Samstag, 8. November 2014

Energiepolitische Träume, Visionen, Ziele

„I have dream“ war der Titel und Refrain einer historisch herausragenden Rede von Martin Luther King am 28. August 1963 am Lincoln Memorial in Washington D.C. „I have a dream today!“ Sein Traum handelte von der Rassengleichheit in den USA – jenen Vereinigten Staaten, in denen noch 50 Jahre später ein einzelner Polizeieinsatz heute jederzeit eine Rassenunruhe provozieren und zum gesellschaftspolitischen Flächenbrand machen kann. Der Traum von Luther King ist bislang Traum geblieben. Dennoch hat er zwischenzeitlich unendlich viel bewegt. Träume sind wichtig. Sie können den Lauf der Geschichte prägen. Sie haben den Menschen auf den Mond gebracht.

In einem vom Thuner Tagblatt eingeladenen Streitgespräch mit meinem grünen Stadtratskollegen Thomas Hiltpold habe ich kürzlich die 2000-Watt-Gesellschaft als Traum, bestenfalls als Vision, für die Schweiz bezeichnet, aber nicht als eine realistische Zielsetzung. Denn wie im Projektmanagement oder der Personalführung sollen auch in der Politik die gesetzten Ziele spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch, terminiert – eben SMART – sein. Als politische Zielsetzung für die Schweiz erfüllt die 2000-Watt-Gesellschaft mehrere dieser Kriterien nicht.

Die Vorstellung von einer 2000-Watt-Gesellschaft sieht einen maximalen Primärenergieverbrauch von 17’500 Kilowattstunden pro Person und Jahr vor (2000 Watt multipliziert mit 8760 Jahresstunden). Das entspricht heute etwa dem globalen Durchschnittsbedarf eines Menschen. Darin sind alle energierelevanten Aktivitäten enthalten, d.h. der Energieverbrauch für Wohnen und Arbeiten, zur Herstellung von Gütern und Nahrungsmitteln, Betrieb von Infrastruktur, Stromverbrauch sowie Energieverbrauch für Mobilität (Auto, Flugzeug, öffentlicher Verkehr). Einzubeziehen sind auch der – politisch gerne vergessene – Verbrauch von importierten Gütern und der darin enthaltenen grauen Energie.

Wo stehen wir diesbezüglich heute? In der Schweiz liegen wir derzeit bei rund 5000 Watt, und das ohne graue Energie, die noch einmal knapp 4000 Watt ausmacht. Ein grosser Teil der Menschheit
muss dagegen mit weniger als 1000 Watt pro Kopf auskommen. Der Traum von der 2000-Watt-Gesellschaft handelt also von der Senkung unseres Primärenergieverbrauchs auf rund einen Fünftel.

Der Kanton Bern strebt gemäss seiner Energiestrategie 2006 bis ins Jahr 2035 die „4000-Watt-Gesellschaft“ an. Das entspricht gerade etwa dem heutigen Konsum an importierten Waren. Wir hätten daneben weder gewohnt, gearbeitet, gegessen, noch gebauert, gebaut oder gereist. Und diesen Wert gälte es für eine 2000-Watt-Gesellschaft noch zu halbieren.

Was also ist dieser Wert von 2000 Watt wirklich? Die Berner Energiestrategie bezeichnet ihn als „Fernziel“. Die Stadt Zürich, die schon länger ein umfassendes Nachhaltigkeitsmonitoring betreibt, und deren jüngere Nachhaltigkeitswerte seit Jahren stagnieren, schreibt in ihrem letzten Nachhaltigkeitsbericht: „Die Zürcher Bevölkerung ist auch bei weitem noch keine 2000-Watt-Gesellschaft. Dafür ist ihr Ressourcenverbrauch deutlich zu hoch.“ Aber Zürich sei dennoch „ambitioniert unterwegs“.

Ich meine, wir sollten mit dem Begriff der 2000-Watt-Gesellschaft sehr vorsichtig umgehen. Entscheidend sind nicht die 2000 Watt allein, sondern ist auch, wie sie erzeugt werden.

Wir brauchen mehr Energieeffizienz, Sparmassnahmen und neue Technologien. Bis 2050 werden wir damit unseren Verbrauch sozial verträglich jedoch höchstens um ca. 30% senken können. Dass wir 2000 Watt pro Kopf nicht erreichen, ist aber für das Klima nicht entscheidend. Angesichts des Klimawandels müssen wir vor allem die CO2-Emissionen möglichst rasch senken. Das langfristige Ziel liegt bei einer Tonne CO2 pro Kopf und Jahr oder 500 Watt pro Kopf aus fossilen Quellen. Das ist etwa 6 Mal weniger als heute und erfordert grosses Umdenken und den Einsatz aller nichtfossilen Energieträger. Die 2000-Watt-Gesellschaft soll dabei als langfristiger Wegweiser dienen – als Ausdruck unserer Ambitionen, Wohlstand und nachhaltige Energieversorgung unter einen Hut zu bringen. Sie ist ein Traum – auch meiner – der so wegweisend sein kann wie 1963 jener von Martin Luther King.

Gemäss revidiertem kantonalem Energiegesetz müssen die grösseren Gemeinden im Kanton Bern innerhalb von 10 Jahren einen Richtplan Energie vorlegen. Die Gemeinden Thun, Steffisburg, Heimberg und Uetendorf haben sich entschlossen, gemeinsam einen überkommunalen Richtplan Energie zu erarbeiten. Damit sollen Raumentwicklung und Energienutzung besser aufeinander abgestimmt, die Energieeffizienz erhöht, die erneuerbaren Energieträger gefördert und die Leitlinien der künftigen Energieplanung für die vier Gemeinden festgelegt werden. Gemäss Baugesetz ist der Richtplan für die Gemeindebehörden verbindlich.

Die Mobilität bzw. der Energieverbrauch für den privaten und öffentlichen Verkehr ist nicht Gegenstand des überkommunalen Richtplans Energie. Dies entspricht den kantonalen Vorgaben und ist darin begründet, dass die Kompetenzen für den Energieverbrauch von Fahrzeugen beim Bund liegen und nicht beim Kanton oder den Gemeinden.

