethische Kraft der Religion überzubetonen, konterte Böckenförde in einem Interview vom 23. September 2009 mit der deutschen Tageszeitung TAZ: „Diese Kritik übersieht den Kontext, in dem ich 1964 diesen Satz formuliert habe. Ich versuchte damals vor allem den Katholiken die Entstehung des säkularisierten, das heisst weltlichen, also nicht mehr religiösen Staates zu erklären und ihre Skepsis ihm gegenüber abzubauen. Das war also noch vor 1965, als am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils die katholische Kirche erstmals die Religionsfreiheit voll anerkannte. In diese Skepsis hinein forderte ich die Katholiken auf, diesen Staat zu akzeptieren und sich in ihn einzubringen, unter anderem mit dem Argument, dass der Staat auf ihre ethische Prägekraft angewiesen ist.“

Für den erforderlichen und anstehenden Diskurs zur Rolle von Religion in unserer Gesellschaft wünsche ich mir etwas von der Erneuerungskraft und Aufbruchstimmung eines Zweiten Vatikanischen Konzils. In diesem Diskurs haben auch die Beda Stadlers dieser Welt ihren Platz – mit ihrem kleinen Finger oder besser der ganzen Hand.

Freitag, 11. September 2009

Schadaugärtnerei: Nulllösung ist null Lösung

Ich nehme in Anspruch, dass es meine Fraktion war, die mit einer Erklärung im Thuner Stadtrat vor einem Jahr den Stein politisch ins Rollen brachte und damit eine nötige Redimensionierung des Überbauungsprojekts Schadaugärtnerei herbeiführen half. Dem überarbeiteten Projekt begegnen heute etliche Anwohner und an vorderster Front der Präsident des Dürrenast-Leists mit unverminderter Opposition. Wer allerdings die Nulllösung zum Programm erhebt, darf sich nicht wundern, dass er genau das erhält: null Lösung.

Thun will zu Recht eine Stadt von Rang in unserem Land sein. Der Anspruch auf Urbanität und das anhaltende Wachstum der Gemeinde gehen einher mit der Verantwortung für nachhaltige, verdichtete Siedlungsformen. Jeden Tag verbaut die Schweiz Kulturland im Umfang von zehn Fussballfeldern. Es geht nicht an, dass Thun sich krebsartig in unsere Agglomeration hineinfrisst und mehr Verkehr erzeugt, während zentral gelegene Entwicklungsgebiete brachliegen.

Eine der vordringlichsten Aufgaben unserer Zeit ist die schonende Raumplanung. Es gilt, der fortschreitenden Zersiedlung Einhalt zu gebieten und nicht nur Zeugen der Vergangenheit zu erhalten, sondern auch unverbautes Kulturland am Stadtrand.

Ich appelliere in diesem Sinn an die Opposition gegen das Überbauungsprojekt Schadaugärtnerei, ihre Eigeninteressen nicht dem Mythos Einfamilienhaus unterzuordnen. Die Verdichtung unserer städtischen Kerngebiete liegt im gemeinsamen übergeordneten Interesse.

Sonntag, 2. August 2009

Von Geld und Geist

Nicht bloss in Jeremias Gotthelfs Roman aus dem idyllischen Emmental schlägt ein erschreckender Vermögensverlust den Eheleuten Christen und Änneli auf die Gemüter und führt sie in Verbitterung und Entfremdung. Auch in der Realität der Schweiz von 2009 beherrscht die gewaltige Vernichtung von Vermögenswerten durch die weltweite Finanzmarktkrise die öffentliche Diskussion. Gotthelf setzt dem schnöden Mammon im Sinne einer pfingstlichen Dichtung den Geist entgegen – den Heiligen Geist im Verständnis der Bibel. Heute entspricht die vertiefte Sorge ums Geld zumindest dem Zeitgeist, wenn nicht gar der Frage der persönlichen Existenzsicherung, wo schmerzhafte Einkommensverluste zu verzeichnen sind und Arbeitsplatzverluste drohen.

Man würde meinen, eine derart intensive öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema Geld, Banken und ihrer Rolle für die Schweiz hätte zwangsläufig eine Schärfung des allgemeinen Verständnisses unseres Geldsystems zur Folge. Angesichts der bisher verbreiteten politischen Rezepte gegen die Krise scheint dem aber nicht so zu sein. Die Reformbestreben kratzen lediglich an der Oberfläche unserer Finanzwelt. Während die Abzockerdebatte noch nicht ganz abgeebbt ist, erklären die ersten Analysten die Talsohle der Konjunktur bereits als durchschritten, die ersten Finanzinstitute überraschen wieder mit stolzen Gewinnen und die entsprechenden Gewinnbeteiligungen der Bankkader versetzen die Gemüter der zu Hilfe gerufenen Steuerzahler noch einmal in Wallung. Der Weg der Rückkehr ins alte Fahrwasser scheint vorgezeichnet.

Wie steht es aber mit Antworten auf ganz elementare Fragen wie: Woher stammt unser Geld? Gemäss Statistik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) hat sich die Geldmenge M1 zwischen Juni 2008 und Juni 2009 immerhin um über 110 Milliarden Franken ausgeweitet. Auch ich habe bei der Beantwortung dieser Frage lange nur an die Eidgenössische Münzstätte und die Nationalbank gedacht. Was genau gilt als Geld? Neben der Landeswährung in Münzen und Banknoten: Gold und Silber in Form geprägter Münzen, oder gar in allgemeiner Form? Schecks, Scheckkarten, Debitkarten und Kreditkarten? Wie steht es mit Guthaben auf Girokonten, die ja für die heutigen Zahlungsströme das Bargeld als Transaktionsmittel schon längst bei weitem überflügelt haben? Sind Ersparnisse auf einem Sparkonto Geld (im Sinne von „Ich habe Geld auf der Bank“)?

Ich bekenne mich zu meiner späten Erkenntnis der letzten Monate, dass in unserem heutigen Geld- und Bankensystem der weitaus grösste Teil neuen Gelds nicht, wie unter dem Titel eines Geldregals erwartet, von der Zentralbank des jeweiligen Wirtschaftsraums geschöpft wird, sondern in Form von unbarem Geld durch den Kreditmechanismus der mehrheitlich privaten Geschäftsbanken. Insofern fällt auch der entsprechende Gewinn der Geldschöpfung quasi „aus dem Nichts“ nicht beim staatlichen Inhaber des Geldregals ab, sondern als so genannte Seigniorage in Form von Extragewinnen bei den Geschäftsbanken. Entsprechend umständlich ist auch die geldpolitische Steuerung durch die Zentralbanken, welche die umlaufende Geldmenge ja nur mehr indirekt hauptsächlich via Zinspolitik kontrollieren können.

Weil die neu geschöpften Kreditmittel den Geschäftsbanken ausserordentlich günstig zur Verfügung stehen, realisieren sie über die Seigniorage hinaus einen Extramargengewinn. Sie haben also alle erdenklichen Anreize, die private Geldschöpfungsmaschine aus verzinslichen Krediten an ihre Kunden kräftig auf Touren zu halten, unabhängig von der Geldpolitik der jeweiligen Zentralbank und möglicherweise entgegen deren Zielsetzung.

Für mich ist, wie gesagt, diese Erkenntnis neu und der erkannte Sachverhalt fundamental falsch. Er ist mitverantwortlich für die jüngste Finanzkrise, in dem er starke Anreize setzt für die überschiessende Kreditvergabe, für die Bildung von Spekulationsblasen und die masslose Verschuldung vieler Beteiligter.

