Sonntag, 21. November 2010

Reden über tödliche Dinge

Stefan Füglister, der ehemalige Kampagnenleiter von Greenpeace Schweiz und des Verkehrs-Clubs der Schweiz (VCS) und heute Mitarbeiter der Kampagnenforum GmbH in Zürich, dürfte sein Wochenziel erreicht haben: Die Schweizer Medien sind voll mit Berichten über den russischen Atomindustriekomplex von Majak. Dort setzte im Jahr 1957 eine chemische Explosion grosse Mengen von Radionukliden in die Umwelt frei. Die Anlage war unmittelbar im Anschluss an den zweiten Weltkrieg im Rahmen des sowjetischen Atomwaffenprogramms in aller Eile errichtet worden und diente während der Sowjetzeit der Produktion von waffenfähigem Plutonium. Den damaligen politischen und militärischen Prioritäten entsprechend kam dem Umweltschutz ein geringer Stellenwert zu. Entsprechend gross fielen die damaligen Umweltbelastungen aus. „Jetzt reden wir über die tödlichen Dinge: Strontium, Cäsium, Radioaktivität,“ wird ein befriedigter Kampagnenleiter Füglister von den Medien zitiert. Mit historischen und aktuellen Berichten aus der mutmasslichen atomaren Hölle Majak auf Erden hat er mindestens vorübergehend die klimapolitischen Vorzüge der Kernenergie in der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion in der Schweiz in den Hintergrund gedrängt.

Aufhänger der Medienberichte war die Frage, woher genau das Uran in den Brennelementen des Kernkraftwerks Beznau stammt, beziehungsweise das Eingeständnis von Axpo-Chef Manfred Thumann, dass bezüglich der genauen Lieferkette noch Unsicherheiten bestünden und dass in der Umweltdeklaration des Kernkraftwerks Beznau getroffene Annahmen allenfalls zu revidieren seien.

Angesichts der akribischen Kontrollen, mit denen weltweit über spaltbares Material Buch geführt wird, sind derartige Unsicherheiten schwer verständlich und kritikwürdig. Unverständlich ist aber auch die mediale Bereitschaft, die blosse Erwähnung des Namens Majak als psychohygienische Kontamination der nationalen Energiepolitik entgegenzunehmen.

Wer daran zweifelt, dass auch im Westeuropa der vierziger und fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts ganz andere Umwelt- und Arbeitsschutzmassstäbe angewandt wurden als heute, sei etwa an die Versenkung von überschüssigen Munitionsbeständen im Thunersee durch die Schweizer Armee erinnert. Auch die Berichte des Thuner Stadtoriginals Eduard Aegerter im gleichnamigen Buch von Bettina Joder Stüdle und Franziska Streun über seine Arbeit in der Thuner Zündkapselfabrik legen Zeugnis ab von haarsträubenden Arbeitsbedingungen, unter denen er – und wohl nicht nur er – sich eine Quecksilbervergiftung holte, von der er sich zeitlebens nie ganz erholt hat.

Heute gelten sowohl in der Schweiz wie in Russland andere Massstäbe. Die radiologische Situation der Region um Majak ist Gegenstand eines internationalen Forschungsprojekts unter dem Namen Southern Urals Radiation Risk Research (SOUL), das vom Münchner Helmholtz Zentrum für Gesundheit und Umwelt koordiniert wird. Majak ist auch Standort des in Zusammenarbeit zwischen Russland und den Vereinigten Staaten von verschiedenen zivilen sowie militärischen US-amerikanischen und russischen Partnern erbauten Lagers für spaltbares Material (Fissile Material Storage Facility, FMSF). Die internationale Zusammenarbeit von Industrie und Behörden mit den am Kernbrennstoffkreislauf beteiligten Firmen Russlands ist kein Schandfleck in den Umweltbilanzen westlicher Stromversorger, sondern im Gegenteil der beste Weg, um Transparenz in die heutigen Zustände und Praktiken der ehemals sowjetischen Anlagen zu bringen, um auf die Einhaltung heutiger Umwelt- und Arbeitsschutznormen drängen und Investitionsmittel für die Sanierung von Altlasten generieren zu können.

Zu erinnern ist hier an das in der Schweiz aktuell geltende Moratorium für das Recycling von Uran in abgebrannten Brennelementen aus Schweizer Kernkraftwerken. Das eidgenössische Parlament hat es 2003 im Kernenergiegesetz verankert – nicht zuletzt auf Druck von antinuklearen Lobbyisten wie Stefan Füglister. Seit Mitte 2006 dürfen während zehn Jahren keine Brennelemente mehr zwecks Recycling in die modernen Wiederaufarbeitungsanlagen westlichen Zuschnitts im französischen La Hague und englischem Sellafield überführt werden. Die damals vorgebrachten Argumente und geschürten Ängste waren dieselben wie heute: Die Rede über die tödlichen Dinge darf nicht verklingen, sollen das taktische Ziel – die Blockade des Kernbrennstoffkreislaufs – und das langfristige strategische Ziel des Ausstiegs aus der Atomenergie erreicht werden.

Dieser Fundamentalismus kontrastiert zehn Tage vor der nächsten Uno-Klimakonferenz im mexikanischen Cancún unschön mit der Ankündigung des Bundesamts für Umwelt, die Schweiz werde die im Kyoto-Protokoll vereinbarten internationalen Klimaziele wahrscheinlich verfehlen. Ganz schlecht ins offizielle klimapolitische Bild der Schweiz passen auch die städtische Initiative „Energiewende Bern“ und ihr Gegenvorschlag, die zugunsten eines Gaskraftwerks in der neuen Kehrichtverbrennungsanlage Forsthaus auf die städtischen Beteiligungen an den Kernkraftwerken Gösgen und Fessenheim verzichten wollen, und dies zu einem politischen Preis von jährlich zusätzlichen rund 120‘000 Tonnen Kohlendioxid in der Atmosphäre.

Sonntag, 17. Oktober 2010

Thun – Stadt der Alten

Sie lesen richtig: Die Rede soll hier vom Alter sein und nicht von den Bergen, die sich auch in den nächsten hundert Jahren vor unserer Haustür erheben werden und die Thun seit jeher zur Stadt der Alpen gemacht haben. Wer da aber behauptet, unsere Stadt werde sich in den nächsten Jahrzehnten zur Stadt der Alten entwickeln, muss weder Prophet, Spinner noch Schwarzmaler sein, sondern einfach zur Kenntnis nehmen, was sich aus der Altersstruktur unserer Bevölkerung seit längerem zwangsläufig ergibt. Thun – wie jede andere Stadt der Schweiz – wird demnach über kurz oder lang von Bürgerinnen und Bürgern im dritten und vierten Lebensabschnitt dominiert werden.

Ja, werden Sie sagen, das weiss ich doch: Dass sich zwischen 1875 und 2000 die Lebenserwartung in der Schweiz fast verdoppelt hat; dass nach 2050 die Frührentner, Alten und Hochbetagten zahlenmässig gleich stark sein werden wie alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen zusammen. Vielleicht gehören Sie sogar zu jenem Drittel aller heute Berufstätigen, die nicht mehr daran glauben, je in den Genuss einer AHV-Rente zu kommen, weil das Sozialwerk vermutlich vorher unter der unaufhaltsam wachsenden Rentenlast zusammenbrechen wird.

Was also machen wir mit dieser nüchternen Erkenntnis? Rechtzeitig zusätzliche Alters- und Pflegeheime bauen? Ein kurzer Blick auf die erwartete Alterstruktur in 50 Jahren zeigt uns aber, dass wir dannzumal gar nicht genügend Betriebs- und Pflegepersonal haben werden, um diese Heime zu betreiben – geschweige denn die Finanzen, um die benötigten Heerscharen an Betreuern und Pflegern zu bezahlen.

50 Jahre sind mehr als zehn Legislaturen, mag sich der Politikverdrossene sagen. Was kümmert diese Perspektive also den heutigen Politiker? Wer jetzt im Rampenlicht der Stadtpolitik steht, darf sich mit aktuellen Bauprojekten wie etwa jenem für ein neues Kultur- und Kongresszentrum auseinandersetzen (das, so nebenbei gesagt, unsere volle Unterstützung verdient).

Allerdings: Das Stadtquartier Seefeld, in dem ich wohne, ist vor 100 Jahren entstanden, und das Haus, in dem ich bis eben lebte, vor 100 Jahren gebaut worden, zu einem Zeitpunkt also, als es in Thun noch fast beliebige räumliche Entwicklungsmöglichkeiten gab. Die Stadtentwicklung misst sich an solchen Zeiträumen viel eher als an vierjährigen Legislaturzyklen. Und grosse Herausforderungen erfordern grosse Pläne oder zumindest eine gross angelegte Planung. Ich stelle mir vor, wie froh ich in 50 Jahren als dann Hochbetagter sein werde, dass die Stadt Thun zu Beginn des 21. Jahrhunderts – gerade rechtzeitig – aufgebrochen ist, eine Lösung für das Wohnen im Alter zu finden.

Von dieser Lösung vorwegnehmen lässt sich dies: Alte werden noch Ältere betreuen und pflegen müssen, weil Jüngere dazu gar nicht in genügender Anzahl verfügbar sein werden und ein anderer Ansatz gar nicht finanzierbar sein wird. Wir werden neue und mit Sicherheit verdichtete Wohnformen entwickeln müssen, um der eingeschränkten Mobilität und zunehmenden Isolation im Alter zu begegnen. Wir werden aus rein versorgungstechnischen Gründen, aber auch um einer Gettobildung entgegen zu wirken, auf eine gesunde Durchmischung von Altersinfrastrukturen mit belebenden kommerziellen und kulturellen Angeboten achten müssen. Kurzum: Wir werden den Begriff des altersgerechten Wohnens ganz neu definieren und überlieferte Generationenkonzepte wie den „Stöcklivertrag“ über Bord werfen müssen.

Klar ist auch, dass die benötigten Alterskomplexe weitgehend privat und mit integralen Konzepten finanziert werden müssen. Sie werden auf Skaleneffekte angewiesen sein und folglich recht gross ausfallen. Die integrierte Versorgungsinfrastruktur beispielsweise in Form von Einkaufsangeboten wird Mehrverkehr generieren, der wiederum die ökologisch ausgerichteten Interessenvereinigungen als Opposition auf den Plan rufen wird.

In raum- und verkehrsplanerischer Hinsicht ist es keineswegs zu früh, sich ernsthaft mit möglichen Standorten für solche Alterskomplexe zu befassen. Angesichts der politischen Schwierigkeiten, denen Grossprojekte naturgemäss begegnen, und angesichts der heute nur noch geringen Entwicklungsmöglichkeiten ist die Aufnahme entsprechender Planarbeiten vermutlich sogar dringend angezeigt.