Der überkommunale Richtplan besteht aus drei Teilen: der Richtplankarte, den Massnahmenblättern und den zugehörigen Erläuterungen. Die Massnahmenblätter enthalten die grundlegenden Angaben für die Umsetzung des Richtplans Energie. Jede Massnahme ist in einem separaten Massnahmenblatt beschrieben. Das Massnahmenblatt Nr. 28 beschreibt ein Förderprogramm, dessen Gegenstand als „Förderung erneuerbare Energien, Reduktion Energiebedarf und Steigerung der Energieeffizienz in Ergänzung zu Förderprogrammen von Bund und Kanton“ umschrieben wird. Zur Finanzierung dieses Förderprogramms hat der Thuner Gemeinderat dem Stadtrat an dessen Sitzung vom 13. Dezember 2013 die Schaffung eines überkommunalen Förderfonds Energie beantragt. Geäuffnet hätte er werden sollen über eine Förderabgabe von 0.7 Rp./kWh auf den Stromlieferungen in den Gemeinden Thun, Steffisburg und Heimberg. Die Gemeinde Uetendorf hätte den Fonds aus den schon bisher erhobenen Abgaben gespeist.

Der Thuner Stadtrat hat die Schaffung dieses Fonds abgelehnt. Auch ich habe dagegen votiert und dagegen gestimmt, und zwar mit dieser Begründung:
  • Das Förderprogramm gemäss Massnahmenblatt Nr. 28 ist mit einer Ablehnung nicht grundsätzlich in Frage gestellt, geschweige denn der Richtplan als Ganzes.
  • Das Wirkungs-/Aufwandverhältnis der vorgesehenen Massnahme wäre zu schlecht. Sie würde als Tropfen verdunsten, noch bevor sie den heissen Stein erreicht.
  • Die öffentliche Intervention ist nicht gerechtfertigt angesichts der auch ohne diesen Eingriff erzielten Verbesserungen in Energieeffizienz und erneuerbaren Energien.
Der letzte Punkt lässt sich eindrücklich anhand einer vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme aus Freiburg im Breisgau entwickelten Darstellung illustrieren. Sie misst den Fortschritt der Energiewende, gemessen am Anteil regenerativer Energien am Primärenergieverbrauch und der Energieeffizienz (Bruttoinlandprodukt pro Primärenergieverbrauch):



Der „Energy Transformation Index (ETI)“ erlaubt es, nationale Fortschritte beim Umbau des Energieversorgungssystems hin zu mehr erneuerbaren Energien und Energieeffizienz zu messen und vergleichbar zu machen. Die hierzulande im Laufe der letzten 20 Jahre erzielten signifikanten Verbesserungen der Energieeffizienz machen uns in dieser Hinsicht zum Weltmeister.

Bei der Debatte um die Ausgestaltung der künftigen Energiepolitik entsteht zuweilen der Eindruck, dass der angestrebte Umbau der Energieversorgung eine Erfindung der Post-Fukushima-Ära sei. Dabei wird verkannt, dass sowohl der Ausbau der erneuerbaren Energien als auch die Verbesserung der Energieeffizienz bereits seit geraumer Zeit Realität sind. Vor allem ihre Energieeffizienz hat die Schweiz dank der Massnahmen der Wirtschaft markant verbessert. Anlass genug, den Fokus auf die Optimierung dieser bewährten Instrumente zu richten, anstatt jeweils reflexartig neue Regularien und Lenkungen zu schaffen.

Im Mai 2011 hat der Bundesrat entschieden, unsere fünf bestehenden Kernkraftwerke am Ende ihrer Betriebsdauer stillzulegen und nicht durch neue Kernkraftwerke zu ersetzen. National- und Ständerat haben sich diesem Grundsatzentscheid angeschlossen. Diese Stossrichtung erhöht einerseits den Anteil regenerativer Energien am Mix, erschwert andererseits aber klar die Erreichung des oben erwähnten Klimaschutzziels. Im Gegensatz zu früheren Atomausstiegsinitiativen, die alle vom Volk an der Urne verworfen worden sind, ist die neue Energiestrategie 2050 des Bundes bislang an keiner Volksabstimmung geeicht. Sie scheint aber einem politischen Konsens zu entsprechen, dem ich mich persönlich keineswegs entziehe.

Auf dem vermutlich steinigen Weg entlang dieser Energiestrategie sind auf jeden Fall und mit aller Vorsicht die Fehler zu vermeiden, welche die bundesdeutsche Energiewende auszeichnen:
  • Ungebremste Subventionierungskosten (in Deutschland bis zu einer Billion Euro, nämlich rund EUR 700 Mrd. für den Ausbau der erneuerbaren Energien, weitere EUR 300 Mrd. für den notwendigen Netzausbau)
  • Die Stromschwemme von hochsubventioniertem Solarstrom macht Investitionen in neue Pufferanlagen (Gaskraftwerke, Pumpspeicherwerke) unrentabel. Stattdessen feiert die Kohle ein Comeback, vor allem die besonders klimaschädlichen Braunkohle-Kraftwerke laufen auf Hochtouren.
  • Dank gesetzlichem Einspeisevorrang von „grünem“ Strom Verdrängung von klassischen Kraftwerken, die für die Versorgung mit Grundlaststrom unentbehrlich sind.
  • Vernachlässigung der europäischen Dimension: Nationale Massnahmen zeitigen internationale Folgen.
Diese Fehler bekommt die Schweiz auch so bereits verschiedentlich zu spüren. Bedenklich ist insbesondere der einsetzende Ausverkauf am nationalen Übertragungsnetz. Zurzeit stehen 47% der Swissgrid-Aktien zum Verkauf, weil Alpiq und BKW sich von ihren Anteilen am Übertragungsnetz trennen wollen bzw. müssen. Das Übertragungsnetz ist eine Infrastruktur von nationalem strategischem Interesse erster Güte.

Der besonnene Gang entlang der neuen Energiestrategie 2050 schliesst einen forcierten Ausstieg aus der Kernenergie aus, die bisher rund 40% unserer Stromversorgung sicherstellt. Insofern schreibe ich der Kernenergie in der Schweiz vorläufig eine Zukunft zu.

