Mittwoch, 8. Juli 2009

Offene Türen für offene Standards im Nationalrat

Wenn Parlamentarier das grosse Kaliber der Motion in Anschlag bringen, ist immer zu hoffen, dass sie wissen, was sie tun. Diesen Vertrauensvorschuss erhält auch der Forstingenieur und grünliberale Zürcher Nationalrat Thomas Weibel von mir. Immerhin hält er es nach eigenen Angaben mit dem Credo: „Das Machbare wird nie aus den Augen verloren.“ Als Mitglied der neuen parlamentarischen Gruppe „Digitale Nachhaltigkeit“ hat er in der Sommersession die Motion 09.3668, „Offene Informatikstandards in der Bundesverwaltung“, eingereicht. Mitunterzeichnende waren Sep Cathomas (CVP, GR), Walter Donzé (EVP, BE), Kurt Fluri (FDP, SO), Edith Graf-Litscher (SP, TG), Brigitte Häberli-Koller (CVP, TG), Francine John-Calame (Grüne, NE), Marianne Kleiner (FDP, AR), Kathy Riklin (CVP, ZH), Barbara Schmid-Federer (CVP, ZH), Adèlevan Thorens Goumaz (Grüne, VD), Christian van Singer (Grüne, VD), Alec von Graffenried (Grüne, BE) und Christian Wasserfallen (FDP, BE). Gut vertreten im Kreis der Motionärinnen und Motionäre ist demnach meine eigene Partei, die CVP, bzw. die Bundeshausfraktion CVP/EVP/glp.

Die Motion verlangt vom Bundesrat, „das Open Document Format (ODF) in der Schweizerischen Bundesverwaltung als Standard für Office-Dateien festzulegen, generell nur offene Datenstandards zu verwenden und seine Verwaltungsvorschriften derart anzupassen, dass im Bereich E-Government, bei Publikationen, Anträgen etc. keine Diskriminierung von Benutzern anderer Betriebssysteme und Software besteht.“

„Was sind ‚offene Datenstandards‘?“, wird sich der geneigte Leser fragen, und welche „anderen Betriebssysteme“ sind hier angesprochen? Welche Betriebssysteme denn primär? Hier eilen die Urheber der Motion in ihrer Begründung zu Hilfe: „Die Offenheit dieser Formate kann verschieden definiert werden“. Aha. Recht grosses Kaliber für so viel Offenheit, sagt sich der Parlamentarier und rätselt weiter, welche Betriebssysteme denn „anders“ sein sollen.

Die Motion verlangt vom Bundesrat weiter, er solle namentlich sicherstellen
  • dass die Verwaltung Anträge im ODF-Format annehmen und bearbeiten kann,
  • dass alle Vorlagen/Publikationen/Antragsformulare auf jedem gängigen Betriebssystem mit mindestens einer gratis verfügbaren Software bearbeitet werden können,
  • dass die Verwaltung eine öffentliche Liste der zu verwendenden Datenformate für die internen und externen Anwendungen führt, wobei jede Abweichung von offenen Standards zu begründen ist und ein Migrationsweg und -zeitpunkt auf ein äquivalentes offenes Format zu planen ist
  • und dass alle Webinhalte, insbesondere Formulare und Webapplikationen, nicht nur im Internet Explorer, sondern auch in den Internetbrowsern Firefox, Opera und Safari getestet werden und funktionieren.

Gehen wir einmal davon aus, dass die erste Forderung „Anträge“ im Sinne von parlamentarischen Vorstössen versteht. Das entspräche dem Selbstverständnis des Parlamentariers, dem sein eigener Nabel wohl näher liegt als derjenige des Bürgers, eines Unternehmens oder einer Verwaltungseinheit. Dann würde es reichen, die Parlamentsdienste mit entsprechender Software auszustatten, z.B. mit Microsoft Office 2007.