Ich setze mich deshalb ein für eine Vollgeldreform im Sinne von Huber und Robertson und fordere politisch

  • die Wiederherstellung des staatlichen Vorrechts der Geldschöpfung
  • die Beendigung jeglicher Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken
  • das schuldenfreie Inumlaufbringen neu geschöpften Geldes durch öffentliche Ausgaben

Diese Forderungen rütteln an den Grundfesten unseres 500 Jahre alten Bankensystems, das ursprünglich für Metallgeld konzipiert wurde und das weder der Natur noch der Geschwindigkeit der heutigen elektronischen Zahlungsströme gerecht wird. Unter Gerechtigkeit verstehe ich etwa, dass der Geldwert kollektiver Ressourcen nicht bloss Einzelnen zugute kommen soll, sondern allen Bürgerinnen und Bürgern. Die zirkulierende Geldmenge ist eine solche Ressource. Der Gewinn aus ihrer Schöpfung steht der Allgemeinheit zu. Vielleicht braucht es zu diesem Verständnis von Geld etwas Geist im Sinne von Jeremias Gotthelf.

Mittwoch, 8. Juli 2009

Nationalräte in IT-Beschaffungen gegen den Strom

Ginge es nach dem Willen von SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher (TG), so müsste der Bund seine grösseren IT-Beschaffungen nahezu ausnahmslos öffentlich ausschreiben. Dies verlangt sie vom Bundesrat in ihrer Motion 09.3663, „Mehr öffentliche Ausschreibungen von grossen Informatikaufträgen“, die sie mit Unterstützung aus ihrer eigenen Fraktion und der neuen parlamentarischen Gruppe „Digitale Nachhaltigkeit“ in der Sommersession eingereicht hat.

Der Vorstoss beauftragt den Bundesrat, folgende Massnahmen zu ergreifen:

  1. Die zuständigen Bundesstellen werden angewiesen, keine Informatikbeschaffungen über 250'000 Franken ohne öffentliche Publikation im Schweizerischen Handelsblatt mehr vorzunehmen.
  2. Beim Bundesamt für Justiz wird ein Rechtsgutachten über die Anwendbarkeit der Ausnahmetatbestände im Submissionswesen einverlangt.
  3. Durch verbindliche Weisung an die Verwaltungsstellen wird sichergestellt, dass künftig freihändige Beschaffungen nur noch in absoluten Ausnahmefällen zugelassen werden.
  4. Insbesondere auch bei mehrjährigen Lizenzverlängerungen und Wartungsverträgen für bereits im Einsatz stehende Software-Produkte wird eine öffentliche Ausschreibung obligatorisch vorgeschrieben.

Die vierte Forderung zeigt auf, aus welcher Ecke der Wind weht. Ausgelöst wurde die Motion und sechs weitere Vorstösse der Gruppe „Digitale Nachhaltigkeit“ durch die Beschwerde von 18 Open-Source-Softwarefirmen beim Bundesverwaltungsgericht gegen die freihändige Vergabe eines Bundesauftrags im Wert von CHF 42 Mio. für Lizenzverlängerungen an Microsoft.

Mit dem geforderten Massnahmenkatalog schwimmen Frau NR Graf-Litscher und Mitunterzeichnende klar gegen den Strom der laufenden Revision des öffentlichen Beschaffungswesens. Eine der vier Maximen der Revision heisst nämlich Flexibilisierung. Das geltende Beschaffungswesen beruht auf der Beschaffung standardisierter Güter und Dienstleistungen. Für Beschaffungen, die eine intensive Kommunikation zwischen der Beschaffungsstelle und den Anbietern erfordern (beispielsweise komplexe Informatikdienstleistungen), hat sich das formalisierte Verfahren als zu rigide erwiesen. Eine Flexibilisierung soll nun zu mehr Spielraum bei der Durchführung komplexer Beschaffungen und teils auch zu kürzeren Verfahren führen. Den Beschaffungsstellen werden gemäss Vernehmlassungsentwurf zur Totalrevision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BoeB) verschiedene, teilweise neue Elemente zur Ausgestaltung der jeweiligen Beschaffungsverfahren zur Verfügung gestellt.

Die Motion Graf-Litscher verlangt anstelle einer Flexibilisierung die Versteifung der öffentlichen Beschaffungsverfahren und dürfte schon rein deshalb bei der Landesregierung auf wenig Gegenliebe stossen. Verständlicherweise neigt man im Kreise der SP dazu, die Regulierung des Wettbewerbs als vordringliche Aufgabe des Staates zu verstehen und beruft sich dabei etwa auf Art. 95 und 96 der Bundesverfassung.

Im Zusammenhang mit der Verwendung öffentlicher Mittel im IT-Bereich setze ich die Prioritäten anders: Effizienz, d.h. die optimale Verwendung der Ressourcen, und Effektivität, d.h. das Erreichen der anfänglich festgelegten Ziele. Bekanntermassen erleiden viele IT-Projekte auch beim Bund in dem Sinne Schiffbruch, dass sie die anvisierten Ziele nie erreichen, bedeutende und ungeplante Mehrkosten nach sich ziehen oder sogar ergebnislos abgebrochen werden nach dem Motto: Ausser Spesen nichts gewesen. Leider fokussiert sich die Optik der Motionärin viel zu stark auf die formalen Aspekte der Auftragsvergabe und das Bestreben, der Open-Source-Software-Szene eine bessere Ausgangslage in der Erlangung öffentlicher Aufträge zu sichern.

Tatsache ist, dass auch die öffentliche Verwaltung nur in seltenen Fällen in der Lage ist, ihren spezifischen IT-Bedarf in offenen Ausschreibungsverfahren nach WTO-Richtlinien in der nötigen Klarheit und Tiefe vorab und schriftlich so zu formulieren, dass rein auf dem anonymisierten Korrespondenzweg das attraktivste eingeholte Angebot auch tatsächlich dem wirtschaftlich effizientesten und effektivsten Lösungsansatz entspricht. Diese Erkenntnis liegt der Vernehmlassungsvorlage zum neuen BoeB zu Grunde, bzw. ihrer Forderung nach direkterer Kommunikation und einer klaren Flexibilisierung der Vergabepraxis.

Ich empfehle der Motionärin und ihren Mitunterzeichnenden die gelegentliche Aussprache mit ihrem Nationalratskollegen und IT-Unternehmer Ruedi Noser (FDP, ZH). Er wird den Urhebern des Vorstosses noch vor dessen Beantwortung durch den Bundesrat darlegen können, weshalb seine Begeisterung für noch rigidere Beschaffungsabläufe gegen Null tendiert und weshalb uns die Motion Graf-Litscher bei allem Respekt ihrer Motive auf einen Holzweg führt. Ich habe diesen Austausch mit NR Noser bereits geführt, und zwar anlässlich der letztjährigen Herbsttagung der Schweizerischen Gesellschaft für Verwaltungswissenschaften, wo wir beide zum Thema öffentliche Beschaffung referiert haben.

Offene Türen für offene Standards im Nationalrat

Wenn Parlamentarier das grosse Kaliber der Motion in Anschlag bringen, ist immer zu hoffen, dass sie wissen, was sie tun. Diesen Vertrauensvorschuss erhält auch der Forstingenieur und grünliberale Zürcher Nationalrat Thomas Weibel von mir. Immerhin hält er es nach eigenen Angaben mit dem Credo: „Das Machbare wird nie aus den Augen verloren.“ Als Mitglied der neuen parlamentarischen Gruppe „Digitale Nachhaltigkeit“ hat er in der Sommersession die Motion 09.3668, „Offene Informatikstandards in der Bundesverwaltung“, eingereicht. Mitunterzeichnende waren Sep Cathomas (CVP, GR), Walter Donzé (EVP, BE), Kurt Fluri (FDP, SO), Edith Graf-Litscher (SP, TG), Brigitte Häberli-Koller (CVP, TG), Francine John-Calame (Grüne, NE), Marianne Kleiner (FDP, AR), Kathy Riklin (CVP, ZH), Barbara Schmid-Federer (CVP, ZH), Adèlevan Thorens Goumaz (Grüne, VD), Christian van Singer (Grüne, VD), Alec von Graffenried (Grüne, BE) und Christian Wasserfallen (FDP, BE). Gut vertreten im Kreis der Motionärinnen und Motionäre ist demnach meine eigene Partei, die CVP, bzw. die Bundeshausfraktion CVP/EVP/glp.