Belgiens neue Energieministerin Marie-Christine Marghem hat die Frage nach dem Atomausstieg ihres Landes bis 2025 diese Woche im Interview mit der flämischen Tageszeitung Het Laatste Nieuws so formuliert: „Celui qui prétend aujourd’hui que notre pays peut se passer de l’énergie nucléaire à moyen ou même à long terme, ment. Ou n’est pas réaliste.“

Sonntag, 12. Oktober 2014

Die Mär vom schlanken Staat

Am 10. Oktober 2014 stellte die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats (GPK-S) ihren Bericht über den Beizug externer Mitarbeitender in der Bundesverwaltung der Öffentlichkeit vor. Er stützt sich auf eine umfangreichere Untersuchung der parlamentarischen Verwaltungskontrollen, die gleichzeitig veröffentlicht wurde.

In der Samstagsausgabe vom 11. Oktober 2014 der Tageszeitungen Der Bund und Tagesanzeiger berichtete Christian Brönnimann über diese Befunde. Seinen Bericht ergänzte er mit dem folgenden Interview mit mir.


Sie kritisieren, der Bund beschäftige viel zu viel externes Personal, speziell im IT-Bereich. Als IT-Unternehmer könnten Sie doch gerade davon profitieren.
Meine Kritik zielt auf den Umfang des externen Personalbeizugs. Die riesigen Vergabevolumen führen dazu, dass nur noch Personalverleihfirmen zum Handkuss kommen können und nicht mehr eigentliche Informatikunternehmen. In vielen Ausschreibung wird heute offiziell gefordert, dass man im Verleihgeschäft tätig sein muss. Das schliesst spezialisierte mittelständische Firmen aus.

Wer sind denn die Profiteure?
Teilweise haben die Personalverleiher ihre Wurzeln tatsächlich im Informatikbereich. Sie passten aber ihr Geschäftsmodell an, schlossen sich beispielsweise dem Gesamtarbeitsvertrag Personalverleih an oder gründeten dazu ein Tochterunternehmen. Das macht man als Firma nicht leichtfertig, sondern nur dann, wenn man ganz bewusst dieses Geschäft pflegen will. Ein grosser Player im IT-Personalverleih ist die international tätige Unisys.

Wie gross ist die Marge bei Personalverleihern?
Es ist ein Geschäft, das man grundsätzlich als Briefkastenfirma führen kann. Es gibt lediglich Minimalanforderungen für die Bewilligung. Eine gewisse Führungserfahrung im Personalbereich reicht aus. Eine oder zwei Person können so einen Mitarbeiterstab von 250 Spezialisten oder mehr vermarkten. Da liegen Margen von hundert Prozent drin.

Versuchen Sie mit Ihrer Kritik nicht einfach bessere Bedingungen für das eigene Geschäft zu schaffen?
Das könnte man einwenden. Aber dem ist entgegenzuhalten, dass die heutigen Praxis der Verwaltung nicht nur höhere Kosten bringt, sondern noch weitere Nachteile. Wenn die Verwaltung einfach externes Personal holt mit der einzigen Vorgabe, dass die Leute eine gewisse Ausbildung haben müssen, dann verliert die Verwaltung auch Kontrolle und trägt gleichzeitig das volle Projektrisiko. Es besteht zudem die Gefahr, dass externe IT-Teams zusammengewürfelt sind und schlecht harmonieren. Mit Werkverträgen hingegen könnte die Verwaltung auch die Verantwortung und das Risiko outsourcen. Um Werkverträge korrekt abzuwickeln, fehlt aber häufig das IT-fachliche Know-how.

Gegen Vergaben sind Einsprachen möglich. Weshalb wehren sich KMU, wie Sie eines führen, nicht stärker gegen die Praxis der Verwaltung?
Es gibt bei Vergaben bestimmte Formvorschriften. Wenn die eingehalten sind, dann fehlt die Grundlage für eine Einsprache. Wenn, wie in letzter Zeit vermehrt gemacht, in einer einzigen Ausschreibung sehr viele Vorhaben paketiert und Zehntausende Arbeitsstunden en bloc eingekauft werden, ist das juristisch nicht per se anfechtbar. Zumindest gibt es dazu kein Leiturteil des Bundesverwaltungsgerichts.

In einem Vortrag sprachen Sie bezüglich dieser Praxis von einem schleichenden Skandal, der Korruption begünstige. Wie meinen Sie das? Das Korruptionsrisiko ist bei solchen Mega-Ausschreibungen tatsächlich beträchtlich. Das liegt daran, dass die effektiven Projekte ohne Publikation im kleinen Kreis mit den wenigen im Voraus bestimmten Personalverleihern abgewickelt werden. Das ist intransparent, und die Kontrolle des Marktes versagt völlig. In der IT-Szene kennt man sich und schaut aufeinander. Bei Rahmenverträgen im Personalverleih ist das unmöglich.

Was schätzen Sie, wie viel Geld könnte der Bund mit einer anderen Praxis allein im IT-Bereich einsparen?
Die Alternative wäre ja, dass die Verwaltung ausser vorübergehend für Spezialisten oder die Bewältigung von temporärer Spitzenlast alle Personen selber anstellen würde. Ich stimme mit der Untersuchung der GPK überein, dass so heutige Mehrkosten von bis zu 50 Prozent eingespart werden könnten, also um die 200 Millionen Franken.

Hat sich die Politik ins eigene Fleisch geschnitten mit klammen Budgets und Personalstopp? Schliesslich muss ja jemand die anfallende Arbeit erledigen.
Es ist fast ein Naturgesetz, dass jede Verwaltung einen gewissen Hang zu Wachstum hat. Ebenso natürlich ist es, dass das Parlament das eindämmen will. Ein wachsames Auge auf das Personalwachstum, das einer der grössten Kostentreiber ist, ist also richtig. Gleichzeitig darf man aber die Ausweichmechanismen nicht vergessen. Die Entwicklung beim externen Personal ist einer davon. Deshalb ist es sehr zu begrüssen, dass sich die GPK dem nun angenommen hat.