Die zweite Forderung nach genereller und kostenloser Bearbeitbarkeit aller Vorlagen/Publikationen und Antragsformulare würde hingegen u.a. die generelle Verbannung des populären Dateiformats PDF aus dem Umfeld der Bundesverwaltung bedingen. Zwar würde der Motionär wohl PDF als „offenen Standard“ im Sinne seiner dritten Forderungen durchgehen lassen, aber abgesehen von kostenpflichtiger und proprietärer Software aus dem Hause Adobe gibt es kaum allgemein verfügbare Programme, die in der Lage sind, PDF-Dokumente wirklich zu bearbeiten.

Setzen wir das Verlangen nach „offenen Standards“ gleich mit der Forderung nach internationalen Standards, dann liegen neben ODF (ISO/IEC 26300) der Standard ISO/IEC 32000 (Portable Document Format, PDF), ISO/IEC 19005 (Portable Document Format for long-term preservation of electronic documents, PDF/A) und ISO/IEC 29500 (Open Office XML file format, OOXML) auf der Hand. Die letztgenannte Norm entspricht weitgehend dem aktuellen Dateiformat von Microsoft Office 2007 (internationale Norm ECMA-376) und exakt dem Dateiformat der nächsten Generation von Microsoft Office.

Mit seiner Motion rennt Thomas Weibel im Interesse von „offenen Standards“ beim Bund offene Türen ein. Der Interoperabilitätsstandard SAGA.ch (Standards und Architekturen für eGovernment Anwendungen Schweiz) ist als Standard eCH-0014 publiziert und seit dem 29. Oktober 2007 vom Informatikrat Bund (IRB) verabschiedet und damit für die Bundesverwaltung verbindlich.

Im Bezug auf die letzte Motionsforderung der Gruppe „Digitale Nachhaltigkeit“, die Forderung nach Browser-Unabhängigkeit, führt SAGA.ch nicht einzelne Software-Produkte ins Feld, sondern sinnvollerweise Basistechnologien, wie sie vom internationalen Konsortium W3C standardisiert werden. Das sichert auch die Kompatibilität zu neuen Browser-Produkten wie etwa Google’s Chrome, die von der Motion gar nicht erfasst werden.

Ebenso vernachlässigt die Motion die bestehende Richtlinie P028 des Bundes für die Gestaltung von barrierefreien Internetangeboten sowie wie die Massnahme „Usability von Websites der Bundesverwaltung“ aus der Internet-Strategie Bund. Diese Richtlinien dienen vielmehr der Behindertengleichstellung als dem Schutz von Partikularinteressen der Softwareindustrie.

Lieber Herr Weibel, liebe Mitunterzeichnende: Sie haben sich mit diesem Vorstoss von der Open-Source-Software-Industrie vor den Karren der digitalen Nachhaltigkeit spannen lassen. Mit dem haltbaren Teil der Motion – der Forderung nach Interoperabilität und Respekt von internationalen Standards – rennen Sie beim Bund offene Türen ein. Die pauschale Forderung nach ODF ist unhaltbar. Ebenso wenig wie das Dateiformat OOXML von Microsoft Office eignet sich ODF als Dateiformat der Open-Source-Anwendung OpenOffice für die Beschreibung von Dokumenten, deren Zeilen- und Seitenumbruch bzw. Seitenlayout verbindlich erhalten bleiben müssen. Dafür existieren etablierte Normen wie PDF. Der vage Wortlaut der Motion ist ihrem verpflichtendem Anspruch nicht angemessen. Er trägt die unverwechselbare Handschrift des zuweilen harten Wettbewerbs am Softwaremarkt.

Der Bundesrat wird die Motion zu Recht zur Ablehnung oder allenfalls zur Wandlung in ein unverbindlicheres Postulat empfehlen. In diesem Fall könnte man den Prüfungsauftrag auch gleich abschreiben: Die offenen Türen lassen sich nicht weiter öffnen, indem man sie einrennt.

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