Bereits vor Jahren haben sich die politischen Gremien in unserer Stadt für den Aufbruch entschieden. Aufbruch heisst, die grossen Herausforderungen der Zukunft anzunehmen, die sich abzeichnenden Probleme bei den Hörnern zu packen und unsere Zukunft aktiv mitzugestalten. Eine unübersehbare Herausforderung für den, der sie sehen will, stellt die zukünftige Lebensqualität im dritten und vierten Lebensabschnitt dar. Packen wir sie an!

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Mein Bekenntnis zum Steuerwettbewerb

Die Schweiz gehört zwar zu den reichsten Ländern, doch seit 1974 liegt unser Wirtschaftswachstum unter dem Durchschnitt der übrigen OECD-Länder. Im Auf und Ab der Konjunktur liegt das Wirtschaftswachstum des Kantons Bern in Phasen des Aufschwungs sogar typischerweise unter demjenigen unseres ganzen Landes. Schwaches Wachstum aber generiert tendenziell weniger Arbeitsplätze, erschwert unsere Sozial- und Umweltpolitik, vermindert die Staatseinnahmen, senkt die Standortattraktivität, und verringert schliesslich unseren relativen Wohlstand. Deshalb gehört eine Wachstumsstrategie zur unserer Entwicklungspolitik auf der Grundlage: „Wer eine Leistung erbringt und mit Investitionen Risiken eingeht, muss Gewähr haben, dass er dafür belohnt und nicht behindert wird.“

Träger des Wirtschaftsaufschwungs können nur Unternehmen sein, insbesondere KMU, die investieren und Arbeitsplätze schaffen. Der Staat kann Wirtschaftswachstum nicht einfach verordnen, auch nicht mit dem Zauberwort „Cleantech“. Vielmehr soll er sich auf die Schaffung eines institutionellen Rahmens konzentrieren, in welchem produktive unternehmerische Initiative stärker belohnt wird als andere Formen wirtschaftlichen Handelns.

Glücklicherweise steckt in jeder Bürgerin und jedem Bürger ein „Unternehmer“. Welche Art Initiative sie oder er entfacht, entscheiden unter anderem die Rahmenbedingungen. Wo etwa im grossen Stil durch Subventionen umverteilt wird, regt sich natürlich eine Form von Unternehmertum, das insgesamt keine Mehrwerte schafft – ein Null-Summen-Spiel. Wo horrende Steuern den „Unternehmer“ plagen, wird er seine Gewinnsituation durch Massnahmen am Rande oder gar ausserhalb unserer Rechtsordnung zu optimieren wissen – ein Negativ-Summen-Spiel.

Leiten aber unsere Rahmenbedingungen die Bürgerin und den Bürger zu produktivem wirtschaftlichem Handeln an, so erfüllen solche „Unternehmer“ eine doppelte Rolle. Zum einen suchen und finden sie bis anhin ungenutzte Gewinnmöglichkeiten. Allein schon dadurch gewinnt die Wirtschaft an Effizienz. Zum anderen treiben sie Innovationen an, die einen effizienteren Ressourceneinsatz zur Folge haben. In solchen Veränderungen liegt der Kern wirtschaftlichen Wachstums: im Zuwachs des realen Produktionsausstosses aufgrund höherer Produktivität.

Zu den wirtschaftlich relevanten Rahmenbedingungen zählen zweifellos Fähigkeit und Wille eines Kantons zu Infrastrukturinvestitionen. Statt sich aber in einem ausgabenseitigen interkantonalen Wettbewerb (z.B. um Spitzenmedizin, Bundessubventionen) auszuzehren, ist Wettbewerb im Bereich der Besteuerung durchaus der gesündere Ansatz und geeignet, die Steuerquote zu senken. Insofern besteht keinerlei Anlass, den Steuerwettbewerb grundsätzlich zu verdammen oder gar zu verbieten, wie das die „Steuergerechtigkeitsinitiative“ der SP will. Mit der Ausgestaltung der direkten Bundessteuer als einer der Progression unterliegenden „Reichtumssteuer“ enthält unsere Rechnung bereits ein Element der gesellschaftlichen Umverteilung. Die kantonalen Steuern dienen aber in erster Linie der Finanzierung der öffentlichen Güter (Schulen, Strassen, Ordnungskräfte, …), die allen Bürgerinnen und Bürgern in gleicher Qualität und Quantität zur Verfügung stehen. Daraus, und aus dem Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, lässt sich kein Ruf nach einem progressiven oder noch progressiveren Steuersystem ableiten, sondern bestenfalls nach einem linearen. Eine Steuerbelastung proportional – und eben nicht überproportional – zum Einkommen stellt einen grösseren Arbeitsanreiz und damit eine bessere Rahmenbedingung für den wirtschaftlichen Aufschwung dar. Die „Steuergerechtigkeitsinitiative“ der SP, die Pflicht zur stärkeren Progression in den kantonalen Steuersystemen und die Aushebelung des Wettbewerbs lehne ich deshalb konsequent ab.

Umgekehrt wäre es völlig falsch, die kantonale oder kommunale Steueranlage als Standortfaktor über alle anderen Faktoren zu stellen, die zusammen die Standortattraktivität ausmachen. Genau das tut aber auf kommunaler Ebene die von Vertretern der SVP und FDP soeben lancierte Volksinitiative zur Senkung der städtischen Steueranlage in Thun von 1.74 auf 1.54 Einheiten. Der daraus für die Stadt zu erwartende Steuerausfall von über 10 Millionen Franken pro Jahr käme einem Kahlschlag gleich, der alle anderen Standortfaktoren sehr negativ beeinflussen würde. Wie falsch die von den Initianten getroffene Annahme ist, diese Form von Steuerdumping steigere die Attraktivität des Wirtschafts- und Wohnstandorts Thun wirksam und nachhaltig, zeigt der folgende Vergleich.

Die Schweiz ist ja bekanntlich ein Land der Mieter. Rund 60 Prozent unserer Landsleute wohnen zur Miete, und nicht für die Krankenkassen oder die Steuern geben die Schweizerinnen und Schweizer am meisten Geld aus, sondern für die Mieten. Dennoch wird niemand allen Ernstes behaupten wollen, bei der Wohnungssuche entscheide allein der Mietzins die Wahl. Neben Faktoren wie Grösse, Raumaufteilung und Ausbau spielen ganz gewiss die Besonnung, Lage, Nachbarschaft, Erschliessung mit dem öffentlichen Verkehr, mit Schulen und Einkaufsmöglichkeiten eine ebenso wichtige Rolle bei der Wohnungswahl. Die optimale Anbindung ans ÖV-Netz erlaubt unter Umständen den Verzicht auf das eigene Auto und den Autoeinstellplatz und damit den Entscheid für eine teurere Wohnung. Ein gutes Tagesschulangebot erlaubt vielleicht die Berufstätigkeit beider Elternteile, sichert ein höheres Familieneinkommen und eröffnet auch damit die Aussicht auf eine höherwertige Wohnung.

Genauso verhält es sich mit der Steueranlage. Sie ist zweifellos ein Faktor der Standortattraktivität – aber bloss einer unter vielen. Steuerwettbewerb ist solange zu begrüssen, als er nicht andere wichtige Standortfaktoren negativ tangiert oder gar das Funktionieren des betreffenden Gemeinwesens in Frage stellt.

Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, das Wachstumspotenzial und damit auch das Steigerungspotenzial der Steuerkraft verteilen sich nicht gleichmässig über den ganzen Kanton Bern. Als Lokomotive fungiert nach wie vor die Region Bern-Mittelland, wo rund 35% der Bevölkerung rund 55% des kantonalen Bruttoinlandprodukts erwirtschaften. Die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Kanton Bern soll sich deshalb auf die Achsen Thun-Bern-Biel und Bern-Burgdorf-Langenthal konzentrieren. Im tourismusstarken Berner Oberland liegt ein bedeutendes Wachstumspotenzial in einer bis heute weitgehend fehlenden echten regionalen Zusammenarbeit und einer ehrlichen Orientierung an internationalen Qualitätsstandards. Eine gelebte weltoffene, multikulturelle, tolerante und leistungsorientierte Gesellschaft ist auch hier Voraussetzung, um als Visitenkarte des Kantons noch erfolgreicher zu werden.

Der wirtschaftliche Aufschwung wird von der erwerbstätigen Bevölkerung getragen. Der Kanton Bern leidet aber nicht nur an einem im nationalen Vergleich unterdurchschnittlichen Bevölkerungswachstum, sondern an einer vergleichsweise ungünstigen Bevölkerungsstruktur: Die ältere Generation ist eher über-, jüngere Menschen eher untervertreten. Ohne Trendwende, die sich leider nicht abzeichnet, wird die bernische Bevölkerung bis 2030 um beinahe 10% schrumpfen und weitaus zahlreicher aus Rentnerinnen und Rentnern bestehen als heute. An einer Attraktivitätssteigerung unserer Region für Familien mit Kindern und einer effizienten Integration der häufig kinderreicheren ausländischen Wohnbevölkerung führt kein Weg vorbei. Auch so werden in bereits näherer Zukunft die Arbeitskräfte bei uns knapp, die unseren Wirtschaftsaufschwung und die öffentliche Finanzierung nachhaltig tragen sollen.

Sonntag, 10. Oktober 2010

Wessen Erbe tritt Thun an?

Wirtschaftsfeindlich sei die Haltung der Steuerbehörden, und sie würden Unternehmen „rüde behandeln“ und so vertreiben, ärgerten sich die bürgerlichen Vertreter im Stadtrat. Wann? Letzte Woche? Nein. Diese Klage ertönte schon im Jahr 1925. Auslöser waren Abwanderungsgelüste der Berner Firma Hasler aus Steuergründen. Der eigentliche Hintergrund aber war, dass kurz vorher die nicht gerade innovationsfreudige Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei BGB – Vorläuferin der heutigen SVP – die Mehrheit im Kanton übernommen hatte. Das war ein Wendepunkt in der Berner Wirtschaftsentwicklung. Von da an ging es gemächlich abwärts.

Nicht vom Thuner Stadtrat ist hier die Rede, sondern vom Parlament der Stadt Bern. Es ist auch nicht meine Rede, sondern wörtlich zitiert aus der Berner Zeitung vom 25. Oktober 2003, Seite 22. Ich würde nicht so weit gehen, der SVP die Schuld am Niedergang der Berner Wirtschaft anzulasten. Dennoch passt der BZ-Standpunkt vor acht Jahren gut zur Tagesaktualität in Thun und zum Anspruch unserer SVP, die einzige politische Kraft zu sein, die sich für die steuergeplagten Unternehmen und Bürger sowie die Gesundung der Stadtfinanzen einsetzt. Er passt wie die Faust aufs Auge.