Sonntag, 10. August 2014

Thuner Wahlen 2014: Vom Umgang mit Minderheiten

Pünktlich auf das Ende der Sommerferien hin nimmt der Thuner Wahlkampf Fahrt auf. Stadtregierung und –parlament werden sich am 30. November 2014 einer Gesamterneuerungswahl für die Legislatur 2015-2018 stellen.

In der Gemeinderatswahl geht es grundsätzlich um die Nachfolge von Ursula Haller (BDP), die ihre politische Laufbahn abschliesst und sich nicht mehr zur Wiederwahl stellt.

Die Parteien der Fraktion der Mitte im Thuner Stadtrat (CVP, EVP, EDU und GLP) haben bereits im Dezember 2013 angekündigt, mit einer gemeinsamen Liste in den Gemeinderatswahlkampf steigen zu wollen. Die Ankündigung in diesen Tagen, dass diese Liste zwecks Reststimmenverwertung mit der Kandidatenliste der BDP verbunden werden soll, kommentiert mein SVP-Stadtratskollege Lukas Lanzrein am 6. August auf Facebook so:
"Wahlen in Thun: einige scheinen wohl ein bisschen nervös zu sein... BDP, CVP, GLP, EDU und EVP steigen gemeinsam in die Wahlen. Auf jedenfall hat es nun für alle etwas dabei: evangelikale Freikirchen, Katholizismus, Umweltschutz, Konservative Positionen, Liberalismus, etc. Wer hat noch nicht, wer will nochmal?!"
Auf meine Rückfrage hin, was seine Partei im anlaufenden Wahlkampf ihren Kontrahenten neben klischee-triefendem Spott wohl sonst noch entgegenzuhalten habe, antwortet er am 7. August auf Facebook: 
„Die substanzielle Analyse ist schnell gemacht: getroffene Hunde bellen. Du ganz persönlich wirst von dieser Sammelbecken-Übung profitieren und das Kunststück schaffen, als Vertreter einer unter 5%-Partei in die Stadtregierung gewählt zu werden. Gratuliere! Das ganze ist sicherlich legitim im Rahmen des Wahlsystems. Meine Kritik setzt auf der politischen Ebene an: hier erhärtet sich der Eindruck totaler Beliebigkeit. EDU und GLP vertreten komplett andere Vorstellungen von Staat und Gesellschaft, die EVP stimmt auf allen Stufen verlässlich als Linkspartei, CVP und BDP irren auf ihrem Machterhaltungstrip (Bundesrat!) herum, etc. Zusammengehalten wird Eure Mitte-Übung nur vom absoluten Willen zur Macht. Das ist legitim. Aber stringente Positionen und verlässliches Politisieren sehen anders aus!“
Diese „Wahlanalyse“ bedarf keines Kommentars. Ganz offensichtlich ist Jung-Stadtrat Lanzrein aber mit den politischen Verhältnissen in seiner Stadt schlecht vertraut. Sonst wüsste er, dass die enge politische Zusammenarbeit der Mitte seit Generationen Tradition und Bestand hat.

Die Fraktion der Mitte wurde am 23. Mai 1977 als damalige „Freie Fraktion“ (CVP, EVP und LdU) gegründet. Am 17. Januar 1989 nahm sie ihren heutigen Namen „Fraktion der Mitte“ an. Seither ist der Landesring der Unabhängigen 1994 aus dem Stadtrat ausgeschieden und national von der Bildfläche verschwunden. Die Fraktion der Mitte hatte aber als Partnerschaft von CVP und EVP Bestand und öffnete sich später der fraktionslosen EDU und der neu ins Parlament gewählten GLP.

Bereits am 7. Februar 1978 gründeten CVP, EVP und LdU den „Verein politische Minderheiten“ (VPM), um gemäss damaligem kantonalem Dekret über den Minderheitenschutz mit realistischen Erfolgsaussichten an den Thuner Gemeinderatswahlen teilnehmen zu können. Die Mitglieder der Freien Fraktion amteten jeweils als Vorstand des VPM. Zwischenzeitlich ist die Thuner Wahl- und Abstimmungsordnung mehrfach revidiert worden. Der VPM hat ausgedient. Die Gemeinderatswahlen erfolgen heute nach dem Nationalratsproporz.

Geblieben ist die Frage der Wahrnehmung von und des Umgangs mit politischen Minderheiten. Nahezu 20 Jahre lang habe ich mir im Rahmen von unzähligen Wahlgängen von Vertretern aller politischen Lager versichern lassen, ich würde zwar als valabler Kandidat für ein Exekutivamt wahrgenommen, gehöre aber offensichtlich der falschen Partei (CVP) an, um im Kanton Bern gewählt zu werden. Den Ruf des ewigen Kandidaten habe ich mir redlich verdient.

Umso bemerkenswerter ist der aktuelle Vorwurf in der oben zitierten „substanziellen Wahlanalyse“ von Lanzrein, meine Kandidatur sei getrieben „vom absoluten Willen zur Macht“, zumal die Vorhaltung von einem Vertreter der wählerstärksten Partei auf Platz und der mächtigsten Fraktion im Thuner Stadtrat ausgesprochen wird.

Wenn sich Lanzrein heute mit der seiner Partei eigenen Geringschätzung von Minderheiten über unsere „Mitte-Übung“ auslässt, dann verkennt er nicht nur die allgemeine Geschichte der politischen Institutionen unserer Stadt, sondern insbesondere auch jene Episode aus dem Jahr 2002, in der SVP und EDU gemeinsam den Verein „Bürgerliche Mitte Thun“ (BMT) gründeten, um damit der Fraktion der Mitte in den damaligen Gemeinderatswahlen die Mitte streitig machten. So viel zu stringenten Positionen und verlässlichem Politisieren. Der Verein BMT wurde übrigens bereits am 25. Februar 2003 wieder aufgelöst.