Die Motion verlangt vom Bundesrat, „das Open Document Format (ODF) in der Schweizerischen Bundesverwaltung als Standard für Office-Dateien festzulegen, generell nur offene Datenstandards zu verwenden und seine Verwaltungsvorschriften derart anzupassen, dass im Bereich E-Government, bei Publikationen, Anträgen etc. keine Diskriminierung von Benutzern anderer Betriebssysteme und Software besteht.“

„Was sind ‚offene Datenstandards‘?“, wird sich der geneigte Leser fragen, und welche „anderen Betriebssysteme“ sind hier angesprochen? Welche Betriebssysteme denn primär? Hier eilen die Urheber der Motion in ihrer Begründung zu Hilfe: „Die Offenheit dieser Formate kann verschieden definiert werden“. Aha. Recht grosses Kaliber für so viel Offenheit, sagt sich der Parlamentarier und rätselt weiter, welche Betriebssysteme denn „anders“ sein sollen.

Die Motion verlangt vom Bundesrat weiter, er solle namentlich sicherstellen
  • dass die Verwaltung Anträge im ODF-Format annehmen und bearbeiten kann,
  • dass alle Vorlagen/Publikationen/Antragsformulare auf jedem gängigen Betriebssystem mit mindestens einer gratis verfügbaren Software bearbeitet werden können,
  • dass die Verwaltung eine öffentliche Liste der zu verwendenden Datenformate für die internen und externen Anwendungen führt, wobei jede Abweichung von offenen Standards zu begründen ist und ein Migrationsweg und -zeitpunkt auf ein äquivalentes offenes Format zu planen ist
  • und dass alle Webinhalte, insbesondere Formulare und Webapplikationen, nicht nur im Internet Explorer, sondern auch in den Internetbrowsern Firefox, Opera und Safari getestet werden und funktionieren.

Gehen wir einmal davon aus, dass die erste Forderung „Anträge“ im Sinne von parlamentarischen Vorstössen versteht. Das entspräche dem Selbstverständnis des Parlamentariers, dem sein eigener Nabel wohl näher liegt als derjenige des Bürgers, eines Unternehmens oder einer Verwaltungseinheit. Dann würde es reichen, die Parlamentsdienste mit entsprechender Software auszustatten, z.B. mit Microsoft Office 2007.

Die zweite Forderung nach genereller und kostenloser Bearbeitbarkeit aller Vorlagen/Publikationen und Antragsformulare würde hingegen u.a. die generelle Verbannung des populären Dateiformats PDF aus dem Umfeld der Bundesverwaltung bedingen. Zwar würde der Motionär wohl PDF als „offenen Standard“ im Sinne seiner dritten Forderungen durchgehen lassen, aber abgesehen von kostenpflichtiger und proprietärer Software aus dem Hause Adobe gibt es kaum allgemein verfügbare Programme, die in der Lage sind, PDF-Dokumente wirklich zu bearbeiten.

Setzen wir das Verlangen nach „offenen Standards“ gleich mit der Forderung nach internationalen Standards, dann liegen neben ODF (ISO/IEC 26300) der Standard ISO/IEC 32000 (Portable Document Format, PDF), ISO/IEC 19005 (Portable Document Format for long-term preservation of electronic documents, PDF/A) und ISO/IEC 29500 (Open Office XML file format, OOXML) auf der Hand. Die letztgenannte Norm entspricht weitgehend dem aktuellen Dateiformat von Microsoft Office 2007 (internationale Norm ECMA-376) und exakt dem Dateiformat der nächsten Generation von Microsoft Office.

Mit seiner Motion rennt Thomas Weibel im Interesse von „offenen Standards“ beim Bund offene Türen ein. Der Interoperabilitätsstandard SAGA.ch (Standards und Architekturen für eGovernment Anwendungen Schweiz) ist als Standard eCH-0014 publiziert und seit dem 29. Oktober 2007 vom Informatikrat Bund (IRB) verabschiedet und damit für die Bundesverwaltung verbindlich.

Im Bezug auf die letzte Motionsforderung der Gruppe „Digitale Nachhaltigkeit“, die Forderung nach Browser-Unabhängigkeit, führt SAGA.ch nicht einzelne Software-Produkte ins Feld, sondern sinnvollerweise Basistechnologien, wie sie vom internationalen Konsortium W3C standardisiert werden. Das sichert auch die Kompatibilität zu neuen Browser-Produkten wie etwa Google’s Chrome, die von der Motion gar nicht erfasst werden.

Ebenso vernachlässigt die Motion die bestehende Richtlinie P028 des Bundes für die Gestaltung von barrierefreien Internetangeboten sowie wie die Massnahme „Usability von Websites der Bundesverwaltung“ aus der Internet-Strategie Bund. Diese Richtlinien dienen vielmehr der Behindertengleichstellung als dem Schutz von Partikularinteressen der Softwareindustrie.

Lieber Herr Weibel, liebe Mitunterzeichnende: Sie haben sich mit diesem Vorstoss von der Open-Source-Software-Industrie vor den Karren der digitalen Nachhaltigkeit spannen lassen. Mit dem haltbaren Teil der Motion – der Forderung nach Interoperabilität und Respekt von internationalen Standards – rennen Sie beim Bund offene Türen ein. Die pauschale Forderung nach ODF ist unhaltbar. Ebenso wenig wie das Dateiformat OOXML von Microsoft Office eignet sich ODF als Dateiformat der Open-Source-Anwendung OpenOffice für die Beschreibung von Dokumenten, deren Zeilen- und Seitenumbruch bzw. Seitenlayout verbindlich erhalten bleiben müssen. Dafür existieren etablierte Normen wie PDF. Der vage Wortlaut der Motion ist ihrem verpflichtendem Anspruch nicht angemessen. Er trägt die unverwechselbare Handschrift des zuweilen harten Wettbewerbs am Softwaremarkt.

Der Bundesrat wird die Motion zu Recht zur Ablehnung oder allenfalls zur Wandlung in ein unverbindlicheres Postulat empfehlen. In diesem Fall könnte man den Prüfungsauftrag auch gleich abschreiben: Die offenen Türen lassen sich nicht weiter öffnen, indem man sie einrennt.

Montag, 6. Juli 2009

Pinguin stinkt am Kopf zuerst

In Anlehnung an die alte Seefahrerweisheit, wonach der Fisch zuerst am Kopf stinke, titelt die Solothurner Zeitung vom Samstag auf ihrer Frontseite: „Pinguin stinkt am Kopf zuerst“. Die schwelende Kontroverse um die Open-Source-Strategie des Kantons Solothurn, die auf das quelloffene Betriebssystem Linux mit seinem Pinguin-Maskottchen setzt, geht demnach in die nächste Runde. Darin eingeschaltet hat sich nun auch die kantonale Finanzkontrolle, die neben den offensichtlichen Einsparungen bei den Lizenzgebühren jetzt auch die mit dem Linux-Einsatz verbundenen Mehraufwände der Verwaltungsanwender erfassen will. Bereits vor zwei Jahren kleidete die SVP die nicht enden wollenden Klagen aus der Verwaltung über sinkende Produktivität in eine Interpellation im Kantonsparlament. Der Vorstoss wurde damals allerdings von der Kantonsregierung in ihrer Antwort als sinnlos abgetan. Wie die Solothurner Zeitung nun mit ihrem Vergleich aus der Tierwelt herausstreicht, arbeitet bis heute kein Mitglied dieser Kantonsregierung selbst an einem Linux-basierten PC, weil die Bearbeitung von Regierungsratsbeschlüssen auf der Grundlage von Microsoft-Technologie erfolge.