Vergessen wir nicht das Berner Wirtschaftswunder, das dem Ersten Weltkrieg vorangegangen war. Der Berner Historiker Christian Pfister beschreibt es so: „In dieser Zeit (1885-1914) holte Bern die industrielle Revolution nach. Berner waren Pioniere auf dem Gebiet der Elektrifizierung. Zuerst mit ausländischem Kapital, dann mit Kantons- und Gemeindegeld wurden die ersten Flusskraftwerke gebaut, etwa in Wynau. Zwischen Burgdorf und Thun verkehrte 1899 die erste elektrische Vollbahn Europas. Und die subventionierte, 1913 eröffnete Lötschberg-Linie war die erste Gebirgsbahn Europas mit Wechselstrom. Sie war das Vorbild für die Elektrifizierung der SBB. Die zweite boomende Branche war – ausgehend von Interlaken – der Tourismus im Berner Oberland. Ab 1890 wurden binnen weniger Jahre Bahnen aus dem Boden gestampft – zuletzt die Jungfraubahn 1912. Im Kielwasser der Bahnen wurden auf der grünen Wiese die Hotelpaläste der „Belle Epoque“ hochgezogen. Die Leinenweberei und die Porzellanfabrik Langenthal versorgten die Hotels mit Geschirr und Stoffen. Heute würde man dieses Zusammenspiel als Innovationscluster bezeichnen.“

Träger des Wirtschaftswunders waren gemäss Pfister Angehörige der freisinnigen Grossfamilie, die bis etwa 1920 im Kanton Bern die Mehrheit innehatten. „Vorläufer der heutigen Freisinnigen hatten nach dem liberalen Umschwung von 1831 die Ansiedlung der Uhrenindustrie und den Aufschwung der Käsereien befördert. Uhren und Käse waren bis ins späte 19. Jahrhundert die tragenden Sektoren der Berner Volkswirtschaft. Die Lötschbergbahn 1913 und die Landesausstellung in Bern von 1914 waren dann aber die letzten Stufen des Berner Innovationsfeuerwerks.

Nach dem 1. Weltkrieg erholte sich die Konjunktur erst ab den 1950er Jahren langfristig. Und das neue Proporzwahlrecht verhalf der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei BGB, der späteren SVP, um 1920 zur Mehrheit in den Kantonsbehörden. Die BGB förderte die traditionalen Wirtschaftssektoren: die Landwirtschaft und das Kleingewerbe. Es siedelten sich auch kaum mehr grosse Unternehmen an.“

Das gilt insbesondere auch für Thun, das nicht mit den heute zugkräftigen Wachstumspolen Bern und Biel mithalten konnte, also eher zum Wagen als zur Lokomotive wurde. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass die Wirtschaftsschwäche und der Verschuldungsgrad der Stadt Thun schon 1958 ein Thema waren. So berichtete das Thuner Tagblatt am 29. Oktober 2008 in der Rubrik „Thun vor 50 Jahren“ in einem Beitrag des Stadtarchivs:

„16. Oktober 1958: Die Stadt Thun verschuldet sich immer mehr. Die fremden Mittel haben Ende 1957 die beängstigende Höhe von 57.5 Millionen erreicht. Dies entspricht einer Schuldenlast pro Kopf von zirka Fr. 2‘000.“

Überschlagsmässig haben sich die Schulden der Stadt Thun pro Kopf in den vergangenen 50 Jahren nominal mehr als verdoppelt. Absolut haben sie sich sogar ca. vervierfacht (von 57.5 Millionen auf 200 Millionen Franken).

Real, das heisst inflationsbereinigt, haben sie sich aber halbiert! 2‘000 Franken im Jahr 1958 entsprechen mit der Inflation 8‘173 Franken im Jahr 2007. 200 Millionen Schulden im Jahr 2007 verteilt auf 42‘300 Einwohner im Jahr 2007 ergibt 4‘730 Franken pro Einwohner (58% oder rund die Hälfte von 8‘173.‐).

Wer heute im Gemeindewahlkampf 2010 den Schuldenberg der Stadt Thun der jahrzehntelangen SP-Präsidentschaft von Ernst Eggenberg und Hansueli von Allmen anlasten will, ist gut beraten, das Geschichtsbuch etwas weiter zurückzublättern. Aufgrund der Faktenlage könnte die SP nämlich für sich beanspruchen, die städtischen Schulden pro Kopf der Bevölkerung unter ihrer Regentschaft halbiert zu haben. Deshalb möchte ich heute auch nicht entscheiden müssen, wessen Erbe wir in der Gemeinderatswahl vom 28. November 2010 mit der schwierigen Finanzlage der Stadt wirklich antreten: Das unmittelbare Erbe der SP Thun oder historisch jenes von BGB bzw. SVP des Kantons Bern.

Klar ist aber, dass entgegen der offiziellen Darstellung des amtierenden Gesamtgemeinderats und von SP-Finanzvorsteher von Allmen die strukturelle Schieflage der Stadtfinanzen keineswegs behoben ist. Die anstehende Debatte um den Voranschlag 2011 und den mittelfristigen Finanzplan der Stadt wird das in aller Deutlichkeit aufzeigen. Wessen Erbe wir auch immer antreten, es wird ein schweres Erbe sein, das aufzulösen unter Umständen eine Generationenaufgabe sein wird. Klar ist auch, dass jener Superman, der diese Schieflage im Nu beheben könnte, noch nicht geboren ist. Er steht im November 2010 auch nicht zur Wahl.

Im Bewusstsein dieser Ausgangslage verfechte und verfolge ich eine langfristig ausgerichtete Finanzpolitik. Mehr zu ihren konkreten Ansatzpunkten in einem folgenden Beitrag. Stay tuned!

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Filmriss im Thuner Wahlkampfprogramm

Die neueste Episode im Thuner Wahlkampfprogramm könnte den Titel tragen: „Steuern senken oder Heute bauen wir uns ein Luftschloss.“ Hauptdarsteller darin sind mein FDP-Stadtratskollege Hanspeter Aellig und der SVP-Stadtratsaspirant Lukas Lanzrein. Offenbar recht unbelastet von Detailkenntnissen der Stadtfinanzen erklären Sie die Zeit reif für eine Steuersenkung in Thun. Gemeinsam präsidieren sie ein jugendliches Initiativkomitee „für angemessene und tiefere Steuern“. Die Stadt Thun gäbe zu viel Geld für Projekte aus, welche entweder unsinnig und luxuriös seien oder nie zu Ende geführt würden. Mit Steuergeldern müsse verantwortungsvoller und sorgfältiger umgegangen werden.

Konkret fordern die Urheber per Volksinitiative eine Senkung der Steueranlage für die Stadt Thun um zwei Steuerzehntel von gegenwärtig 1.74 auf neu 1.54. In absoluten Zahlen bedeutete das einen Steuerausfall von rund 10 Millionen Franken pro Jahr.

Gemäss Aufgaben- und Finanzplan 2010-2013 der Stadt rechnet Thun für die Jahre 2011 bis 2013 mit Defiziten von 4 bis 5 Millionen Franken pro Jahr. Mit der seit Drucklegung des Plans beschlossenen kantonalen Steuergesetzrevision 2011 werden es eher Defizite von 6 Millionen Franken pro Jahr sein. Bei den Investitionen ist im selben Zeitraum mit Finanzierungslücken von rund 10 Millionen Franken pro Jahr und entsprechender Mehrverschuldung zu rechnen. Aus dem Bereich Sportstätten und Begleitprogramm Agglomerationsverkehr werden innert kürzester Zeit wahrscheinlich noch gegen 50 Millionen Franken zusätzlich an ungedecktem Finanzierungsbedarf und entsprechender Mehrverschuldung hinzukommen.

Im Rahmen der Budgetberatung im Stadtrat des Voranschlags 2011 und des Aufgaben- und Finanzplans 2011-2014 werden FDP und SVP im November – also noch vor dem Gemeindewahltermin vom 28. November 2010 – ausgiebig Gelegenheit haben darzulegen, auf welche „unsinnigen und luxuriösen“ Ausgaben bzw. Investitionen sie verzichten wollen.

Zwischenzeitlich rufe ich den Initianten bloss zu: „Träumt weiter, Jungs! Aber haltet euch fern vom Ruder, denn am Steuer der Thuner Stadtfinanzen habt ihr euch mit diesem Vorstoss disqualifiziert.“

Sonntag, 3. Oktober 2010

Wenn Banken wanken und Stadtfinanzen kranken

Letzthin haben wir im Thuner Stadtparlament eine Motion der SP betreffend „Keine Geschäfte mit Finanzinstituten mit Boni-Exzessen“ behandelt. Der Vorstoss wollte den Gemeinderat beauftragen, ein Reglement mit Kriterien aufzustellen, die Finanzinstitute erfüllen müssen, damit sie als Geschäftspartner der Stadt Thun in Frage kommen. Darunter fielen insbesondere Angaben über Höhe und Vergabepraxis der Boni, Abgangsentschädigungen und Lohnspanne in den Unternehmen.

Gemäss kantonaler Gesetzgebung und Thuner Stadtverfassung fallen der Finanzhaushalt und die Fremdmittelbeschaffung in die abschliessende Zuständigkeit der Exekutive. Der SP-Vorstoss war damit gar nicht motionsfähig. Ich habe ihn aber auch aus anderen Gründen abgelehnt.

Dass sich Bankmitarbeiter, Aktionäre, und Anleger über das Abzocken in den Chefetagen ihrer Institute ärgern und sich dagegen zur Wehr setzen, ist verständlich. Auch ich verurteile das extreme Lohngefälle in gewissen Grosskonzernen. Es hat nichts mehr mit Leistung und Verantwortung zu tun. Aber angesprochen sind hier nicht bloss Grossbanken.

Auch ich verurteile das Verstaatlichen von Verlusten aus Rettungsaktionen in der Finanzmarktkrise und sofort daran anschliessend wieder die Privatisierung von satten Gewinnen. Das ist absolut stossend.

Aber der Aufbau und die Pflege einer Bankbeziehung für eine Stadt wie Thun sind nicht vergleichbar mit dem Kaufentscheid vor der Früchteauslage im Supermarkt, wo es um die Wahl von Chiquita oder Max Havelaar geht. Eine Banane ist und bleibt eine Banane, aber die Banken treten in verschiedenen Rollen gegenüber der öffentlichen Hand auf: als Dienstleister im Zahlungsverkehr, als Kreditgeber oder auch als Anlageberater und –verwalter beispielsweise für die öffentlichen Pensionskassen. Die Interessenlage von Stadt und Bank ist je nach Rollenverteilung sehr unterschiedlich. Das öffentliche Interesse an mehr Lohngerechtigkeit bei den Banken ist dabei bloss ein Faktor, und häufig nicht der wichtigste.

Ich gehe in meinen eigenen politischen Forderungen an die Finanzwirtschaft wesentlich weiter und wesentlich näher an die Wurzeln des Übels als die SP. Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ist am Verabschieden eines Regelwerks von Eigenkapitalanforderungen, das als „Basel III“ bekannt ist. Die Zielrichtung dieser Massnahmen stimmt, aber sie sind dennoch völlig unzureichend.