Die Einigung auf gemeinsame politische Positionen innerhalb unserer Fraktionsgemeinschaft aus CVP, EVP, EDU und GLP ist keine Errungenschaft, auf der sich ausruhen liesse. Als Präsident dieser gemeinsamen Fraktion der Mitte kenne ich die permanente Willensanstrengung, die zur Erreichung von Konsens nötig ist. Wir haben sie nun fast 40 Jahre lang gemeinsam aufgebracht und sind dieser Willensarbeit nicht müde. Hätte Lanzrein während seiner noch kurzen Verweilzeit im Thuner Stadtrat aufgepasst und auch den Minderheiten zugehört, dann wüsste er, dass die Einheitlichkeit im Abstimmungsverhalten der Fraktion der Mitte nicht geringer ist als jene der homogenen Einparteien-Fraktionen – allenfalls mit Ausnahme der SVP, die sich einer kadavergehorsamen Fraktionsdisziplin verschrieben hat, und deren Haltung in Sachgeschäften jeweils schon Tage vor den Stadtratsdebatten im Dunst einsamer Fraktionssitzungen unverrückbar zementiert wird. So viel zur Dialogfähigkeit politischer Parteien.

Entscheidend für die Regierungsfähigkeit in einer parlamentarischen Demokratie ist die Qualität der Zusammenarbeit von Exekutive und Legislative. Die beiden Polparteien SVP und SP besetzen aktuell 4 von 5 Sitzen im Thuner Gemeinderat und verfügen im Parlament über eine Hausmacht von je rund 25%. Dem fünften Mitglied in der Stadtregierung fällt damit die Aufgabe zu, die verbleibende Hälfte des Parlaments möglichst hinter sich zu scharen. Diese Parlamentshälfte setzt sich aus einer bunten Schar von kleineren Parteien zusammen: CVP, EVP, EDU, GLP, BDP, FDP und Grüne. Als Gemeinderatsanwärter und Fraktionspräsident der Mitte stelle ich mich dieser Aufgabe mit Zuversicht. So viel zum Machtanspruch der Mitte.

Die Aufstellung in den anstehenden Gemeinderatswahlen als gemeinsame Liste der Mitte in Verbindung mit der BDP ist ein klares Bekenntnis zum Pluralismus. Sie fusst auf der Überzeugung, dass Meinungsvielfalt wünschenswert sei und dass die konstruktive Auseinandersetzung mit anderen Meinungen in der Regel bessere und tragfähigere Lösungen hervorbringe als die als Regierungsform ungemein effizientere Diktatur.

Meine Partei, die CVP, ist in Thun im Alleingang bedeutungslos. Dasselbe gilt für alle unsere Fraktionspartner in der Mitte. Dessen sind wir uns durchaus bewusst. Alles, was wir politisch erreicht haben – und das ist nicht wenig – setzte Überzeugungsarbeit bei anderen Parteien voraus. Dass das politische Klima in Thun gemeinhin als gut beurteilt wird und die lokalen politischen Entscheide häufig einvernehmlich fallen, ist nicht als Verdienst der grossen Polparteien zu sehen, die einander in ihren zwar grossen, aber ähnlich grossen Lagern häufig gegenseitig blockieren.

Rund die Hälfte des Thuner Stadtparlaments ist traditionell ein parteimässig bunt gemischter Haufen. Die konstruktive Auseinandersetzung mit diesem Fakt ist Voraussetzung für erfolgreiches Regieren in unserer Stadt. Diese Art von Auseinandersetzung beginnt mit Respekt – einer Tugend, die Lanzrein und seine Parteikollegen zuweilen vermissen lassen.

Montag, 21. Oktober 2013

SVP-Familieninitiative: Am Ziel vorbei und widersprüchlich

Politische Parteien verfolgen teilweise recht unterschiedliche und nicht selten einander gegenläufige Zielsetzungen. Erstaunliche Einigkeit aber herrscht im Schweizer Parteienspektrum seit rund 10 Jahren im Bestreben die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Dafür sprechen gute Gründe:
  • Mit einer Erwerbsquote von 77% ist heute die klare Mehrheit der Mütter mit Kindern unter 15 Jahren in der Schweiz erwerbstätig (junge Frauen in Ausbildung sowie Pensionierte ausgeklammert; gemäss SAGW).
  • Mehr als die Hälfte der erwerbstätigen Frauen arbeitet Teilzeit; damit nehmen sie vielfach tiefere Löhne, ungesicherte Arbeitsverhältnisse, schlechtere soziale Absicherung und eingeschränkte Berufs- und Karrierechancen in Kauf.
  • Die Schweiz überbrückt ihren Arbeitskräftemangel schon heute durch Zuwanderung.
  • Der demographische Wandel unserer Gesellschaft wird diesen Mangel in Zukunft noch dramatisch verschärfen.
  • Die effektive Geburtenrate der Schweiz ist schon lange nicht mehr generationenerhaltend. Ohne deutlichen Geburtenzuwachs werden wir aussterben.
  • Die Mehrheit der Familienhaushalte ist auf einen Doppelverdienst angewiesen.
  • Erwerbstätigkeit beider Elternteile macht einen Haushalt robuster gegenüber den Krisen, die ihn ereilen können und die da sind: Trennung oder Scheidung der Eltern, Arbeitslosigkeit, Unfall oder Krankheit eines Elternteils. Sie stärkt die eigenverantwortliche Existenzsicherung und macht unabhängiger von der Sozialhilfe.
  • Fernbleiben der Mütter vom Erwerbsleben macht getätigte Bildungsinvestitionen zunichte und ist volkswirtschaftlich gesehen ein Verlust.
Unsere Gesellschaft inklusive der Wirtschaft ist also in zunehmendem Ausmass auf erwerbstätige Frauen und insbesondere Mütter angewiesen.

Die Familieninitiative der SVP, die am 24. November 2013 zur Volksabstimmung kommt, geht leider nicht von dieser Realität aus, sondern von einer postulierten Gleichberechtigung progressiver und konservativer Betreuungsideologien. Sie ist ideologisch motiviert, entzieht sich den gesellschaftlichen Realitäten und führt damit am Ziel vorbei.