Gegen die konsequente Umstellung auf Open-Source-Software stellt sich u.a. die Kantonspolizei Solothurn, deren Kommandant in dieser Sache mit einem Redeverbot belegt ist, derweil ein externes Gutachten abklären soll, ob und wie eine Umstellung erfolgen kann. Ebenso mit einem Maulkorb ausgestattet wurde der Chef des Amtes für Informatik und Organisation, Kurt Bader. In der Informatikgruppe Verwaltung hat der oberste Informatiker und langjährige Verfechter der kontroversen Open-Source-Strategie mittlerweile nur noch beratende Funktion.

Während es also aareabwärts in Solothurn in Sachen Linux-Einsatz in der Verwaltung gewaltig gärt, werden die Befürworter von Open-Source-Software in Bundesbern nicht müde, auf die wegweisende Pionierrolle des Kantons Solothurn beim Einsatz lizenzgebührenfreier Programme hinzuweisen. Nicht bloss, dass nicht alles Gold wäre, was glänzt – bei näherer Betrachtung verblasst das viel zitierte Beispiel Solothurn völlig glanzlos.

Zeitgleich mit dem eingangs erwähnten Zeitungsbericht hat am Freitag das Bundesverwaltungsgericht seinen Zwischenentscheid im Beschwerdeverfahren von 18 Open-Source-Software-Anbietern gegen die Beschaffung von Microsoft-Software im Wert von CHF 42 Mio. bekannt gegeben. Es hat entschieden, dass der Bund zurzeit zwar Software bei Microsoft beziehen darf, aber selber die Verantwortung für den möglichen Schaden trägt, wenn der Vertrag zwischen dem Bund und Microsoft im weiteren Verlauf des Verfahrens als nichtig erklärt werden sollte. Die Beschwerdeführer werten diesen Entscheid als Zwischenerfolg. Ihr Sprecher betont dazu: „Wenn der Bund weiterhin migriert und anschliessend zurück muss, könnten viele Steuergelder verschwendet werden“. Er fordert die Bundesverwaltung daher dazu auf, auf die Weiterführung der Migrationsprojekte zu verzichten, bis das Urteil feststeht.

Damit hätten wir beim Bund nun schon fast solothurnische Verhältnisse. Während drüben die Untersuchungsergebnisse der kantonalen Finanzkontrolle und externe Gutachten im Herbst abgewartet werden, blockiert hüben ein Beschwerdeverfahren laufende Migrationsprojekte für Zehntausende von Bundesarbeitsplätzen, und das nach monatelangen Vorarbeiten und generalstabsmässiger Planung im Rahmen einer unbestrittenen IT-Strategie. Mein Verständnis von digitaler Nachhaltigkeit ist ein anderes.

Donnerstag, 4. Juni 2009

Rollenklärung statt Köpferollen bei den städtischen Unternehmen

Ich gehe einig mit der SP-Fraktion im Thuner Stadtrat in der Auffassung, dass die Lehren aus der schwierigen Zusammenarbeit zwischen Unternehmensleitung der Energie Thun AG und Stadtregierung der letzten zwei Jahre gezogen werden müssen. Es geht dabei aber nicht um die Person von Gemeinderat Lüscher oder um seine Ablösung , sondern viel mehr um die Erwartungen an seine Doppelfunktion als Verwaltungsrat und Gemeinderat. Das Konstrukt ist inhärent problematisch und kann jeden Amtsinhaber in Interessenkonflikte führen und damit überfordern. Die Frage der Doppelmandate stellt sich ja auch bei anderen städtischen Beteiligungsgesellschaften, das hat zum Beispiel die Stadtratsdebatte zur UBS-Arena gezeigt.

Im September 2007 haben wir im Thuner Stadtrat eine Motion der SVP diskutiert und verworfen, die den Gemeinderat „in der Regel“ aus den Unternehmungen mit städtischer Beteiligung verbannen wollte. Als Postulat wäre der damalige Vorstoss überwiesen worden, sogar mit Einverständnis des Gemeinderats. Er hat damals vorgeschlagen, eine umfassende Überprüfung der so genannten VKU-Grundsätze durch den Regierungsrat des Kantons Bern abzuwarten. „VKU“ steht für Verhältnis des Kantons zu seinen öffentlichen und gemischtwirstchaftlichen Unternehmen. Bereits einen Monat später, im Oktober 2007, lag der Bericht des Regierungsrats vor. Er umfasst 91 Seiten und empfiehlt eine differenzierte Betrachtungsweise und fallweise Beurteilung von Unternehmen zu Unternehmen. Da gibt es Kriterien und Anhaltspunkte, aber keinen Regelfall, wie ihn die SVP Thun in ihrer erfolglosen Motion vorausgesetzt hat.

Ich meine, der Gemeinderat der Stadt Thun wäre gut beraten, wenn er seinen eigenen Vorschlag von damals beherzigen und die Überlegungen des Regierungsrats und der damaligen externen Gutachter auf Thuner Verhältnisse umlegen würde. Es besteht überhaupt kein Grund, diese Aufgabe auf die nächtse Legislatur zu vertagen. Es wird dann zwar einen Personalwechsel geben, aber wir sprechen hier ein Rollenproblem an, kein Personenproblem.

Diese Anwendung von kantonalen Überlegungen auf Thuner Verhältnisse betrifft neben der Energie Thun AG die

  • Parkhaus Thun AG
  • AVAG
  • Selve-Park AG
  • Casino Kursaal Thun AG
  • Venture Thun AG
  • STI
  • und Alpar AG

Ich wünsche mir, dass der Thuner Gemeinderat das Thema Beteiligungscontrolling jetzt an die Hand nimmt und an einer nächsten Sitzung der Sachkommission Präsidiales und Finanzen darüber orientiert, ob und in welchem Zeitrahmen er dazu bereit ist. Die Alternative dazu wären stadträtliche Vorstösse und die würden bzw. werden – soweit es meine Fraktion betrifft – eher an die damalige SVP-Motion anschliessen als an das jetzige SP-Postulat, hätten also verbindlichen Charakter.

Was den Verwaltungsrat der Energie Thun AG anbelangt, halte ich dies fest:

  • Die aktuelle Entspannung zwischen Gemeinderat und VR ist sehr zu begrüssen.
  • Vordringlich ist eine Professionalisierung des VR auf dem Gebiet Strom- und Gaswirtschaft, u.U. sogar Breitbanderschliessungen; insofern bin ich sehr zufrieden mit dem Wahlantrag vom Herr Paul Marbach zuhanden der Generalversammlung der Energie Thun AG von nächster Woche. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.
  • Aufgrund des Ausgliederungs- und Unabhängigkeitsgrads der Energie Thun AG braucht es keine Vertretung des Gemeinderats im VR. Statt dessen müssen wir von Seiten Politik die Eigentümerstrategie noch klarer kommunizieren und die energiepolitischen Rahmenbedingungen verbindlich verabschieden, die heute noch fehlen.
  • Der Verwaltungrat sollte dann frei sein, sich innerhalb dieser Leitplanken zu bewegen und seine oberste Führungsverantwortung unbelastet von der Politik wahrzunehmen. Die Rechenschaft schuldet er regelmässig der Generalversammlung. Dort gibt es klare Rollen und Machtverhältnisse. Diese Klärung und Entflechtung der Rollen ist unbedingt anzustreben.

Freitag, 29. Mai 2009

Pinguine suchen Artenschutz

Fast zeitgleich mit einer aufschiebenden Verfügung des Bundesverwaltungsgerichts zur Beschaffung von Microsoft-Lizenzen durch den Bund publizieren die SBB in der heutigen Ausgabe des Schweizerischen Handelsamtsblatts eine direkte Vertragsverlängerung mit Microsoft im Wert von 8.4 Millionen Euro. Das dürfte die helle Aufruhr unter den Schweizer Verfechtern von Open-Source-Software (OSS) aktuell noch anheizen. Gegen die analoge Publikation vom 1. Mai eines Zuschlags im Wert von 42 Millionen Franken des Bundesamts für Bauten und Logistik hatte eine Gruppe von OSS-Anbietern Beschwerde eingereicht und damit erfolgreich die einstweilige Gerichtsverfügung erwirkt.