Wir brauchen ordnungspolitische Eingriffe in die Finanzwirtschaft, namentlich die Aufteilung der heutigen Universalbanken in ein Trennbankensystem, in dem Zahlungsverkehr, Kreditvergabe und Immobilienfinanzierung, Vermögensverwaltung und Investmentbanking wieder getrennt sind. Die USA kannten eine solche Regelung im Glass-Steagall-Act, als Lehre aus dem Börsencrash von 1929 und der anschliessenden grossen Depression. Nach Aufhebung dieser Trennordnung 1999 haben in den USA jene Probleme ihren Anfang genommen, die das Land und teilweise auch Europa in die schwere Krise der Finanz- und Realwirtschaft gestürzt haben, in der wir immer noch stecken.

Weiter brauchen wir eine Reform unseres Geldsystems, welche die Hoheit über die Geldschöpfung und Geldmengensteuerung wieder zurück zum Staat bringt, namentlich zur Nationalbank. Dass sich die Gemeinden, Kantone und der Bund bei privaten Banken oder via private Banken verschulden, und umgekehrt private Banken aus der Geldschöpfung durch Kreditvergabe jährliche Gewinnbeiträge in zweistelliger Milliardenhöhe vereinnahmen, ist eine Perversion unseres monetären Systems. Die Möglichkeit der Grossbanken, variable Saläre in der Grössenordnung von 50 Millionen pro Topmanager auszuzahlen, ist nur ein Ausfluss dieser Perversion.

Die öffentliche Empörung über die Salarierungspraxis der Grossbanken ist verständlich und berechtigt. Aufgabe der Politik ist es aber, prioritär die viel gefährlicheren fortbestehenden systemischen Risiken in der Bankenwelt zu mindern. Lassen wir uns darin nicht beirren!

Mittwoch, 22. September 2010

Linke Sterbehilfe für das Thuner Investitionsklima

Wenn es nach dem Willen der Thuner SP und Grünen geht, soll das Investitionsprojekt von Credit Suisse-Manager und Deisswil-Retter Hans Ulrich Müller auf dem Thuner Schlossberg abgewürgt werden, noch bevor es, wie im Thuner Tagblatt angekündigt, am 29. September 2010 der Öffentlichkeit vorgestellt werden kann. Ein rascher Tod soll es sein: Der Würgegriff einer angekündigten Volksinitiative wirkt den Initianten offenbar zu langsam, denn für die morgige Stadtratssitzung haben sie statt dessen quasi als Giftspritze eine dringliche Motion angekündigt, mit der sie das noch unbekannte Projekt subito zu Fall bringen wollen. SP und Grüne leisten damit nicht nur einem konkreten und nach intensiven Verhandlungen nun offenbar spruchreifen Projekt aktive Sterbehilfe, sondern ebenso dem Investitionsklima in der Stadt. Der Gemeinderat wüsste im herbeigewünschten Todesfall sehr rasch, so naiverweise die Meuchler, mit welchen neuen Rahmenbedingungen er in die nächsten Vertragsverhandlungen steigen kann. Bloss überleben auf verbrannter Erde keine Keime für neue Projekte, und in einem vergifteten Investitionsklima wird es nichts zu verhandeln geben.

Das Ansinnen, ein so lange gesuchtes und noch gänzlich unbekanntes Projekt für die Neunutzung der Schlossbergliegenschaften unmittelbar abzutreiben, bevor es das Licht der Öffentlichkeit erblicken kann, ist verwerflich und zeugt von einer erbärmlichen Verhandlungskultur. Ich distanziere mich als Stadtrat in aller Form davon. Der langjährige Schlossvereinspräsident Markus Krebser wird sich die Frage gefallen lassen müssen, ob er die politischen Geister, die er in seinem Leserbrief im Thuner Tagblatt vom 9. September 2010 rief, denn auch im Zaum halten kann. Und der amtierende Stiftungsratspräsident des Schlossmuseums und alt SP-Gemeinderat Hans Kelterborn, der hinter den Kulissen kräftig Stimmung gegen das Projekt macht, wird sich fragen müssen, ob er seiner Institution nicht einen Bärendienst erweist, indem er unbesehen die Hand beisst, die indirekt sein Museum speist.

Vor dieser Art Stimmungsmache habe ich in meinem Beitrag vom 27. Juni 2010 gewarnt. Sie zielt auf den Lokalpatriotismus in der Stadt Thun, zieht ihre Kraft aber aus dem gespaltenen Verhältnis, das die Linke schon immer zur Vorstellung von privater Wohnnutzung an privilegierter Lage hatte – und sie verschweigt, wie die Zukunft der dringend unterhaltsbedürftigen Schlossbergliegenschaften angesichts der leeren Stadtkasse ohne Investor aussehen soll.

Die bisherige Kommunikationspolitik der Thuner Stadtregierung rund um das Projekt von Hans Ulrich Müller ist zu verurteilen. Das habe ich bereits vor Wochen getan. Dasselbe gilt für den mangelnden Einbezug des Schlossmuseums in die Verhandlungen. Das sind aber Defizite seitens des Gemeinderats, die nicht als Gründe dafür herhalten können, einem noch gänzlich unbekannten Projekt jetzt den politischen Todesstoss zu versetzen. Dazu bin ich nicht bereit.

Samstag, 7. August 2010

Zu einfach, zu billig und zu spät

Offener Brief an den Präsidenten
des Handels- und Industrievereins des Kantons Bern
Sektion Thun, Herrn Reto Heiz

Sehr geehrter Herr Präsident, Lieber Reto

Ich beziehe mich auf die Berichterstattung des Thuner Tagblatts in seiner heutigen Ausgabe zu einem Schreiben, das Sie im Namen von fünf lokalen Wirtschaftsverbänden an die bürgerlichen Parteien Thuns und die Medien versandt haben. Ich antworte Ihnen hier spontan in meinem eigenen Namen und – nachdem die öffentliche Diskussion dazu lanciert ist – in offener Form zuhanden der Präsidien und Vorstände der beteiligten Verbände. Ich mache diesen Schritt in der Auffassung, dass meine Partei nicht um Beihilfe der Thuner Wirtschaft in der Finanzierung unseres Wahlkampfs nachgesucht hat.

Zu einfach

Meine Damen und Herren, Sie machen es sich zu einfach! Das Thuner Tagblatt zitiert Hansueli Hirt mit der Aussage: „Unser Primärziel ist, dass Thun nicht weitere 16 bis 20 Jahre ein SP-Stadtpräsidium hat.“ Die Verhinderung einer politischen Partei kann doch aus Sicht der Thuner Wirtschaft, die ich im Übrigen beruflich ja auch vertrete, keine Zielsetzung sein. Natürlich sehnt man sich im Regen nach der Sonne, aber es gibt auch noch die Traufe. Sie kommen nicht umhin, das Klima näher zu umschreiben, das in Thun ab Legislaturwechsel neu herrschen soll.

Zu billig

Meine Damen und Herren, Sie verkaufen sich zu billig! Sie machen Ihre finanzielle Beihilfe allein abhängig von der Einigung der Parteien auf eine einzige gemeinsame Kandidatur für das Stadtpräsidium, unabhängig von der Natur des Kandidaten oder der Kandidatin. Würden Sie in Ihrem Betrieb die Personalverantwortung über eine Geschäftseinheit mit 400 Mitarbeitenden und die Budgetverantwortung über 250 Millionen Franken an einen Stellenbewerber übertragen unter der alleinigen Voraussetzung einer einzelnen Bewerbung?

Zu spät

Meine Damen und Herren, Sie kommen zu spät! Ihre Wortmeldung erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem mit Ausnahme der FDP alle Parteien ihre Nominationen für das Stadtpräsidium teilweise schon lange bekannt gegeben haben. Jeder Rückzieher zu diesem Zeitpunkt würde von der Öffentlichkeit als Nachgeben unter dem Druck der Wirtschaft gesehen, als Einschränkung der wünschenswerten Wahlfreiheit der Wählerinnen und Wähler und als fragwürdige Einflussnahme Ihrer Verbände auf einen urdemokratischen Prozess.

Meine Erwartung und mein Versprechen

Ich erwarte von Ihren Verbänden, dass Sie sich mit allen nun bekannten Nominationen für das Stadtpräsidium anhand eines nachvollziehbaren Anforderungskatalogs auseinandersetzen und verspreche Ihnen hier öffentlich, dass ich der erste Bewerber sein werde, der auf die offizielle Einreichung seiner Kandidatur bei der Stadtkanzlei zugunsten eines besser geeigneten bürgerlichen Kandidaten bzw. einer Kandidatin verzichten wird, sollte dieser Kandidat oder diese Kandidatin die formulierten Anforderungen der Thuner Wirtschaft nachweislich besser erfüllen als ich.

Als Vertreter der Thuner Wirtschaft vertraue ich in dieser verbindlichen Zusage darauf, dass Sie einen Katalog an Qualifikationskriterien anwenden werden, welcher der Führungsverantwortung des Stadtpräsidiums angemessen ist. Als Kriterium der Wirtschaftsnähe mag Ihnen das einschlägige Rating der Kandidierenden dienen, das Smartvote für die kantonalen Wahlen dieses Jahres erstellt hat, und das unter www.smartvote.ch als Analyse („Liberalisierungs-Rating, wirtschaftlich“) für Thun abrufbar ist.

Wie weiter?

Ohne direkte Auseinandersetzung Ihrer Verbände mit den bekannten Nominationen werden sich die angesprochenen politischen Parteien in meiner persönlichen Einschätzung nicht einigen können. Die angedrohte Strafe eines Finanzierungsverzichts ist kein angemessenes Mittel der Interessenwahrung für die Thuner Wirtschaft. Hansueli Hirt beklagt im Thuner Tagblatt: „Aber die Politik macht nicht mit.“ Ich rufe Ihnen zu: Dann machen Sie als Thuner Wirtschaft mit! Sie sind gefordert, und mein Versprechen gilt.

Freundliche Grüsse

Konrad Hädener
CVP-Stadtrat und
Kandidat für Gemeinderat und Stadtpräsidium

Mittwoch, 4. August 2010

Künstler, Kulturschaffende und Kanarienvögel

Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Unter diesen Titel stellt der österreichische Autor Ingo Baumgartner sein witziges Kurzgedicht, das folgenden Vers enthält: „Näher rückt das Unbehagen / Es hinkt, will nichts sagen. / So erwäge ich einen Vergleich.“

Ein Unbehagen hat auch den Schweizer Autor Daniel de Roulet beschlichen. Er hat ihm Ausdruck verliehen und einen Vergleich gewagt: „Wir, Künstler und Kulturschaffende, sind gleichsam wie der Kanarienvogel der Schweizer Gesellschaft, er singt, aber der Bergarbeiter ist so beschäftigt, dass er ihn nicht hört.“ Den Bezug zum Bergbau stellt er einleitend in seinem Kanarienvogelmanifest so her: „In die unterirdischen Grubengänge von einst pflegte der Bergarbeiter einen Kanarienvogel mitzunehmen, der ihn bei Gefahr warnen sollte. Fing der Kanarienvogel an zu singen, war das ein Vorzeichen, dass Unheil in der Luft lag, Brandgefahr oder gar eine Explosion.“

Nun ist es leider vielmehr so, dass der hier bemühte Kanarienvogel das Unheil in der Grube nicht durch seinen reizenden Gesang angezeigt hätte, sondern indem er tot von der Stange fiel, vergiftet vom geruchlosen Grubengas Kohlenmonoxid, das die Bergleute als „böses Wetter“ fürchteten. Als Warner vor den als „schlagende Wetter“ gefürchteten Methangas-Ansammlungen, die für viele Untertageexplosionen verantwortlich sind, war er leider weniger zuverlässig. Im Baulärm eines Bergwerks geht zudem wohl jeder Kanariengesang ungehört unter.