Dass die Initiative auch ausserhalb der SVP, insbesondere in den Reihen der CVP, auf eine gewisse Resonanz stösst, mag am – für einmal – gemässigten Auftritt der Initianten liegen. Die SVP verzichtet in diesem Abstimmungskampf auf plakative Polemik mit tränenüberströmten „Staatskindern“. Der Initiativtext will die Bundesverfassung lediglich um diese Bestimmung ergänzen:
Eltern, die ihre Kinder selber betreuen, muss für die Kinderbetreuung mindestens ein gleich hoher Steuerabzug gewährt werden wie Eltern, die ihre Kinder fremd betreuen lassen.
Diesem Anspruch lässt sich Folge leisten, indem
  • entweder auf den auf Bundesebene und in den meisten Kantonen eingeführten Fremdbetreuungsabzug wieder verzichtet wird
  • oder ein zusätzlicher, aber nicht kumulierbarer, pauschaler Kinderabzug für alle Eltern mit Kindern unter 15 Jahren eingeführt wird.
Bei einer Streichung des Kinderbetreuungsabzugs wird der Doppelverdiener-Haushalt durch höhere Steuern sowie die effektiven Fremdbetreuungskosten finanziell stärker belastet. Bereits heute bestehen aber für viele Haushalte negative Erwerbsanreize: Eine Erhöhung der gemeinsamen Erwerbsquote führt dabei aufgrund der Ausgestaltung unserer Steuersysteme nach Abzug der Steuern zu einem geringeren verbleibendem Einkommen. Lohnt sich eine Ausweitung des Erwerbspensums finanziell für den Haushalt nicht, kann dies zu einem Fernbleiben insbesondere der Frau vom Erwerbsprozess führen. Dadurch verliert der Staat zusätzliche Steuereinnahmen und die Wirtschaft gut qualifizierte Arbeitskräfte.

Bei der Einführung eines zusätzlichen Kinderabzugs führt die Initiative zu einer steuerlichen Besserstellung von Einverdienerhaushalten, indem der Abzug nicht an effektive Betreuungsausgaben gekoppelt ist. Während der Doppelverdienerhaushalt sowohl das zusätzliche Einkommen versteuert als auch Ausgaben für die Fremdbetreuung hat, stehen beim Einverdienerhaushalt keine direkten Ausgaben gegenüber. Der Einverdienerhaushalt wird somit steuerlich bevorzugt. Nicht zu vergessen sind in diesem Szenario auch die substanziellen Steuerausfälle, die durch die Gesamtheit jener Haushalte aufgefangen werden müssen, die überhaupt Steuern bezahlen.

Die SVP-Familieninitiative tritt an mit dem Anspruch, die steuerliche Diskriminierung von Familien zu beheben, die dem traditionellen Ernährermodell – Vollzeit erwerbstätiger Partner und nicht erwerbstätige Partnerin – nachleben. Allein: Die Diskriminierung ist herbeigeredet, das Alleinernährermodell bereits heute Minderheitsmodell und in der Breite nicht zukunftsfähig.

Der zunehmende Arbeitskräftemangel ist eine unausweichliche demografische Realität. Wir begegnen ihr bislang mit Immigration. Paradoxerweise ist es gerade die Initiantin, die sich zum Sprachrohr der Zuwanderungsgegner aufgeschwungen hat. Insofern ist die SVP-Familieninitiative nicht bloss nicht zielführend, sondern auch widersprüchlich: Welches andere Reservoir an qualifizierten heimischen Arbeitskräften soll sich der Schweiz denn noch erschliessen, wenn nicht jenes der noch nicht oder bloss Teilzeit erwerbstätigen Frauen?

Die Familieninitiative der SVP ist abzulehnen. Sie ist rein ideologisch motiviert und entzieht sich den gesellschaftlichen Realitäten.

Dienstag, 9. April 2013

Zur Rettung der WIA aus den Fängen des Neoliberalismus


Verfolgt man die aktuellen Verlautbarungen von Gewerkschaftsbund und Unia Thun zum Betrieb der Thuner Altersheime durch die Wohnen im Alter AG (WIA), so geht es um nicht weniger als deren Rettung aus den Fängen des Neoliberalismus und ihre Rückführung in den sicheren, öffentlichen Hafen der Stadt Thun. Auch mein geschätzter Stadtratskollege und SP-Präsident Franz Schori stösst in seiner Kolumne im Thuner Tagblatt vom 6. April 2013 aus voller Gewerkschafterbrust in dieses Horn. Der Gewerkschaftsbund Thun, in dem Unia, VPOD, SEV und Syndicom vertreten sind, hat angekündigt, dem „Missmanagement infolge der Privatisierung“ mittels der „Reintegration der Altersheime in die städtischen Strukturen“ Einhalt gebieten und dazu eine Volksinitiative lancieren zu wollen.

Die derzeit viel beschworene Rückführung „in die städtischen Strukturen“ scheint eine bewusst schwammige gewerkschaftliche Sprachregelung zu sein, die über den Umstand hinweg helfen soll, dass die fraglichen Altersheime gar nie Teil der Stadtverwaltung waren.

Die Stiftung Altersheime der Stadt Thun wurde 1965 von diesen 10 Stiftern gegründet, von denen jeder Anrecht auf Einsitz im Stiftungsrat hatte:
  • Gemeinnütziger Frauenverein Thun
  • Gemeinnütziger Frauenverein Strättligen
  • Katholischer Frauen- und Mütterverein Thun (heute Katholische Frauengemeinschaft Thun)
  • Verein für das Alter Sektion Thun (heute Pro Senectute Amt Thun)
  • Arbeitgeberverband von Thun und benachbarten Gebieten
  • Kantonal Bernischer Handels- und Industrieverein Sektion Thun
  • Gewerbeverband Thun (heute Gewerbeverein Thuner KMU)
  • Gewerkschaftskartell Thun (heute Gewerkschaftsbund Thun)
  • Angestellten- und Beamtenkartell Thun (als Vereinigung 2004 aufgelöst)
  • Einwohnergemeinde Thun
Die Stifter leisteten Beiträge von je 1‘000 bis 5‘000 Franken, die Einwohnergemeinde Thun einen Beitrag von 50‘000 Franken. Im Gegenzug räumten die Statuten der Stadt weitgehende Entscheidbefugnisse über die Tätigkeit der Stiftung ein, so bezüglich Kauf und Verkauf von Liegenschaften; Aufnahme von Darlehen über 100‘000 Franken; Wahl der Stiftungsratsmitglieder; Genehmigung des Organisations- und Verwaltungsreglements. Zudem stellte die Stadt das Stiftungsratspräsidium. Die Stiftung Altersheime der Stadt Thun aufgrund der damaligen statutarischen Vorrangstellung der Einwohnergemeinde heute als „städtische Struktur“ darzustellen, ist eine ziemlich abenteuerliche Betrachtungsweise.