Mit ihrer Intervention unter dem Banner der Swiss Open Systems User Group, /ch/open, und mit Matthias Stürmer als Bannerträger schlagen die Gegner der laufenden Beschaffungen lauthals den Sack und meinen dabei den Esel. Sie nehmen mit enthüllender Medienbegleitung bewusst in Kauf, dass die öffentlichen Beschaffungsverfahren und die Firma Microsoft als vorgesehene Lieferantin in den Dunstkreis von Intransparenz, der Aushebelung von Wettbewerb und dunkler Machenschaften gebracht werden. Dass die Beschaffungen im so genannten freihändigen Vergabeverfahren im Rahmen bestehender, offizieller und langfristiger IT-Strategien der öffentlichen Verwaltung erfolgen, wird zumindest in der Medienberichterstattung geflissentlich unterschlagen. Allein die Erwähnung des gängigen Konzepts einer Ein- oder Zweiprodukte-Strategie liesse dabei ja vermuten, dass die geforderte breite Produkt- und Lieferantenevaluation bereits auf anderer, eben strategischer Ebene stattgefunden hat.

Für Textverarbeitung beispielsweise hat der Informatikrat Bund (IRB) den Standard A202 verabschiedet, der für die gesamte Bundesverwaltung Weisungscharakter hat. Um „die Austauschbarkeit der erstellten Unterlagen sicherzustellen“, verfolgt er eine Einproduktstrategie. Der zusätzliche Einsatz eines Open Source-Produkts wird zwar geprüft, aber die aktuell gültige Fassung von A202 vom 17. Dezember 2007 sieht ausschliesslich das Produkt Microsoft Word für Textverarbeitungszwecke vor. Auch wer mit dieser Strategie nicht einverstanden ist, muss anerkennen, dass die Beschaffungsorgane des Bundes heute keine Grundlage haben für öffentliche Ausschreibungen, die nicht standardkonforme Angebote zulassen. Für das Einsatzgebiet der Büroautomatisation existieren beim Bund unbestreitbar gültige Produktestandards bzw. Standardprodukte, die zwingend einzusetzen sind, und zurzeit sind das die bekannten Microsoft Office-Komponenten Word, Excel und PowerPoint.

Insofern entsprechen der gegenwärtige Aufstand der OSS-Gemeinschaft und ihre verfahrensrechtliche Intervention dem frustrierten SBB-Fahrgast, der einen Schnellzug per Notbremse zum Stillstand bringt, um bei der SBB-Geschäftsleitung die fehlende Gesprächsbereitschaft über den Fahrplan zu erzwingen. Nun heiligt der Zweck aber nicht jedes Mittel, und wenn die Medienberichterstattung den Nothalt schon beinahe zum Unfall hochstilisiert, dann setzen sich die Aufständischen dem Vorwurf der Effekthascherei aus, die mit fairem Wettbewerb kaum zu vereinbaren ist. Die OSS-Gemeinschaft, personifiziert im Pinguin als Maskottchen des quelloffenen Betriebssystems Linux, sucht offensichtlich Artenschutz und bemüht dafür Argumente und Mechanismen, die einer ernsthaften Diskussion ihrer auch berechtigten Anliegen nicht angemessen sind. Besonders negativ fallen in dieser Hinsicht die Verlautbarungen des Steffisburger Präsidenten der „Wilhelm Tux Kampagne für Freie Software und Offene Standards“, Theo Schmidt, auf. In einem Leserbrief vom 27. Mai 2009 in der Berner Tageszeitung „Der Bund“ schreibt er, es sei „der Firma Microsoft mit ihrem Quasi-Monopol gelungen, der Menschheit eine Art Informatik-Steuer aufzudrücken – für Dinge, die in den öffentlichen Sektor gehören.“ Microsoft versuche krampfhaft ihren Marktanteil zu halten, allerdings seien „die Mittel dazu fragwürdig und manchmal illegal.“ Schmidt hält es „aber für sehr bedauerlich, dass die Verwaltungen und Räte der öffentlichen Hand nicht weiter denken und die Bevölkerung in die Abhängigkeit von Anbieterinnen wie Microsoft treiben. Mit unseren Steuergeldern, versteht sich.“ Die löbliche Ausnahme bilde der Kanton Solothurn, welcher dieser Falle bereits halb entronnen sei. Als Mitglied eines solchen Rates der öffentlichen Hand fühle ich mich von Theo Schmidt zwar direkt angesprochen, seine Vorwürfe aber nicht eigentlich ansprechend.

Als Heimweh-Solothurner lese ich zuweilen auch die dortige Presse, so zum Beispiel die Oberaargauer-Ausgabe der Berner Zeitung, die am 13. Mai 2009 titelte: „Kritik an der Pinguin-Strategie: Die Kritik an der Linux-Strategie des Kantons wird immer lauter: Mitarbeiter beklagen sich auf einer eigens eingerichteten Website. Auch die kantonale Finanzkontrolle hat sich eingeschaltet und will Klarheit über die Kosten.“ Das Solothurner Tagblatt zeigte in der Ausgabe vom 15. Mai 2009 an einem konkreten Beispiel „anschaulich auf, worüber sich Mitarbeiter der kantonalen Verwaltung seit Monaten und Jahren ärgern. Sie beschweren sich darüber, dass ein effizientes Arbeiten mit Linux kaum möglich sei (wir berichteten diese Woche mehrfach).“

Die Stimmungslage innerhalb der Solothurner Kantonsverwaltung auf den Punkt bringt ein Beitrag auf der erwähnten Mitarbeiter-Website vom 17. Mai 2009: „Aus den Äusserungen der Verantwortlichen entnehme ich, dass das störende Element im ganzen Prozess primär der Anwender darstellt. Daher schlage ich vor, dass zumindest diese Haltung Einzug in die kantonalen Leibilder findet. Kafkas Aphorismus „Ein Käfig ging einen Vogel suchen“ ist mit Linux im Kanton Solothurn realisiert.“

Es entspricht wohl einem menschlichen Makel, zumindest in der Sicht von Profis aus der IT-Branche, dass die Anwender von IT-Infrastruktur ihre Arbeitsumgebung nicht rein rational nach ihren technischen Qualitätsmerkmalen beurteilen. Mangelnde Benutzerakzeptanz kann nicht immer als Beweis für Qualitätsdefizite der eingesetzten Software herhalten. So viel sagt mir meine Berufserfahrung als Chef einer Softwarefirma, die viel für die öffentliche Verwaltung tätig ist und Anwendungen entwickelt, die dort breiten Einsatz finden sollen. Umgekehrt lässt sich mit reinem Idealismus und missionarischem Eifer keine Verwaltung zufriedenstellend betreiben, deren IT-Infrastruktur in technischer Hinsicht nachweislich krankt. Interessanterweise stehen sich die OSS-Gemeinschaft und Microsoft hinsichtlich evangelikalen Engagements in nichts nach. Während Microsoft so genannte „technology evangelists“ beschäftigt mit der Aufgabe, für ausgewählte Software-Technologien zu missionieren, hat sich mindestens im Kanton Bern in der Person meines ehemaligen Fraktionskollegen und heutigen EVP-Grossrats Marc Jost ein evangelischer Pfarrer zum Sprachrohr der OSS-Community gemacht. Auch der bereits erwähnte Matthias Stürmer von /ch/open wird in einem Interview mit der Wochenzeitung vom 30. April 2009 mit der Aussage zitiert: „Ich missioniere gern, sagt Stürmer und lacht. Informatik habe ihn schon immer interessiert, aber auch Entwicklungszusammenarbeit, er sei noch beim evangelischen Projekt „Stopp Armut 2015“ engagiert, aber das tue jetzt nichts zur Sache.“ Tut es das wirklich nicht?