Diese Unstimmigkeit im Manifest von Daniel de Roulet nagt leider an dessen Aufhänger und wird den Literaten ärgern – und mit ihm jene Hunderte Kulturschaffende, die das Kanarienvogelmanifest mit unterzeichnet haben. Tote Kanarienvögel singen nun einmal nicht.

Aber Gefahr liegt sehr wohl in der Luft. Die Brandstifter sind unterwegs. Es gilt, den immer dreisteren Anflügen von Rassismus in unserem Land entschieden entgegen zu treten oder, um es mit Gottfried Keller zu halten, vor das Haus zu treten und zum Rechten zu schauen.

Ich begrüsse die Initiative „Kunst und Politik“, in die sich das Kanarienvogelmanifest einreiht. Die Stimme der Kunst und Kultur wird gehört und spricht mit anderer Autorität als diejenige der Politik. Ich freue mich auf die Fortsetzung des Duetts Kunst+Politik. Es muss ja kein Vogelgesang sein.

Sonntag, 11. Juli 2010

SVP-Halali zur Treibjagd auf die Ausländer

Bei Nationalrat Adrian Amstutz weiss man, woran man ist. Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Mit seiner Kolumne im Thuner Tagblatt vom 3. Juli 2010 hat er aber die Grenze zur Demagogie überschritten: „Es wird geschlagen und gemordet. Es wird gestohlen und vergewaltigt. Es wird mit Frauen und mit Drogen gehandelt. Und es werden Privatpersonen, Firmen und Sozialwerke betrogen. Bei all diesen Delikten stellen ausländische Kriminelle einen überdurchschnittlich hohen Anteil, und es ist höchste Zeit, diese verheerende Entwicklung mit einem klaren Tarif endlich zu stoppen … “ Dass dieser Tarif durch die SVP-Ausschaffungsinitiative erlassen und durchgesetzt werden soll, versteht sich von selbst.

Mit dem Wahlkampf 2007 ist die Problematisierung des Fremden zu einem zentralen Thema in der Agenda der SVP geworden. Durch die Zuschreibung, Ausländer oder bestimmte Ausländergruppen seien kriminell, gewalttätig oder integrationsunwillig zeichnet die SVP gezielt ein Bild, das Distanz erzeugen soll. Die mediale Resonanz dieser Typisierung verstärkt das Bild noch. In ihren zahlreichen Gegenreaktionen plädieren die Mitte- und Linksparteien auf Differenzierung in der „Ausländerproblematik“. Sie warnen die SVP vor Fremdenfeindlichkeit und einem Abgleiten in den Rassismus. Was in der Kontroverse aber unwidersprochen im Raum stehen zu bleiben droht, ist der Zusammenhang zwischen Ausländern und Kriminalität.

Die Frage ist also: Verhalten sich Ausländer tatsächlich krimineller als Schweizer, wie Adrian Amstutz dies so eindringlich postuliert? Wer dieser Frage auf den Grund gehen will, stösst rasch auf eine Unsicherheit in der Auffassung von „Ausländer“. Ist damit die Gruppe von Ausländerinnen und Ausländern gemeint, die einen Wohnsitz in der Schweiz aufweisen und somit einen Ausländerausweis besitzen? Oder meint man eine zweite Gruppe von Asylbewerbern, die zwar keinen Schweizer Wohnsitz, aber eine Aufenthaltserlaubnis bei uns haben? Oder gar eine dritte Gruppe, die sich aus Touristen, Durchreisenden sowie Personen zusammensetzt, die sich illegal in der Schweiz aufhalten?

Im Weiteren ist zu entscheiden, welche Kriminalstatistik man zu Rate ziehen will. Die polizeiliche Kriminalstatistik stützt auf die erstatteten Anzeigen nach schweizerischem Strafgesetzbuch ab. Die Strafurteilsstatistik der Schweiz hingegen weist die Tätigkeit der Gerichte aus und stellt auf die tatsächlich erfolgten Verurteilungen aufgrund schweizerischen Rechts während eines Erhebungsjahres ab. Genau diese Richtertätigkeit der „Kuscheljustiz“ kritisiert Amstutz ja aber als deutlich zu lasch.

Glücklicherweise gibt es eine hinlängliche Untersuchung des Bundesamts für Statistik „Zur Staatszugehörigkeit von Verurteilten – Kriminalistische Befunde“ aus dem Jahr 1996. Sie geht diese definitorischen und untersuchungstechnischen Unsicherheiten explizit und statistisch-methodisch korrekt an und kommt zu sehr klaren Aussagen.

Demnach haben wir bezüglich Kriminalitätsrate kein Ausländerproblem, sondern ein Männerproblem: 86% sämtlicher Verurteilten sind Angehörige des männlichen Geschlechts. Und die Hälfte ist zwischen 18- und unter 30jährig.

Bei der durchschnittlichen schweizerischen Wohnbevölkerung sind 46% der mindestens 18jährigen männlichen Geschlechts; bei der ausländischen Wohnbevölkerung sind es 59% und bei den Asylsuchenden 81%.

In der Sprache der Statistik gesprochen stammen die vier Verurteiltengruppen – Schweizer Wohnbevölkerung, ausländische Wohnbevölkerung, Asylsuchende und durchreisende Ausländer – aus unterschiedlichen Grundgesamtheiten mit unterschiedlich strukturierter Zusammensetzung hinsichtlich der soziodemographischen Merkmale Geschlecht und Alter.

Nach Differenzierung der strafrechtlich Verurteilten nach Alter und Geschlecht ergeben sich für die schweizerische und ausländische Wohnbevölkerung etwa gleich hohe Verurteiltenraten. Asylsuchende werden etwas häufiger verurteilt.

Die Einbeziehung von Geschlecht und Alter in die Analyse zeigt, dass es für das Verurteilungsrisiko wichtigere Bestimmungsgrössen als die Nationalität gibt. „Ausländerkriminalität“ wird damit relativiert. Andere Merkmale wie Geschlecht und Alter müssen zur Erklärung herangezogen werden. Bei der SVP hat man das entweder nicht begriffen, oder es steckt ein anderes Kalkül hinter der Ausschaffungsinitiative als vermeintliche statistische Erkenntnisse.

Die Liste der Gründe für eine Ablehnung der Ausschaffungsinitiative ist lang. Der Vorstoss missachtet wichtige Verfassungsgrundsätze, ist durchzogen von juristischen Mängeln und lässt Vollzugsschwierigkeiten ohne Ende erwarten. Vorab aber legitimiert sich die Initiative durch einen Sachverhalt, der in der postulierten Form schlicht nicht existiert.

Mittwoch, 7. Juli 2010

Open Source Software: Der Schuss ins eigene Knie

Laut ist das Wehklagen der schweizerischen Open Source Software (OSS)-Gemeinschaft über den gestrigen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts. Auf die hängige Klage einer OSS-Firmengruppe gegen die freihändige Vergabe eines Lizenzauftrags des Bundes an Microsoft will das Gericht nämlich nicht eintreten und spricht den Beschwerdeführern die Legitimation ab. Insbesondere will das Bundesverwaltungsgericht nicht in die Informatikstrategie des Bundes eingreifen.

Meine früheren Ausführungen zu diesem Verfahren finden mit dem gestrigen Gerichtsurteil ihre Bestätigung. Für die Verfechter des OSS-Modells droht der Entscheid zum Schuss ins eigene Knie zu werden. Sie haben quasi ohne Not in einem fahrenden Schnellzug die Notbremse gezogen, um mit der Bahngesellschaft über ihren Fahrplan oder das Rollmaterial zu diskutieren. Nachdem das gesuchte Medienecho zu diesem Eingriff abgeebbt ist, bleibt die Konsternation der Mitpassagiere über die erfahrene Verspätung und die Irritation der Bahn über die illegitime Intervention. Eine erhöhte Gesprächsbereitschaft oder gar vermehrte Sympathien für die durchaus berechtigten Anliegen der OSS-Gemeinschaft sind von den beteiligten Bundesstellen nach diesem Vorfall kaum zu erwarten.

An den Stellungnahmen der unterlegenen Beschwerdeführer zum Entscheid irritiert u.a. der schrille Sukkurs von Mitgliedern des eidgenössischen Parlaments. Die Parlamentariergruppe „Digitale Nachhaltigkeit“ geht so weit, sich die Medienmitteilung der beschwerdeführenden OSS-Firmen zu Eigen zu machen. Das ist eine Form von Instrumentalisierung, die mit parlamentarischer Arbeit „ohne Instruktion“ schwerlich in Einklang zu bringen ist. Erstaunlich ist auch die Verve, mit der diese Parlamentsvertreter das Bundesverwaltungsgericht wegen seines Entscheides massregeln – Vertreter jener Legislative nota bene, die sich in diesen Tagen über alle Parteigrenzen hinweg am Beispiel des Luzerner Bundesrichters Hans Wiprächtiger lauthals jegliche Einmischung der Richter in die Politik verbittet. Offenbar hallt der Appell an die Gewaltentrennung sehr ausgeprägt nur in die eine Richtung.

Ein Hoffnungsschimmer zeichnet sich immerhin in der Formulierung des Co-Präsidenten der Parlamentariergruppe, Christian Wasserfallen, zu diesem Fall ab: „Während viele Kantone und Unternehmen auf strategische Projekte mit Open Source Software setzen, stellt sich der Bund gegen Wettbewerb und Innovation.“ Seine Wortwahl lässt erkennen, dass auch er – unter anderen Vorzeichen wohlgemerkt – ein Primat der Informatikstrategie über die technologisch bedingungslose öffentliche Ausschreibung sieht.

Viel öfter als es die aktuellen Skandalrufe der OSS-Gemeinschaft vermuten lassen, macht die Bundesverwaltung im Rahmen von öffentlichen Ausschreibungen von IT-Projekten nämlich technische Vorgaben, die abwechselnd Microsoft- bzw. OSS-Technologien oder -Produkte aus den Angeboten verbannen. Der Wettbewerb spielt, bloss lässt er sich nicht immer am Fall eines einzelnen Beschaffungsvorhabens in seiner vollen Breite zum Vorteil der öffentlichen Hand inszenieren.

