Samstag, 2. April 2011

Ökoterror: Brandbeschleuniger des Ausstiegs

Erst gerade im vergangenen November habe ich in einem Referat meine Zuhörer kurz ins Jahr 1977 zurückversetzt – ins Jahr der Demonstrationen gegen das AKW Gösgen, ins Jahr der Sprengstoffanschläge gegen verschiedene Einrichtungen der hiesigen Stromwirtschaft. Ich habe dabei auch die Prognose gewagt, dass wir solche Szenarien in der Schweiz bald wieder erleben werden. Leider ist meine Prognose diese Woche rascher bestätigt worden, als ich selber erwartet hatte.

Ein Briefbombenanschlag auf das Oltener Büro der Fachgruppe Kernenergie von Swisselectric, ehemals Unterausschuss Kernenergie der Überlandwerke (heute Axpo, EGL, CKW, Alpiq und BKW), ist offenbar in voller Absicht zu töten erfolgt. In einem Bekennerschreiben zeichnet die Anarcho-Gruppe Federazione Anarchica Informale (FAI) für den Anschlag verantwortlich. Gemäss Informationen des «Bund» ist auch der Bündner Ökoterrorist Marco Camenisch im Schreiben erwähnt. Camenisch verbüsst zurzeit in der Strafanstalt Pöschwies eine 30-jährige Freiheitsstrafe wegen eines Mordes im Jahre 1998 an einem Zöllner und Sprengstoffanschlägen auf Einrichtungen der Elektrizitätswirtschaft.

Neu ist der anarchistische Bombenterror der linksextremen FAI nicht. Er richtet sich im Allgemeinen gegen Institutionen, welche die Staatsmacht repräsentieren: Polizeistationen, Gefängnisse, Militärkasernen, Politiker. Bei der Wahl von Swissnuclear als Attentatsziel glaube ich aber nicht an einen reinen PR-Coup der FAI. Zu langjährig sind die Kontakte der militanten Anti-AKW-Bewegung zu bewaffneten Gruppierungen wie der FAI.

Blenden wir auch hier kurz zurück ins Jahr 1977. Damals versuchten über 50'000 Demonstrierende bei einer Grosskundgebung im Juli den Bauplatz des Superphénix in Crey-Malville jenseits der französischen Grenze bei Genf zu besetzen. Beim Grosseinsatz der Polizeitruppe CRS kam ein Demonstrant ums Leben. In der aufgeheizten Dauerkontroverse um den Bau des Schnellen Brüters formierte sich in Genf eine Sabotagegruppe, die nach Berichten der «WoZ» von 2003 in der Folge bei der belgischen Gruppe Cellules Communistes Combattantes einen Raketenwerfer des Typs RPG-7 beschaffte. Der ehemalige Genfer Grossrat und Mitglied der Grünen Partei Chaïm Nissim war Mitglied dieser Sabotagegruppe. Er feuerte 1982 eine RPG-7-Rakete auf die fast fertige Kuppel des Superphénix-Reaktorgebäudes ab, verfehlte aber sein Ziel und verursachte nur geringen Sachschaden.