Zurück vom „human factor“, dem Faktor Mensch mit Makel, zur IT-Strategie. Auch wenn es bei Ausrüstungsvorhaben wie etwa dem kantonalbernischen Projekt „Kantonaler Workplace 2010“ um teure Beschaffungen geht, für die der Regierungsrat dem Parlament im konkreten Fall einen Mehrjahreskredit von nahezu 79 Millionen Franken beantragt, sind solche Lizenzbeschaffungen doch im Verhältnis zu den gesamten Informatikkosten zu sehen. Für den Kanton Bern beträgt das Sparpotenzial bei den reinen Lizenzkosten im erwähnten Projekt offenbar bloss 1.5 bis 2 % der IT-Gesamtausgaben. Der Blick aufs Ganze ist kein Ablenkungsmanöver, sondern drängt sich auf. Die nach heutigen Massstäben – wie früher die Schreibmaschinen – getrost voraussetzbaren Büroanwendungen Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Präsentation sind nicht mehr isoliert zu betrachten. Auch wenn das kostenlose OSS-Produkt OpenOffice im direkten Feature-Vergleich dem kostenpflichtigen Microsoft Office durchaus nahe kommt, und die jeweiligen Dateiformate mittlerweile gängigen ISO-Standards entsprechen, so sind die Produkte im Rahmen der übergeordneten Architekturen dennoch nicht austauschbar. War das Thema früher nämlich Standardisierung des Software-Inventars, so ist es heute die Standardisierung der damit unterstützten Arbeitsabläufe. In der öffentlichen Verwaltung der Schweiz heisst das Stichwort „GEVER“ und steht für Geschäftsverwaltung. Damit ist die einheitliche und reproduzierbare Abwicklung der wichtigsten Geschäftsabläufe gemeint, die auch eine Geschäftskontrolle umfasst und die Dokumentenwirtschaft vom Anlegen eines Dossiers bis zu dessen Löschung oder Archivierung im Bundesarchiv steuert. Die Einführung solcher GEVER-Anwendungen ist gemäss Bundesratsbeschluss für die Bundesverwaltung Pflicht. Verschiedene Kantone und grössere Städte ziehen mit. Im Rahmen derartiger Geschäftsverwaltungslösungen werden die klassischen Büroautomationsanwendungen der Office-Palette eng in eine Gesamtarchitektur eingebunden, die unter anderem sicherstellen soll, dass Geschäftsabläufe amts- und departementsübergreifend elektronisch unterstützt werden können. Das wiederum bedingt eine detaillierte Standardisierung der GEVER-Lösungen auf strategischer Ebene und schliesst eine breite Ausschreibung bei den späteren Lizenzbeschaffungen aus.

Bei den betriebswirtschaftlichen Kernapplikationen ist die Standardisierung bereits weiter fortgeschritten, und das bekannte Gewinnerprodukt heisst dort SAP – auch in der öffentlichen Verwaltung. Auch die Beschaffung von SAP-Lizenzen ist Verhandlungssache mit einem einzigen Lieferanten. Und auch hier liesse sich die OSS-Forderung erheben, das Beschaffungsverfahren sei dem breiteren Wettbewerb zu öffnen. Ein allfälliger Gewinn bei der Vermeidung von Lizenzkosten stünde bedeutenderen Effizienzverlusten durch Heterogenität gegenüber. Diese Erkenntnis begründet den Erfolg von SAP.

Solche Erkenntnisse sind auch den in /ch/open zusammengefassten IT-Unternehmen mit Sicherheit nicht fremd. Dass die teilweise dominante Marktstellung von Herstellern wie Microsoft und SAP im Wettbewerb schmerzt, ist verständlich. Beschwerde gegen standardkonforme Beschaffungsvorhaben ist aber der falsche Weg, um dem Potenzial von quelloffener Software zu höherer Nachachtung zu verhelfen. Wenn sich Politiker wie Marc Jost oder die neue bundesparlamentarische Gruppe „Digitale Nachhaltigkeit“ mit meiner Parteikollegin Kathy Riklin (CVP), Walter Donzé (EVP), Alec von Graffenried (Grüne), Christian Wasserfallen (FDP), Edith Graf-Litscher (SP), Thomas Weibel (Grünliberale) vor den Karren solcher Kampagnen spannen lassen, dann birgt das immer die Gefahr der Instrumentalisierung in sich.

Ich bin im Übrigen kein blindgläubiger Befürworter unserer heutigen öffentlichen Beschaffungspraxis im IT-Bereich und habe kürzlich im Rahmen der Schweizerischen Gesellschaft für Verwaltungswissensschaften dazu referiert und ein Interview gegeben. Als regelmässiger Anbieter in öffentlichen Ausschreibungen nach WTO-Regeln leiden auch ich und mein Unternehmen an den Unzulänglichkeiten unserer Verfahren. Hier stellen sie jedoch bloss den Sack dar, der anstelle des Esels geschlagen wird.

Mittwoch, 13. Mai 2009

Soll Gemeinderat Lüscher bleiben?

Mit dieser Frage titelt Franziska Streun im Thuner Tagblatt vom 12. Mai 2009. Die Frage nach dem Verbleib von Gemeinderat Lüscher im Verwaltungsrat (VR) der Energie Thun AG ist falsch gestellt. Es geht hier weder um die Person, welche die Stadtregierung im Strategieorgan des Versorgungsunternehmens vertreten soll, noch um deren Parteibuch oder Haltung in konkreten Abstimmungsgeschäften.

VR-Präsident Kurt Bill erhebt zu Recht den Anspruch, das VR-Gremium solle sich aus Mitgliedern zusammensetzen, die einen konkreten inhaltlichen Beitrag zur strategischen Unternehmensentwicklung und –führung leisten können. Das erfordert einschlägige Branchen- und Marktkenntnisse, die sämtlichen Mitgliedern des Thuner Gemeinderats abgehen.

Die Bill’sche Forderung nach einer Professionalisierung des VR habe auch ich in den vergangenen Monaten immer wieder öffentlich erhoben. Diese Diskussion ist überfällig und jetzt zu führen.

Die Rolle der politischen Behörden der Stadt Thun als Alleineigentümerin des Unternehmens liegt in der Formulierung einer Eigentümerstrategie und von energiepolitischen Rahmenbedingungen. Dem VR obliegt, eine Unternehmensstrategie so zu entwickeln und mit der Geschäftsleitung umzusetzen, dass die Erwartungen der Eigentümerin erfüllt werden. Die Politik hat im VR der Energie Thun AG ebenso wenig verloren wie die Gewerkschaften.

Der jüngste Leidensweg unseres lokalen Stromversorgers war gesäumt von Unklarheiten in der Rollenteilung und Interessenkonflikten zwischen den beteiligten Führungsgremien von Firma und Stadt. Es ist an der Zeit, hier klare Voraussetzungen zu schaffen.