Sonntag, 27. Juni 2010

Thuner Schlossberg als Zankapfel?

„Was passiert auf dem Schlossberg?“, fragt das Thuner Tagblatt in breiter Aufmachung in seiner Ausgabe vom 26.06.2010. Die Frage ist berechtigt, denn die Kommunikationspolitik des Thuner Gemeinderats zu diesem Geschäft ist mit Verlaub – zum Sujet passend – mittelalterlich. Von der Regierung einer Stadt mit Tradition in der Herstellung von Schiesspulver dürfte man eigentlich erwarten, ein Pulverfass zu erkennen, wenn sie eines sieht, insbesondere wenn sie wiederholt auf die dem Umnutzungsgeschäft inhärente Brisanz hingewiesen wird.

So hat die bislang zuständige Sachkommission 1 des Stadtrats auf meinen Antrag hin das Geschäft erst kürzlich traktandiert – gegen den Willen des Gemeinderats und unter dem Aspekt der Sicherstellung der Interessenwahrung des Schlossmuseums. Die Beratungen dieser Kommission sind nicht öffentlich, aber so viel sei gesagt: Ich habe mich von den Ausführungen des Gemeinderats zum Vorgehen im anstehenden Vertragsabschluss mit dem Investor sehr explizit als nicht überzeugt erklärt. Doch der Weg zum Abschluss eines Baurechtsvertrags mit dem anvisierten Investor liegt in der alleinigen Kompetenz des Gemeinderats. Und der will sich offensichtlich von Warnungen vor vorprogrammierten Nutzerkonflikten nicht beirren lassen.

Die Ausführungen von Hans Kelterborn in seiner Funktion als Stiftungsratspräsident des Thuner Schlossmuseums gegenüber dem Thuner Tagblatt bestätigen meine Bedenken. Das zukünftige konstruktive Nebeneinander von öffentlicher und privater Nutzung ist jetzt mit dem Investor zu regeln, bevor die Vertragsparteien einander gegenseitig definitiv verpflichten. Ein überzeugendes Nutzungskonzept des bekannten und erfahrenen Investors müsste dieser breiteren Diskussion standhalten.

Zu Stimmungsmache nach dem Motto „Das Schloss den Thunern“ besteht aber kein Anlass. Bei allfälligen Konflikten auf dem Schlossberg geht es um Fragen der gemischten öffentlichen und privaten Nutzung, nicht um die Eigentumsverhältnisse. Erinnert sei an den Umstand, dass die Schlossbergliegenschaften während langen Jahrhunderten eben gerade nicht den Thunern gehört haben, sondern dem Kanton Bern. In einem Akt von Hurra-Patriotismus hat der Thuner Stadtrat am 21. September 2006 gegen meine Stimme die historischen Gebäude auf dem Schlossberg vom Kanton übernommen – und damit auch die grosse Verantwortung für deren Unterhalt und Zukunft.

Der nun mindestens inoffiziell bekannt gemachte Investor hat mein Vertrauen. Ich wünsche mir, dass er sich seinerseits einer offenen und direkten Auseinandersetzung mit den berechtigten Anliegen des Schlossmuseums stellt. Nur so ist eine zukünftige Symbiose auf dem Schlossberg zu erwarten, von der sowohl die Stadt Thun, die Trägerschaft des Schlossmuseums und seine Besucherinnen und Besucher ebenso wie die Investor-Familie profitieren können.

Samstag, 19. Juni 2010

Linux auf dem geordneten Rückzug

Im Kanton Solothurn scheint die Vernunft Einkehr zu halten. Die Anpassung der kantonalen Open-Source-Informatikstrategie fordert ein prominentes Opfer: IT-Chef und Linux-Hardliner Kurt Bader wird seines Postens enthoben und auf Ende Juni freigestellt. Er teilt in der Ambassadorenstadt damit das Schicksal der Stadtheiligen Urs und Viktor. Dass er ausserhalb der Open-Source-Community und insbesondere innerhalb der Verwaltung auch zum Märtyrer wird, wage ich zu bezweifeln.

Sie solothurnische Staatskanzlei schreibt dazu in einer Medienmitteilung: „Mit der flächendeckenden Desktop-Umstellung auf Linux ist die Umsetzung der Strategie in eine Phase getreten, in welcher sich die Frage stellt, wie kompromisslos heute schon die Arbeitsplatzausrüstung auf Open-Source-Produkte erfolgen soll. Erste Ergebnisse der vom Regierungsrat beigezogenen Experten zur Überprüfung der Strategieumsetzung zeigen, dass ein differenziertes Vorgehen erforderlich ist und Microsoft basierte Anwendungen zum heutigen Zeitpunkt nicht in jedem Fall im vom AIO vorgesehenen Umfang ausgeschlossen
werden können.“

In der Kritik steht neben der Solothurner Informatikstrategie, die 2001 von der Regierung und vom Kantonsrat als „Sparübung“ beschlossen wurde, auch der verantwortliche Regierungsrat und Finanzdirektor Christian Wanner (FDP). Heute räumt er in einem Bericht des Oltner Tagblatts vom 18. Juni 2010 ein, dass sich das Open-Source-Umfeld nicht so entwickelt habe wie angenommen. Tiefer als angenommen fallen laut Wanner auch die erwarteten Kosteneinsparungen aus. Konkret wollte er aber nicht werden. Die Schlussexpertise zur IT-Strategie wird erst im Sommer vorliegen.

Den Medienberichten zufolge verhehlt Wanner nicht, dass sich die künftige Strategie an jener des Kantons Basel-Stadt orientiert. Dort soll Open-Source-Software mit einem „differenzierten und pragmatischen Ansatz“ gefördert werden. Differenziert in der Hinsicht, dass die Software jeweils in den verschiedenen Domänen der Informatikarchitektur untersucht wird und nicht auf die Glaubensfrage „Windows versus Linux reduziert wird“. Pragmatisch in dem Sinne, dass der Nutzen bewährter und im Einsatz stehender lizenzgebührenpflichtiger Software sowie des damit verbundenen Know-hows anerkannt und „daher ein dualer Weg beschritten wird“.

Vorerst soll nun die Solothurner Gerichtsverwaltung „linuxbefreit“ und mit neusten Microsoft-Anwendungen aufgerüstet werden.

Freitag, 11. Juni 2010

Nichts für Kinder ist der Türkentrank

Blass und krank mache er einen und sei nichts für Kinder, der Türkentrank. Wer von uns erinnert sich nicht an die Singstunde, in der Carl Gottlieb Herings Kanon „C-A-F-F-E-E“ auf dem Programm stand? Ob der Lehrer und Musiker Hering selbst dem Trank entsagt hat, wissen wir nicht, aber zu vermuten ist es. Immerhin erreichte er in seinem Todesjahr 1853 das für damalige Verhältnisse biblische Alter von 86 Jahren.

Aktueller als die Geschichte vom Kaffee wäre diejenige vom Muselmann. Aber darum geht es mir heute nicht. Zu berichten ist in der Tat vom Kaffee – von einem Kaffee-Erlebnis der besonderen Art.

Im Februar 2010 hat mich das Thuner Tagblatt im Vorfeld der kantonalen Wahlen als Kandidat gefragt, mit wem ich denn gerne einmal einen Kaffee trinken würde und warum? Mit einem der bekannten Thuner Baristi Mathias Bühler, Thomas Liebe oder Philipp Meier, habe ich geantwortet. Weil ich Kaffeegeniesser sei und ich ihre Kunst bewundere.

Nun, das Thuner Tagblatt wird gelesen, und diese Woche ging mein Wunsch in Erfüllung. Auf Vermittlung meines Leichtathletik-Freundes Stefan Illi war ich bei Thomas und Anna Barbara Liebe in Allmendingen zum privaten Kaffee-Zeremoniell eingeladen. Degustriert haben wir einen äthiopischen Kaffee aus der Provinz Sidamo, aus biologischem Anbau und fairem Handel, importiert und geröstet von Daniel Suter in seiner Gourmet-Kaffeerösterei derkaffee im emmentalischen Signau (erhältlich unter www.derkaffee.ch). Verkostet haben wir den Sidamo mittlerer Röstung zuerst als Filterkaffee, dann als Cappuccino und schliesslich als Espresso, mit und ohne Zucker.

Dass der Gewinner der Schweizer Barista-Meisterschaft 2008 Thomas Liebe dabei nichts dem Zufall überliess, versteht sich von selbst. Dass das Wasser während der Filter-Extraktion des Kaffees zwischen 92 und 96 Grad heiss war, überwachte er mit dem Digitalthermometer. Dass der Mahlgrad des Kaffees richtig war, bestätigte ihm die Espressomaschine, indem der Kaffee 4-7 Sekunden nach dem Knopfdruck zu laufen begann. Genau genommen müssen in 25 Sekunden 25 Milliliter Espresso aus der Maschine fliessen.

Das Resultat dieser Akribie war überwältigend: Ein intensiv fruchtiger Espresso von feiner Säure, ohne Bitterkeit. Die für meinen Geschmack ausnahmsweise gezuckerte Variante bildete den Höhepunkt und zugleich den Abschluss unserer Degustation im kleinen Kreis.

Niemand wird erwarten, dass Thomas Liebe seine Arbeit an der Kaffeemühle und –maschine kommentarlos verrichtete. Der diplomierte Industriedesigner, der 1996 seine Firma Ad Rem Design AG gründete, erläuterte uns jeden Handgriff und fand dabei noch Zeit für Exkurse in seine frühere Tätigkeit für die Verpackungsindustrie.

Heute darf ich sagen: Ich bewundere nicht bloss seine Barista-Kunst, sondern auch sein Engagement und seine Leidenschaft als Designer. Sein neuestes Kind, die professionelle Espressomaschine dc pro aus dem Hause Dalla Corte, tritt auch in Italien ihren Siegeszug an. Man stelle sich vor: Chromglänzendes Schweizer Design aus Thun auf den Altären italienischer Kaffeetempel!

Lieber Thomas, lieber Stefan, ich bin beeindruckt. Herzlichen Dank für das vermittelte Kaffee- und Design-Erlebnis!

Donnerstag, 20. Mai 2010

Sterben muss jeder, zahlen nicht

Zu den kulturpolitischen Errungenschaften unserer Gesellschaft zählt, dass heute auch völlig mittellosVerstorbenen ein Begräbnis in Würde zuteilwird. Wo man früher die Armen einfach verscharrte, springt heute das Gemeinwesen ein und übernimmt die sonst ungedeckten Kosten einer anständigen Grablegung. Auf diese Errungenschaft wollen wir keinesfalls verzichten. Das will auch der Thuner Stadtrat nicht mit seinem revidierten Bestattungs- und Friedhofsreglement.