Eine in der Deutschschweiz unter dem Namen «Do it yourself» bekannte Anti-AKW- Sabotagegruppe verübte von 1974 bis 1984 über vierzig Anschläge auf Einrichtungen oder Exponenten der Stromwirtschaft. Roger Monnerat hat sie 2003 für die «WoZ» rekapituliert:
  • Brandanschlag auf die Planbaracke des projektierten AKW in Verbois (GE) (Januar 1974)
  • Die „Entkommenen von Malville“ verüben einen Brandanschlag auf die Empfangshalle der Sulzer AG in Winterthur. (August 1977)
  • Gefälschte Aushangplakate des «Tages-Anzeigers» melden: „AKW-Unfall bei Lyon – 150 Tote.“ (August 1977)
  • Zwischen Dulliken und Olten werden die Fahrleitungen der SBB kurzgeschlossen. Ein Communiqué macht auf die bevorstehende Anlieferung der Brennstäbe für das AKW Gösgen aufmerksam. (Dezember 1977)
  • Zweiter Kurzschluss der SBB-Fahrleitung in der Nähe von Olten. (Dezember 1977)
  • Die Basler AKW-Gegner und -Gegnerinnen blockieren an der Grenze einen Brennstofftransport aus Hanau (BRD) für das AKW Gösgen. (Februar 1978)
  • «Do it yourself» zerstört den für das AKW Leibstadt bestimmten Transformer der Séchéron in Genf. (Juli 1978)
  • Das Modell des AKW Gösgen im Besucherpavillon innerhalb der Sicherheitszone wird durch Brandstiftung zerstört. (Juli 1978)
  • «Do it yourself» sprengt den Informationspavillon des AKW Kaiseraugst in die Luft, nachdem am gleichen Wochenende die Initiative „Wahrung der Volksrechte und der Sicherheit beim Bau und Betrieb von Atomanlagen“ abgelehnt worden ist. (Februar 1979)
  • Drei Sprengkörper zerstören ein Materiallager innerhalb der Umzäunung des in Bau befindlichen AKW Leibstadt. (Februar 1979)
  • Der Chevrolet Camaro von „Atompapst“ Michael Kohn brennt in der Garage seines Wohnsitzes aus. Am gleichen Wochenende findet die Abstimmung über das revidierte Atomgesetz statt; die Vorlage wird angenommen. (Mai 1979)
  • Brandsätze zerstören und beschädigen die Autos von acht weiteren Vertretern der „Atomlobby“ in der Deutschschweiz und im Tessin. (Mai 1979)
  • Auch in der Westschweiz brennen die Autos zweier Vertreter der „Atomlobby“. (Juni 1979)
  • Die Anti-AKW-Bewegung blockiert den Transport des neuen Séchéron- Transformers für das AKW Leibstadt. (Oktober 1979)
  • Sprengung des Meteomastes beim AKW Gösgen. Der Mast stürzt in die Transformatorenanlage, und das AKW muss abgeschaltet werden. Die Telefonleitung, über welche die Bevölkerung hätte alarmiert werden sollen, fällt aus. (November 1979)
  • Der Meteomast des geplanten AKW Graben (BE) fällt um. Die Halteseile sind durchgesägt worden. Sprengung eines Hochspannungsmastes der NOK an der liechtensteinischen Grenze bei Fläsch. (November 1979)
  • Sprengstoffanschlag auf die Trafo-Unterstation «Sarelli» der NOK bei Bad Ragaz. René Moser und Marco Camenisch werden später als Täter zu siebeneinhalb respektive zehn Jahren Gefängnis verurteilt. (Dezember 1979)
  • Brandanschlag auf den Landsitz eines Basler „Atomlobbyisten“ in Münchenstein. (Januar 1980)
  • Der Bundesrat bejaht den Bedarf des AKW Kaiseraugst. 20 000 AKW-Gegner demonstrieren auf dem AKW-Gelände in Kaiseraugst. (Oktober 1981)
  • Molotowcocktails gegen die NOK und Motor Columbus in Baden. Ein Brandanschlag auf das Ferienhaus des damaligen Nagra-Chefs Rudolf Rometsch in Grindelwald misslingt. (November 1981)
  • Der NOK-Mast bei Fläsch wird erneut gesprengt. (November 1981)
  • Im Jura misslingt die Sprengung eines Mastes der Exportleitung Gösgen-Fessenheim. (Dezember 1981)
  • Ein Mast der Exportleitung Mühleberg-Malville wird in der Nähe von Mühleberg gesprengt. (Februar 1982)
  • Ein Mast der Exportleitung der Atel wird im Tessin in der Nähe von Quartino gesprengt. (August 1982)
  • Vor dem Ständeratsentscheid zu Kaiseraugst werden zwei Masten der Exportleitung Fessenheim-Kaiseraugst bei Rheinfelden (AG) und Pratteln (BL) angegriffen. Die Sprengung des ersten Mastes misslingt, bei der Sprengung des Mastes in Pratteln stürzt ein kleinerer Mast um, die Kabel zerreissen und beschädigen die Dächer einiger Häuser. (Januar 1983)
  • Den 25 Ständeräten des atomfreundlichen Schweizerischen Energieforums wird je eine Sprengstoff-Kerze ins Bundeshaus geschickt. Das Bundeshaus wird wegen Bombenalarms geräumt. (Februar 1983)
  • Eine Hochspannungsleitung des AKW Gösgen wird kurzgeschlossen. (März 1983)
  • Missglückter Sprengstoffanschlag auf den Richtstrahlmast der Schweizer Elektrizitätswerke in Wölflinswil (AG). Die AKW-Saboteure schlagen ein Stillhalteabkommen «kein AKW - kein Attentat» vor. (September 1983)
  • Das Ferienhaus des damaligen Nagra-Chefs Rudolf Rometsch in Grindelwald brennt nieder. Die Saboteure dokumentieren den Anschlag in dem als Computerspiel aufgemachten Video «Atomic-Rometsch». (August 1984)
  • Mit einem schriftlichen Interview verabschieden sich die AKW-Saboteure: „Es ist an der ‚No-Future’-Generation, ihre Zukunft in die Hand zu nehmen.“ (August 1984)
  • Die Initiative «Zukunft ohne weitere Atomkraftwerke» und die Energieinitiative werden abgelehnt. (September 1983)
  • AKW-Katastrophe in Tschernobyl. (April 1986)
  • Kaiseraugst-Verzicht. (März 1988)
  • Die Initiative für ein AKW-Moratorium bis zum Jahr 2000 wird angenommen. (September 1990)
Die diese Woche neu erlebte Form des antinuklearen Ökoterrorismus hat also in der Schweiz eine lange Tradition, die während der Moratoriumsjahre bloss etwas in Vergessenheit geraten ist. Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten leider mehr davon sehen, da bin ich sicher.

Ich verurteile diese Form von Umweltaktivismus ausserhalb der Legalität auf das Schärfste.

Ob der gegenwärtige Streit von SP Schweiz und Grünen um den Primeur-Anspruch auf den Atomausstieg die richtige Antwort auf diese Militanz ist, lasse ich einmal als Frage dahin gestellt.

    1 Kommentar:

    Michi hat gesagt…

    Mühleberg ist sicher, zuverlässig und wichtig!
    Ökoterror nimmt uns die Versorgungssicherheit!