Dienstag, 12. Mai 2009

E-Pass, Doris Fiala oder M – Eine Stadt sucht einen Mörder

Würde Fritz Lang seinen Film von 1931 heute drehen, so kämen bei der stadtweiten Suche nach dem Kindermörder sicher Fahnungsdatenbanken von DNA-Profilen und Fingerabdrücken zum Einsatz. Dem gesellschaftlichen Druck zur flächendeckenden Probenabgabe und Hinterlegung der Fingerabdrücke könnte sich im Rahmen der Rasterfahndung wohl niemand entziehen nach dem Motto, dass ja nichts zu befürchten habe, wer sich nichts zu Schulden habe kommen lassen. Diese Haltung vertritt auch die Zürcher FDP-Nationalrätin, Mitglied des Komitees „Ja zur Reisefreiheit!“, Doris Fiala in einer „Richtigstellung“ vom Sonntag, 10. Mai 2009, zuhanden der Medien: „[…] dass ich – bei einer Güterabwägung – zwischen persönlicher Freiheit, Datenschutz und Sicherheit für die Sicherheit votieren würde, insbesondere im Falle von Schwerverbrechen (z.B. Mord, Entführungen, Terrorismus, organisiertem Verbrechen). Ganz im Sinne: „Datenschutz darf nicht zu Täterschutz führen.“

Mit dem Stichwort Datenschutz nimmt sie Bezug auf die bestehende Passdatenbank (Informationssystem Ausweisschriften, ISA), die im Zug der Einführung des elektronischen Passes 10 und der dazu nötigen Revision des Ausweisgesetzes um zwei Fingerabdrücke pro Passinhaber erweitert werden soll. Über die Gesetzesrevision stimmt die Schweiz am 17. Mai 2009 ab. Gemäss den neuen Bestimmungen sollen diese Daten nicht zu Fahndungs- oder Ermittlungszwecken verwendet werden. Das Informationssystem diene einzig und alleine der Ausstellung von Ausweisen.

Mit ihrer „Richtigstellung“ bestätigt Doris Fiala (nicht nur) meine Befürchtung, dass spätestens unter Bedingungen, wie sie die USA nach dem 11. September 2001 erlebt haben, die vorgesehenen Nutzungsbeschränkungen der ISA-Datenbank sehr raschen wegfallen würden.

Die Güterabwägung, welche die Stimmberechtigten in der Schweiz für ihren Urnenentscheid vom 17. Mai vorzunehmen haben, stellt den Schutz persönlicher Daten aber nicht der öffentlichen Sicherheit gegenüber, sondern der Bequemlichkeit in der Ausstellung eines Ersatzausweises für den Fall, dass dem Inhaber der neue E-Pass 10 irgendwann abhandenkommen sollte. Mit der zentralen Speicherung der Fingerabdrücke liesse sich dann der erneute Gang ins kantonale oder regionale Erfassungszentrum vermeiden. Für mich, wie für den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten Hanspeter Thür und viele Gegner der erwähnten Gesetzesvorlage, ist der Fall klar: Bequemlichkeitsargumente rechtfertigen einen Verstoss gegen das Gebot des Datenschutzes nicht.

Die Verwendung von biometrischen Merkmalen in maschinenlesbaren Ausweisen oder allgemeiner zu Authentisierungszwecken ist in vielerlei Hinsicht umstritten. Ich teile die meisten dieser Bedenken nicht. Richtig angewandt führt die Speicherung von Bild- und Fingerabdruckdaten in maschinenlesbarer Form mit behördlicher elektronischer Signatur im Reisepass zu einer wünschenswerten Verbesserung seiner Fälschungssicherheit.

Eine sowohl aus technischer wie datenschützerischer Sicht einwandfreie Implementierung biometrischer Authentisierung ist der Internet-Pass der Bieler Firma Axsionics. Dieser elektronische Ausweis – eine Schweizer Erfindung – speichert bis zu 10 Fingerabdrücke, die aber ausschliesslich auf der Karte selbst gespeichert sind und auch nicht ausgelesen werden müssen. Die Karte selbst muss zu ihrer Verwendung die Hand nie verlassen, deren Abdrücke sie speichert. Eine zentrale Biometriedatenbank gibt es nicht.

Im Zusammenhang mit dem neuen E-Pass 10 kritisiere ich die Verwendung von RFID-Technologie, die nie für diesen Zweck entwickelt wurde. Da sie sowieso nur im Zusammenspiel mit dem optischen Auslesen von Passdaten funktioniert, hätte man auch die biometrischen Daten in Form von zweidimensionalen Barcodes speichern können, wie wir sie heute beispielsweise vom Online-Ticketing her kennen. Damit würde sich die ganze Kontroverse um das unbemerkte Auslesen oder Abhören von biometrischen Daten erübrigen, die gegenwärtig den Abstimmungskampf mitprägt. Allerdings entspricht das für den Schweizer Pass vorgesehene RFID-Verfahren einem international breit eingesetzten Standard der Internationalen Zivilen Luftfahrtbehörde, der wohl nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist.

Zu den Befürwortern der Gesetzesvorlage gehört die Auslandschweizer Organisation (ASO). In einem swissinfo-Interview schwärmt die Auslandschweizerin Sabine Silberstein: „In Singapur gehört der elektronische Fingerabdruck längst zum Alltag. Ich habe keinen Hausschlüssel mehr, stattdessen halte ich meinen Zeigefinger auf einen Sensor.“ Genau hier zeigt sich die besondere Schutzwürdigkeit von biometrischen Daten wie digitalisierten Fingerabdrücken: Sind ihre digitalen Fingerabdrücke einmal im Umlauf, so ist ihr Haus in Singapur nicht mehr sicher. Ebenso wenig werden viele andere Identifikationsmechanismen in Singapur für Frau Silberstein nicht mehr verwendbar sein, ausser sie lasse ihre Fingerabdrücke (chirurgisch) ändern, was aber wesentlich schmerzvoller ist als die Änderung eines klassischen Passworts oder PIN-Codes. Dass die Möglichkeit einer solchen Kompromittierung von Fingerabdruckdaten nicht aus der Luft gegriffen ist, bewies der deutsche Chaos Computer Club (CCC), indem er letztes Jahr in seiner Zeitschrift einen Fingerabdruck von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble veröffentlichte. Die Hacker liessen es nicht beim Abdruck bewenden – dem Heft lag auch eine fertige Fingerabdruck-Attrappe bei. Die dünne Folie kann auf die Fingerkuppe geklebt werden, um Fingerabdruckscanner zu täuschen.

Zentrale Datenbanken laufen grundsätzlich immer Gefahr, missbräuchlich angezapft zu werden. Sollte die vorgesehene erweiterte ISA-Passdatenbank gehackt werden, so wären persönliche Indentifikationsmerkmale von Schweizerinnen und Schweizern in Frage gestellt, die sich praktisch nur chirurgisch ändern lassen. Neben der in Zukunft möglicherweise legitimen aber grundsätzlich nicht wünschenswerten Verwendung dieser Datenbank für Fahndungszwecke ist dies ein zweiter Grund, die vorgesehene Erweiterung von ISA um Fingerabdrücke abzulehnen – und damit auch die Gesetzesvorlage in der Volksabstimmung vom 17. Mai. Ich lehne sie ab.

Montag, 6. April 2009

Der Schwarze Schwan im Berner Rathaus

Für seine Aprilsession hat sich der Grosse Rat des Kantons Bern eine ausgedehnte Wirtschaftsdebatte vorgenommen, nachdem der Schwarze Schwan nun auch von der Fraktion SP-JUSO dort zum Thema gemacht worden ist. Zur Abwechslung ist hier nicht die importierte Tierwelt auf dem Thuner- und Wohlensee angesprochen, sondern die importierte Rezession, die innert weniger Monate über die Schweiz hereingebrochen ist. Der Schwarze Schwan als sehr unwahrscheinliches und daher unerwartetes Ereignis im Sinne von Nassim Taleb, des viel zitierten Hauptdissidenten der Wall Street, hat damit auch das Berner Rathaus thematisch erreicht.