Wenn der Nachlass einer verstorbenen Person allerdings die Bestattungskosten zu decken vermag, was in unserer Wohlstandsgesellschaft glücklicherweise der Regelfall ist, soll nicht der überstrapazierte öffentliche Haushalt zusätzlich belastet werden. Diese Neuregelung schmälert nicht die Würde der verstorbenen Person oder der trauernden Angehörigen, sondern höchstens den Nachlass.

Mit einem Nein zur Reglementsrevision tun wir nichts für unsere Toten. Hingegen sichert uns ein Ja an der Urne einen minimalen Spielraum für die Lebenden. Es geht um die Finanzierung von unverzichtbaren öffentlichen Leistungen und Infrastrukturen für alle Lebensabschnitte: Jugend, Familie, Altersversorgung. Deshalb ein Ja zur Reglementsänderung!

Mittwoch, 24. Februar 2010

Passivmitglied in der EU

Nationalrat Adrian Amstutz betreibt mit seiner Kolumne im Thuner Tagblatt Markenpflege, und das sei ihm durchaus unbenommen. Bloss hält es die Leserschaft nicht immer mit Witwe Bolte bei Wilhelm Busch: “… wofür sie besonders schwärmt, wenn er wieder aufgewärmt.“

In diesem Fall hätte ich aus der spitzen Feder des Nationalrats gerne etwas mehr, neuen und treffenderen Klartext zum provokativen Titelthema EU-Beitritt gelesen. Man muss kein flammender Europa -Befürworter sein um festzustellen, dass es mit unserer Autonomie im so genannt autonomen Nachvollzug von EU-Regelungen in jüngerer Zeit nicht sehr weit her war. Das Stichwort Bankkundengeheimnis liefert der Autor ja gleich selber.

Faktisch sind wir heute Passivmitglied der Europäischen Union und zahlen fleissig unseren Mitgliederbeitrag. Bloss fehlt uns das Stimmrecht in den EU-Institutionen. Unsere Freihandelsgemeinschaft EFTA ist ein Auslaufmodell. Das richtige Stichwort wäre hier deshalb Island – nicht Griechenland, wie der Kolumnist anführt.

Unter diesem Titel ist es mit Spott allein nicht getan, mit dem NR Amstutz die mehrheitlich rot-grüne Regierung des Kantons Bern überzieht. Nicht dass ich mich für sie stark machen wollte – etliche der aufgeführten Kritikpunkte teile ich durchaus.

Sonntag, 14. Februar 2010

Griechische Tragödie in helvetischer Aufführung

Griechenland droht der Staatsbankrott. Eine dramatische Schuldenkrise macht das Land praktisch zum Paria-Staat innerhalb der EU. Die sozialistische Regierung Papandreou kündigt ein längst überfälliges rigoroses Sparprogramm an, das laut letzten Umfragen weit über 60 Prozent der Bürgerinnen und Bürger als notwendig erachten und mitzutragen bereit sind.

Ungeachtet aller Realitäten machen die griechischen Linksparteien und Gewerkschaften mobil gegen die Rettungsmassnahmen der Regierung, zu denen auch eine Anhebung des durchschnittlichen Rentenalters um 2 Jahre auf 63 Jahre zählt, um den Zusammenbruch des maroden Sozialversicherungssystems abzuwenden.

Hiesige Medienberichte zitieren griechische Gewerkschaftsführer mit Aussagen wie diesen: „Das ist ein Krieg gegen die Arbeiter. Wir werden mit Krieg antworten.“ „Die Einkommen der Arbeiter dürfen nicht schon wieder auf dem Altar der Plutokratie geopfert werden.“ „Wir streiken, um unsere Würde zu verteidigen.“

Ein von der mächtigen Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes ausgerufener landesweiter Streik im öffentlichen Dienst hat am Mittwoch den Flugverkehr lahmgelegt. Schulen, Finanzämter und Universitäten blieben geschlossen. In öffentlichen Krankenhäusern gab es offenbar nur einen Notdienst. Für den 24. Februar hat der nationale Gewerkschaftsbund einen Generalstreik ausgerufen.

In der schweizerischen Inszenierung dieses Trauerspiels heissen die Parolen unserer Gewerkschaften: „Nein zum Rentenklau. Für viele Arbeitnehmende wäre im Alter ein Leben in Würde gefährdet.“ „Die zweite Säule wird zu einem Selbstbedienungsladen für die Versicherungsgesellschaften.“ „Die Lüge vom 600 Millionen-Rentenloch – dieses existiert nicht.“

Ausschlaggebend für die vom Parlament verabschiedete Revision des Bundesgesetzes über die berufliche Vorsorge (BVG) ist einerseits die kontinuierliche Zunahme der Lebenserwartung unserer Rentnerinnen und Rentner und andererseits die zurzeit ungenügende Rendite auf risikoarmen Anlagen, mit welcher die Pensionskassen den bisherigen Mindestumwandlungssatz auf dem Alterskapital nicht finanzieren können.

Die politische Linke und die Gewerkschaften markieren mit Bildern von Taschendiebstahl empört den Rentenklau und mobilisieren mit Blick auf die Volksabstimmung vom 7. März 2010 Widerstand mit einem Appell an den Egoismus der Stimmberechtigten. Ganz bewusst sprechen sie von drohenden Rentenkürzungen, statt einer Reduktion des Rentenumwandlungssatzes. Dass beispielsweise 1991 bei einer Jahresteuerung von fast 6 Prozent und einem problemlos realisierbaren Bruttoertrag von 5 Prozent das jeweilige Alterskapital real um 1 Prozent dahin schmolz, wird tunlichsts ausgeblendet. Dafür beharrt die Linke heute bei völlig ausbleibender Teuerung auf einer unrealistischen Rendite von 5 Prozent.

Das Referendum gegen die vorliegende BVG-Revision ist sachlich unbegründet. Der Abstimmungskampf der SP und Gewerkschaften nährt sich vom Zorn vieler Stimmberechtigter, und bedient sich seiner, über das Geschäftsgebaren der Grossbanken und einzelner Versicherungskonzerne, über eigene erlittene Verluste auf Vermögensanlagen der 3. Säule und Lohnexzesse in den Führungsetagen einst angesehener Unternehmen. Der populistische Abstimmungskampf dient der Linken zur Profilierung, ebenso wie die SVP die Abzocker-Initiative von Thomas Minder an sich reisst, um damit bei der Wählerschaft zu punkten.

Die von Bevölkerungsstatistik und Versicherungsmathematik technisch geprägten Argumentarien pro und kontra und der emotionalisierte Abstimmungskampf sind ein Streit um des Kaisers Bart. Wer kann die Entwicklung der Lebenserwartung oder der Finanzmärkte auf 40 Jahre hinaus vorhersagen? Die Kontroverse ist eine Folge der Überregulierung und Verpolitisierung der beruflichen Vorsorge, die ihren Anfang 1985 mit der Einführung des Obligatoriums genommen hat.

In diesem Sinn bedeutete die drohende Ablehnung der Vorlage an der Urne nicht den Zusammenbruch unseres Sozialversicherungssystems. Allerdings ist diesfalls zu erwarten, dass die Alternativen – Anhebung des Rentenalters, Anhebung der BVG-Beiträge – dieselben Akteure kurz über lang zu einer neuen Inszenierung desselben Schauspiels in diesem Theater aufbieten werden.

Der Leuchtturm der SVP

Ein schlauer Fuchs sei er, mit untrüglichem politischem Instinkt ausgestattet, der Chefstratege und Übervater der Schweizerischen Volkspartei. Christoph Blocher fasziniert zurzeit die Medien mit seinem handstreichartigen Schulterschluss mit Anti-Abzocker-Initiant Thomas Minder. Der Coup ist gelandet, und Blocher macht entsprechend Schlagzeilen als neue Speerspitze im Kampf gegen Lohnexzesse in den Chefetagen der schweizerischen Unternehmen.

Schliesslich wird er wissen, wovon er redet. Wie die NZZ am Sonntag heute berichtet kassierten Christoph Blocher, Martin Ebner und Peter Sjöstrand von 1992 bis 1998 zusammen 67 Mio. Franken an persönlichen Honoraren als Verwaltungsräte der Beteiligungsgesellschaft Pharma Vision. Allein im Jahr 1997 bezog Blocher allein aus seinem Mandat als VR-Präsident der Pharma Vision ein Honorar von 6,8 Mio. Franken.

Grosse Männer werfen halt lange Schatten – Leuchttürme allemal.

Donnerstag, 4. Februar 2010

Geldreform, die ich meine

Als gesetzliche Zahlungsmittel gelten in der Schweiz:

  • die vom Bund ausgegebenen Münzen;
  • die von der Schweizerischen Nationalbank ausgegebenen Banknoten;
  • auf Franken lautende Sichtguthaben bei der Schweizerischen Nationalbank.

Abschliessend festgeschrieben ist es so im Artikel 2 des Bundesgesetzes über die Währung und die Zahlungsmittel (WZG).

Überraschenderweise nicht zu den gesetzlichen Zahlungsmitteln zählt das heutige Zahlungsmittel Nummer 1: Sichtguthaben (besser bekannt als Giro- oder Kontokorrentguthaben) bei den Geschäftsbanken oder Postfinance. Was, wenn nicht Geld im Sinne des Gesetzes, sind denn diese Guthaben?

Sie sind ein Geldersatz, ein Surrogat. Bilanztechnisch sind sie ein Bargeldkredit der Kunden an die Bank. Konsequenterweise erscheinen sie auch in der Bilanz der Bank, und die Bank behandelt sie als „ihr Geld“, das ihr der Kunde als Darlehen zur Verfügung gestellt hat. Die Illusion des Kunden, der immer noch „sein Geld“ auf dem Kontokorrent wähnt, entpuppt sich im Falle eines Bankencrashs brutal: „Das Geld“ ist weg – die Spar- und Leihkasse Thun lässt grüssen.

Störend an diesem Sachverhalt ist, dass

  • das wichtigste Zahlungsmittel des Landes heute ungesetzlich ist;
  • der Staat Bürger und Unternehmen in seinem eigenen Girozahlungsverkehr anhält, ungesetzliches Bankengeld anstelle seines eigenen Geldes zu verwenden;
  • die Bankbilanzen durch die Sichtguthaben der Kunden über Mass aufgebläht werden;
  • der Staat angerufen wird, die Kontokorrentguthaben der Kunden bei den Geschäftsbanken mindestens in begrenztem, aber zunehmendem Umfang abzusichern gegen die Geschäftsrisiken dieser privaten Institute;
  • die Banken dieses Geldsurrogat nach eigenem Belieben und mit unglaublichem Gewinn herstellen können, ohne dass die Schweizerische Nationalbank noch bestimmenden Einfluss darauf hätte.