Im Rahmen einer Statutenrevision gab sich die Stiftung 2006 den neuen Namen „stiftung wohnen im alter thun“. Als gemeinnütziges Tochterunternehmen gründete die Stiftung gleichzeitig die „wia wohnen im alter ag“ mit der statutarischen Auflage, allfällige Gewinne ausschliesslich zur langfristigen Sicherstellung des Gesellschaftszwecks einzusetzen.

Der Thuner Stadtrat hat an seiner Sitzung vom 23.11.2006 Kenntnis genommen von dieser Reorganisation. Zu genehmigen hatte der Rat lediglich den Rahmenleistungsvertrag 2007-2010 der Stadt Thun mit der Stiftung. Diesem Vertrag habe ich damals zugestimmt. Im Stadtrat gab es zu diesem Geschäft lediglich ein Votum, nämlich dasjenige des Sprechers der SAKO 5 „Soziales“, SP-Stadtrat Hans-Ueli „Gügä“ Feuz. Er fand: „Die neue Stiftung betreut die Liegenschaften, die Betriebs AG kümmert sich um den Betrieb. Diese Teilung ist richtig und sinnvoll.“ Der Rat folgte einstimmig seinem Antrag auf Kenntnisnahme von der Reorganisation und Zustimmung zur Leistungsvereinbarung.

An derselben Sitzung nahmen wir im Stadtrat Kenntnis von einem neuen Altersleitbild der Stadt Thun. Daraus geht hervor, dass 2006 in der Stadt Thun 545 Betten in Übergangs-, Alters- und Pflegeheimen verfügbar waren, und zwar 238 unter öffentlich-rechtlicher und 307 unter privatrechtlicher Trägerschaft.

Das heisst, dass in der heute von den Gewerkschaften als gute alte Zeit herbeigesehnten Epoche eine klare Mehrheit der Thuner Heimplätze bereits unter privater Führung stand. Die kollektive Erfahrung mit diesem Führungsmodell war damals ganz offensichtlich so gut, dass auch eine SP-Fraktion einstimmig der Ausweitung des Modells zustimmen konnte.

Die aktuelle gewerkschaftliche Darstellung der zwischenzeitlichen Entwicklung als neoliberal motivierte Privatisierungswelle mit allen negativen Konsequenzen ist daher ein krasses Zerrbild der Realität. Unsere lokalen Gewerkschafter üben sich damit selber sozusagen in der Altenpflege eines überholten Klassenkampfes, recht verfänglich sogar im Web unter www.gutepflege.ch.

Zweifellos sind bei der Besetzung von Führungspositionen bei WIA Fehler gemacht worden, und zweifellos und bedauerlicherweise hatte das Personal der Institution darunter zu leiden. Als ob solche Fehler im öffentlichen Dienst nie vorkämen. Ich denke hier etwa an die Führungsspanne von SP-Regierungsrat Philippe Perrenoud beim Kanton Bern.

Zweifellos haben sich aus solchen Fehlbesetzungen auch arbeitsrechtliche Konflikte entwickelt, die zu bedauern sind. Nicht dass solche Konflikte im öffentlichen Dienst unbekannt wären. Ich erinnere mich hier nur allzu lebhaft an meinen bislang emotionalsten Moment im Thuner Stadtparlament, als im März 2007 eine Petition zur Behandlung kam, die explizit an die Legislative gerichtet war und welche die gebührende Wertschätzung eines von der Stadt Thun entlassenen Mitarbeiters einforderte. Als Sprecher der vorberatenden Sachkommission Präsidiales und Finanzen durfte ich das Eingangsvotum in die Grabesstille eines mit Gewerkschaftsgästen übervollen Stadtratssaales in ein Meer von Unia-Fahnen halten. Ich habe damals darauf plädiert, dass wir uns als Legislative im Sinne einer klaren Gewaltentrennung nicht in ein hängiges Gerichtsverfahren der Stadt Thun mit ihrem früheren Mitarbeiter einmischen. Mitarbeiter wie zuständiger Gemeinderat waren übrigens Mitglieder der SP.

Zweifellos sind die WIA-Mitarbeitenden in der Pflege einem leider wohl nicht abnehmenden Leistungsdruck ausgesetzt. Dass sie damit über alle Pflegeberufe und Institutionen im Land gesehen nicht allein sind, dürfte ihnen ein schwacher Trost sein. Dass die Burn-out-Rate im öffentlichen Dienst jedoch geringer wäre als in der Privatwirtschaft, gehört ins Reich der Märchen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund gehäufter Personalausfälle in der städtischen Verwaltung rechtfertigt die Stadt als Arbeitgeberin ein tieferes als das ordentliche Rentenalter für ihr Personal.

Strategische Fehlentscheide und arbeitsrechtliche Konflikte gibt es sowohl in der Privatwirtschaft wie in der öffentlichen Verwaltung zu beklagen. Im vorliegenden Fall der WIA ist das Ausspielen der Organisations- und Arbeitsmodelle gegeneinander völlig unbegründet und wenig hilfreich – ausser vielleicht für die agierenden und agitierenden Gewerkschaften, die selber unter permanentem Druck stehen, ihre eigene Rolle zu rechtfertigen.