Es hat gewissermassen Tradition, dass in Zeiten kriselnder Konjunktur jeweils die Umsetzung grosser Teile des SP-Programms quasi auf dem Dringlichkeitsweg empfohlen wird. Auf Bundesebene überbieten sich die Linke und die Grünen mit Forderungen nach Impulsprogrammen im Umfang von 6 bzw. sogar 12 Milliarden Franken, nach Sondermassnahmen also, die weit über die 1.5 Milliarden hinausgehen, die der Bundesrat zur Ankurbelung der Konjunktur bereitstellen will. Das Motto heisst: „Ausserordentliche Situationen erfordern ausserordentliche Massnahmen.“

Vergessen gehen bei allem Drang zu Aktivismus leider die Lehren aus früheren Zeiten, zuletzt den neunziger Jahren. Demnach gelingt es der Politik praktisch nie, mit staatlichen Stimulierungsprogrammen die erhofften Wirkungen zu erzielen, zumindest nicht rechtzeitig. Ich glaube nicht an die Rolle des Staates als besserer Wirtschafter. Wie viele Bernische Grossräte haben Nassim Taleb gelesen? Fast immer haben die staatlichen Interventionspakete in einer massiven Neuverschuldung der öffentlichen Finanzhaushalte geendet. Es waren somit die nachfolgenden Generationen von Steuerzahlern und Konsumenten, welche die Rechnung für die Konjunkturstützungs-Experimente zu bezahlen hatten – und das dürfte auch diesmal nicht anders sein. Diese Sorge gilt auch unseren wichtigsten Handelspartnern, und zwar mit Blick auf die 44 Prozent unseres Bruttoinlandprodukts, die unsere Volkswirtschaft im Ausland verdient. Auch dort werden Konjunkturpakete von Dimensionen geschnürt, welche die jeweiligen Staatsfinanzen längerfristig in Schieflage zu bringen drohen, sofern sie es nicht schon sind.

Arg von der Krise gebeutelt steht neben den Grossbanken zurzeit vor allem die Exportwirtschaft da. Staatliche Interventionen müssten ihre Wirkung möglichst dort entfalten und nicht unbedingt in der Baubranche, die bislang von Umsatzeinbrüchen noch weitgehend verschont geblieben ist. Man darf im Übrigen von der Berner Regierung kaum erwarten, dass sie Strukturschwächen jetzt so nebenbei in der Krise beseitigt, die sie bislang auch in den Zeiten der Hochkonjunktur nicht zu verbessern wusste.

In der weltweiten Finanzmarktkrise sind Vermögenswerte in unvorstellbarem Ausmass vernichtet worden. Die Zentralbanken pumpen zwar zur Kompensation im grossen Stil Liquidität in die Wirtschaft. Aber weil der Spielraum nach unten beim nominellen Zinssatz praktisch ausgeschöpft ist, droht eine negative Inflation und damit hohe Realzinsen, also eine Deflation. Die Anleger fahren aus ihrer Sicht besser, indem sie ihr Geld in Form von Banknoten halten. Wer sich selbst einmal gerne in die Situation einer fiktiven Zentralbank versetzen und die Geldpolitik einer einfachen virtuellen Volkswirtschaft simulieren möchte, sei auf das Computerspiel MoPoS (kurz für: Monetary Policy Simulation Game) verwiesen, das man von der Website der Schweizerischen Nationalbank herunterladen kann.

Die Situation, in der zusätzliche Liquidität, welche die Zentralbank in die Wirtschaft pumpt, gehortet wird und keinen Impuls zur Wiederankurbelung der Wirtschaft zu liefern vermag, heisst Liquiditätsfalle. Die Anleitung zum Simulationsspiel MoPoS sagt: „Sobald die Modellwirtschaft tief genug in der Liquiditätsfalle sitzt und kein Schock gross genug ist, sie daraus zu befreien, gibt es daher auch keinen Ausweg. Es bleibt Ihnen nur, die Simulation abzubrechen und ein neues Spiel zu beginnen.“

Unter den vereinfachten Bedingungen der Simulation heisst es also heute: „Game over.“ Übertragen auf die Realwirtschaft sei das eine Warnung vor exzessivem „deficit spending“, also vor zusätzlicher Staatsverschuldung, um durch staatlich vergebene Aufträge verstärkte Nachfrage zu generieren. Was davon zu bleiben droht, auch in hoffnungsvolleren Zeiten von späteren Haushaltüberschüssen, ist die zusätzliche öffentliche Verschuldung.

Damit die Geldpolitik der Zentralbanken wirken kann, braucht es ein funktionierendes Finanzsystem. Genau daran krankt es derzeit aber weltweit. Deshalb glaube ich nicht an eine rasche konjunkturelle Erholung und verspreche mir auch nicht allzu viel vom laufenden G-20-Gipfel. Der dritte Präsident der Vereinigten Staaten, Thomas Jefferson, hat 1802 in einem Brief an den damaligen Secretary of the Treasury Albert Gallatin geschrieben: „I believe that banking institutions are more dangerous to our liberties than standing armies. If the American people ever allow private banks to control the issue of their currency, first by inflation, then by deflation, the banks and corporations that will grow up around [the banks] will deprive the people of all property until their children wake up homeless on the continent their fathers conquered. The issuing power should be taken from the banks and restored to the people, to whom it properly belongs.”

Ich glaube, dass eine tiefgreifende Reform unseres Geld- und Währungssystems Not tut, um die gegenwärtige weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise zu überwinden. Zweckoptimismus ist hier fehl am Platz. Das zurzeit allenthalben fehlende Vertrauen lässt sich nicht herbeireden.

Insofern hoffe ich, dass unser Kantonsparlament im Rahmen seiner Wirtschaftsdebatte nicht in Aktivismus verfällt, sondern sich auf die so genannten automatischen Stabilisatoren besinnt: Die Möglichkeit der Kurzarbeit und der Ausdehnung der Arbeitslosenentschädigung für eine relativ lange Zeit.

Wir ringen derzeit mit einem globalen Phänomen. Die Antworten auf solche Fragen werden nicht auf Kantonsebene gegeben.

Sonntag, 22. März 2009

Lasst gut sein, Stammesbrüder

Der Vorsitzende der SPD, Franz Müntefering, erhebt ein Lasalle-Zitat zu seiner Maxime: „Alle grosse politische Aktion besteht in dem Aussprechen, was ist und beginnt damit.“ Rhetorische Zurückhaltung muss er sich denn auch nicht vorwerfen zu lassen. In seiner Rede vom Aschermittwoch, 25. Februar 2009, in Ludwigsburg, eröffnete er seiner Partei die Lösung des „Problems“ der zu niedrigen Steuern in Liechtenstein und der Schweiz: „Früher hätte man dort Soldaten hingeschickt. Aber das geht heute nicht mehr.“

Sollte Münteferings im letzten Jahr bei Herder publizierte Monographie mit dem Titel „Macht Politik!“ nicht eher unter den Anspruch „Machtpolitik!“ gestellt werden? Das dürfte dem Empfinden von weiten Teilen der Schweiz besser entsprechen, zumal es die SPD-Spitze ja nicht bei dieser verbalen Entgleisung bewenden liess. Der deutsche Sozialdemokrat und derzeitige Finanzminister Peer Steinbrück machte sich jetzt zum Wiederholungstäter, nachdem bereits im Oktober 2008 sein Bild von Zuckerbrot und Peitsche im Zusammenhang mit der Steueroase Schweiz einen diplomatischen Zwischenfall provoziert hatte. Nun doppelte er am Rande des G20-Finanzministertreffens in London nach mit der Drohung gegenüber der Schweiz mit einer Schwarzen Liste, die mit der „siebten Kavallerie vor Yuma“ verglichen werden könne. „Aber die muss man nicht unbedingt ausreiten. Die Indianer müssen nur wissen, dass es sie gibt.“

Nun, natürlich sind wir Indianer. Dieses Selbstverständnis erläutert „Bund“-Redaktor Marc Lettau in unvergleichlich treffenden Worten in einem offenen Brief an Finanzminister Steinbrück. Sein Artikel gilt nicht nur dem Adressaten, sondern ist Pflichtlektüre für Politiker hüben wie drüben.

Lasst damit gut sein, Stammesbrüder, und lasst Marc Lettau das letzte Wort in dieser Affäre. Begraben wir das Kriegsbeil, nicht unseren Humor.

Derzeit ziehen monatlich rund 3‘000 Deutsche in unsere Jagdgründe, um hier ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das bewusstseinserweiternde Kraut einer Friedenspfeife könnte helfen, solche Realitäten zu erkennen.