Von all diesen Störfaktoren stellt die lukrative Geldherstellung oder -schöpfung durch die Privatbanken den grössten Reformbedarf dar. Wie diese virtuelle Notenpresse funktioniert, haben M. Sophie Faber und Eveline Ruoss von der Schweizerischen Nationalbank in einer Lehrerinformationsschrift im Jahr 2000 anhand des folgenden Beispiels in den Grundzügen aufgezeigt.

Gehen wir zunächst von einer Welt ohne Geschäftsbanken aus, in der die von der Nationalbank ausgegebenen Noten das einzige Zahlungsmittel bilden. Die Geldmenge ist dann gleich der Summe der umlaufenden Noten und beträgt zum Beispiel 1000 Franken. Nun wird Bank A gegründet, worauf das Publikum sämtliche Noten bei dieser Bank deponiert und dafür einen Zinsertrag erhält. Die Geldmenge beträgt immer noch 1000 Franken. Sie besteht aber nicht mehr aus Banknoten, sondern aus Sichteinlagen bei Bank A.

Bank A ist sich bewusst, dass das Publikum seine Sichteinlagen jederzeit abziehen kann. Sie weiss aber auch, dass dies kaum alle Einleger gleichzeitig tun werden. Deshalb behält sie nur einen Teil der Noten als Reserve und gewährt mit dem Rest einen Kredit, für den sie einen Zins verlangen kann. Nehmen wir an, dass sie 20% oder 200 Franken als Reserve zurückbehält und den Rest, d. h. 800 Franken ausleiht. Damit hat Bank A die Geldmenge, d.h. die Zahlungsmittel in den Händen des Publikums, um 800 Franken auf 1800 Franken erhöht. Die 1800 Franken setzen sich aus 1000 Franken in Form von Sichteinlagen und 800 Franken in Form von Banknoten zusammen.

Der Geldschöpfungsprozess ist damit nicht zu Ende. Der Kreditnehmer bezahlt mit den 800 Franken Waren und Dienstleistungen, worauf der Verkäufer die erhaltenen Noten bei der inzwischen entstandenen Bank B deponiert. Bank B schreibt die 800 Franken dem Verkäufer als Sichteinlage gut, behält 20% als Reserve und leiht den Rest von 640 Franken aus. Sie schafft damit für 640 Franken neues Geld. Der Kreditnehmer der Bank B kauft damit Güter und Dienstleistungen.

Die Noten werden bei Bank C einbezahlt, die wiederum 20% als Reserve behält und den Rest von 512 Franken ausleiht. Damit haben die drei Banken bereits für 1952 Franken neues Geld geschaffen und die ursprüngliche Geldmenge von 1000 Franken fast verdreifacht. Der Geldschöpfungsprozess kann sich auf diese Weise noch einige Zeit fortsetzen. Die neu gewährten Kredite und die entsprechenden Depositen werden aber immer kleiner, da die Banken stets 20% als Reserve zurückbehalten. Das Ende des Prozesses ist erreicht, wenn die ursprüngliche Summe von 1000 Franken für Reserven aufgebraucht ist. Bei einem Reservesatz von 20% ist das dann der Fall, wenn alle Banken zusammen für insgesamt 4000 Franken Kredite gewährt haben und die gesamte Geldmenge damit 5000 Franken beträgt.

Obwohl der Staat ein Geldregal, also ein Vorrecht auf Geldschöpfung besitzt, hat er es sich von den Privatbanken aus der Hand nehmen lassen. Im vorliegenden Beispiel haben die Geschäftsbanken aus 1000 Franken Nationalbankgeld 4000 Franken zusätzliches Bankengeld quasi aus dem Nichts geschöpft und den entsprechenden Geldschöpfungsgewinn privat vereinnahmt. Hinzu kommen stattliche Margengewinne aus der Zinsdifferenz zwischen Geldmarktzinsen und Kontokorrentzinsen.

Statt vom Staat weitere Garantieleistungen für die risikoexponierten Kontokorrentguthaben bei den Privatbanken zu verlangen, oder gesetzgeberisch in die Salärsysteme dieser Finanzinstitute eingreifen und die Gewinnbeteiligungen ihrer Manager begrenzen zu wollen, tut eine viel offensichtlichere und griffigere Gesetzesreform not:

  • Die Sichteinlagen (Giroguthaben) bei den Geschäftsbanken müssen zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt werden. Aus Giralgeld, einem Geldersatz, wird damit Vollgeld.
  • Die Ausgabe der gesetzlichen Zahlungsmittel als staatliches Vorrecht ist strikt auf die Nationalbank zu begrenzen.
  • Die Giroguthaben bei den Geschäftsbanken sind folglich aus deren Bilanzen auszugliedern.

Damit würden die Geldschöpfungsgewinne ausschliesslich dort anfallen, wo sie hingehören, nämlich beim Staat. Das jährliche Wachstum der Geldmenge M1 in der Schweiz beträgt im 5-Jahres-Mittel beinahe 10 Milliarden Franken. Gemäss Statistik der Schweizerischen Nationalbank hat sich die Geldmenge M1 zwischen Juni 2008 und Juni 2009 aber um über 110 Milliarden Franken ausgeweitet. Ich wage mir nicht auszumalen, was dem öffentlichen Finanzhaushalt hier an Geldschöpfungsgewinn entgangen ist.

Weiter wären die Kontokorrentguthaben der Kunden bei den Geschäftsbanken ebenso sicher wie die Bundesobligationen im Wertschriftendepot dieser Banken.

Und drittens kämen die Bilanzsummen der Grossbanken ebenso wie ihre Geschäftsgewinne damit in einen vertretbaren Bereich zu liegen, der vermutlich auch eine weitere Diskussion über die Kaderboni erübrigte.

Sonntag, 17. Januar 2010

Parkraumkonzept Thun: Alter Wein in neuen Schläuchen

Die Vernehmlassungsfrist zum Entwurf eines neuen Parkraumkonzepts für die Stadt Thun ist abgelaufen. Die Vorlage präsentiert sich als eigentliches „Parkraumaufhebungskonzept“, holt bisherige Planungsversäumnisse nicht nach und verschlechtert die bereits unbefriedigende Situation im Bereich Aarefeld / Bahnhof SBB / Seefeld.

In seinen wesentlichen Aspekten übernimmt das Parkraumkonzept alle bestehenden relevanten Planungsgrundlagen unverändert und ohne sie zu hinterfragen, inklusive der bekannten Planungslücken und -leichen im Gebiet Lachen/Schadau und Parkhaus City Süd. Es erhebt zwar keinen Anspruch auf eine Neuplanung, ist daneben aber auch lediglich alter Wein in neuen Schläuchen.

Ausgehend vom politischen Vorentscheid über den bevorzugten Standort im Schlossberg für ein zukünftiges Parkhaus City Ost befasst sich das Konzept in weiten Teilen mit der Aufhebung von bestehenden Parkplätzen und plant und begründet diese deutlich konkreter und detaillierter als die Schaffung der Voraussetzungen für die Aufhebung. So wird es zum eigentlichen „Parkraumaufhebungskonzept“. Die finanziellen Aspekte der Parkhausplanung und vorgesehenen Aufhebungen sind lückenhaft dargestellt. In dieser Hinsicht schliesst das Konzept die bestehenden Lücken im Aufgaben- und Finanzplan 2010-2013 keineswegs und trägt auch der fehlenden Machbarkeit aus finanziellen Gründen der Parkierungsanlage City Süd in keiner Weise Rechnung.

Das Konzept versäumt es, die bisherigen Erfahrungen mit der flächendeckenden Parkplatzbewirtschaftung aufzuarbeiten und insbesondere punktuell negative Aspekte für die Aussenquartiere zu korrigieren. Es erfüllt insgesamt die Erwartungen nicht und ist zur Überarbeitung zurückzuweisen.

Dienstag, 5. Januar 2010

Ethik eines Schuldenerbes?

Gestern haben Jürg Schönholzer, Lotti Pfeiffer und Peter Reinhard vom Thuner Seniorenrat rund 1‘700 Unterschriften auf der Thuner Stadtkanzlei deponiert, die sie gegen das neue Bestattungs- und Friedhofsreglement gesammelt hatten. Damit ist das Referendum gegen den einstimmigen Stadtratsbeschluss zur Aufhebung der unentgeltlichen Bestattung für Thunerinnen und Thuner vom 26. November 2009 zustande gekommen, und die Stimmberechtigten werden voraussichtlich am 13. Juni 2010 darüber abstimmen können.

Für diesen Stadtratsbeschluss übernehme ich persönlich Verantwortung: Der politische Auftrag dazu stammt aus der Arbeitsgruppe Aufgabenverzichtsplanung (AVP) und wurde unter meinem Vorsitz erarbeitet. Die ethischen Bedenken des Referendumskomitees aus den Reihen des Seniorenrats sind mir keineswegs fremd. Die Gegner der Massnahme blenden aber leichtfertig aus, dass auch die Alternativen keineswegs ethisch unbedenklich sind.

Das Komitee wendet sich gegen „eine Kommerzialisierung des Todes“. Die Finanzierung der öffentlichen Hand über Steuern und Gebühren verdient nie die Bezeichnung Kommerz. Wenn schon müsste von einer „Oekologisierung des Todes“ gesprochen werden. Anlass zur Massnahme bot nämlich der dringende Sanierungsbedarf des Thuner Krematoriums mit einer teuren Rauchgasfilterung. Angesichts der dazu fehlenden Investitionsmittel haben wir sogar die Schliessung des Krematoriums in Betracht gezogen, aber nicht zuletzt aus Pietätsgründen verworfen.

Tatsache bleibt, dass die Stadt Thun auch mit der nun bekämpften Massnahme 2010 anstehende Investitionen nur durch Neuverschuldung im Umfang von 7-11 Mio. Franken tätigen kann. Bis Ende 2013 werden es rund 40 Mio. zusätzliche Schulden sein, bis 2020 wohl über 75 Mio. Wie das Referendumskomitee vor diesem Hintergrund zum Bild eines finanziellen Rosenbetts kommt und wie es die Ethik dieses Schuldenerbes gegenüber unseren Nachfahren vertreten kann, entzieht sich meiner Einsicht.

Wir alle wünschen uns und unseren Angehörigen nach dem Ableben einen würdevollen Umgang mit unserer sterblichen Hülle. „Die kostenlose Bestattung der Verstorbenen ist eine wegweisende kulturpolitische Errungenschaft des letzten Jahrhunderts“, gab Jürg Schönholzer in einem Bericht des Thuner Tagblatts vom 10. Dezember 2009 zu bedenken. Der Stadtrat schaffe nun diese Errungenschaft aus rein finanziellen Überlegungen wieder ab.

Als wirkliche gesellschaftliche Errungenschaft mag gelten, dass diese Würde heute allen Leuten unabhängig von ihrem Vermögensstand zuteil wird, solange der öffentliche Haushalt ausreichend finanziert wird. Die vom Stadtrat einstimmig beschlossene Massnahme hilft mit, diese Finanzierung sicherzustellen.