Mit einem der Urväter des Neoliberalismus, Alexander Rüstow, gesprochen im September 1932 in seinem Diskussionsbeitrag über „Die staatspolitischen Voraussetzungen des wirtschaftlichen Liberalismus“ auf der Tagung des Vereins für Sozialpolitik für ein neues Selbstverständnis der Liberalen:
„Der neue Liberalismus jedenfalls, der heute vertretbar ist, und den ich mit meinen Freunden vertrete, fordert einen starken Staat, einen Staat oberhalb der Wirtschaft, oberhalb der Interessenten, da, wo er hingehört. Und mit diesem Bekenntnis zum starken Staat im Interesse liberaler Wirtschaftspolitik und zu liberaler Wirtschaftspolitik im Interesse eines starken Staates – denn das bedingt sich gegenseitig, mit diesem Bekenntnis lassen Sie mich schliessen.“

Samstag, 9. März 2013

MoMo – Die seltsame Geschichte einer Geldreform


Unbeachtet von der Öffentlichkeit findet heute in Thun ein Informationsnachmittag statt als Einführung in das Thema Vollgeld-Reform. Als Veranstalter tritt der Verein Chai auf, eine „jüdisch-messianische Gemeinschaft“. Gleichzeitig wird der Anlass aber auch als Treffen des Lehrdiensts LaMakor von Daniel und Birgit Seidenberg geführt, die nach eigenen Angaben keiner Organisation oder Gemeinde verpflichtet sind. Als Referent angekündigt ist Hansruedi Weber, Präsident des überparteilichen Trägervereins Monetäre Modernisierung (MoMo).

Wer bei MoMo unweigerlich an Michael Ende denkt und an seinen 1973 erschienen Roman von den diebischen grauen Herren, liegt mit der Assoziation gar nicht so weit daneben. In der Kritik steht hier aber nicht der Diebstahl von Zeit, sondern die Privatisierung von massiven Geldschöpfungsgewinnen, die ganz klar der Öffentlichkeit zustünden.

Die Idee einer Vollgeld-Reform hat es schwer, zumal ihr Sachverhalt nur einer kleinen aber wachsenden Minderheit von Interessierten bekannt ist. Im Erstkontakt erscheint er unglaublich und weckt primär Skepsis. Dass die Idee auch im Dunstkreis religiöser Splittergruppen und von Politsekten wie dem Schiller Institut des Weltverschwörungstheoretikers Lyndon LaRouche beworben wird, leistet der Sache keinen Dienst. Die Trägerschaft einer Monetative Schweiz hat es bisher nicht geschafft, sich genügend klar von esoterischen Mitläufern abzugrenzen.

Gleichwohl hat die Idee Hand und Fuss. Sie verdient nicht bloss nähere Betrachtung, sondern verlangt zu Recht nach Umsetzung. Ich habe mich an dieser Stelle schon mehrfach dafür ausgesprochen:

Kürzlich hat das Schweizer Fernsehen in der Sendung ECO vom 28.01.2013 zu später Stunde eine äusserst sehenswerte Zusammenfassung zum Thema Vollgeld-Reform ausgestrahlt. Alternativ ist der 8-minütige Beitrag auch auf YouTube abrufbar.

Das Thema gestreift hat auch Michael Rasch in einem grösseren Beitrag in der NZZ vom 1.03.2013 unter dem Titel „Währungs-Privatisierungen gegen Notenbank-Exzesse?“ Der frühere Finanzverwalter der Stadt St. Gallen, Reinhold Harringer, hat darauf mit einem Leserbrief in der NZZ vom 7.03.2013 reagiert: 
„Zu verhindern wäre deshalb in erster Linie die Geldschöpfung der Geschäftsbanken – ihre Aufgabe sollte beschränkt werden auf die Vergabe von Krediten aufgrund von Einlagen, Eigenkapital oder allenfalls aufgrund von Krediten der Notenbank. Die Geldschöpfung selbst sollte allein Sache der Notenbank sein. Es ist nicht das System des Papiergeldes an sich zu kritisieren, sondern die Tatsache, dass der grösste Teil des Geldes über die Kreditgewährung der Privatbanken geschaffen wird. Eine Vollgeldreform würde diesen Systemfehler korrigieren.“
Der deutsche Professor Thorsten Polleit, Chefökonom von Degussa Goldhandel und Lehrbeauftragter der Frankfurt School of Finance wird im erwähnten NZZ-Artikel von Rasch mit der Aussage zitiert, das heutige Geld sei schlecht, weil es „per Kreditvergabe der Geschäftsbanken aus dem Nichts geschaffen werde, was ökonomisch gesehen einer legalisierten Geldfälschung gleichkomme.“ Dem ist nichts beizufügen.

Es ist an der Zeit, einen geeigneten Wortlaut für eine Verfassungsänderung zu finden und die Geldreform per Volksinitiative einzuleiten.

Sonntag, 17. Februar 2013

Keine weiteren Lippenbekenntnisse!


Eine Trilogie: Dritter Teil

Nach dem Nein des Thuner Stadtrats zur Übergangslösung einer Traglufthalle im Strandbad Lachen steht am 9. Juni nun eine Volksabstimmung über das Projekt an. Den Stimmberechtigten stellt sich dabei die Frage, wie weit den politischen Schalmeienklängen zu vertrauen ist, die alternativ zum Provisorium ein wirkliches Hallenbad ankünden.

Beruhigungsmittel gehören zwar in den Handwerkskasten des Politikers wie in den Arzneischranks des Arztes. Hier wäre eine politische Ruhigstellung der Initianten aber Gift für die regionale Sportstättenplanung. Denn als Thuner Finanzpolitiker sage ich unumwunden: Ein Hallenbad, durch die Stadt Thun im Alleingang realisiert, wird meine Generation nicht mehr erleben. Machen wir uns selber und den Stimmberechtigten nichts vor. Dazu fehlt uns das Geld und entsprechend der Konsens.

Im bisherigen Mikado-Spiel der Regionsgemeinden versucht zu gewinnen, wer nichts bewegt. Jeder Spieler achtet bloss mit Argusaugen auf allfällige Bewegungen im Gefüge der bestehenden Anlagen. Lippenbekenntnisse bringen uns hier nicht weiter – im Gegenteil, sie zementieren das heutige Manko an Wintertrainingsmöglichkeiten.

Brechen wir diese Zitterpartie ab und gehen wir mit offenen Karten über zu einer gemeinsamen regionalen Planung für eine moderne Schwimmhalle mit Ganzjahresbetrieb, die auch die berechtigten Anliegen der Wassersportvereine abdeckt! Sie muss nicht zwingend auf Thuner Boden liegen.

Nachdem der gordische Parkhausknoten nun zerschlagen ist, erwarte ich von unserer Stadtregierung, dass sie ihren Elan aufrecht erhält und ihren Worten in Sachen Hallenbad unmittelbar Taten folgen lässt.