Mittwoch, 8. Juli 2009

Nationalräte in IT-Beschaffungen gegen den Strom

Ginge es nach dem Willen von SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher (TG), so müsste der Bund seine grösseren IT-Beschaffungen nahezu ausnahmslos öffentlich ausschreiben. Dies verlangt sie vom Bundesrat in ihrer Motion 09.3663, „Mehr öffentliche Ausschreibungen von grossen Informatikaufträgen“, die sie mit Unterstützung aus ihrer eigenen Fraktion und der neuen parlamentarischen Gruppe „Digitale Nachhaltigkeit“ in der Sommersession eingereicht hat.

Der Vorstoss beauftragt den Bundesrat, folgende Massnahmen zu ergreifen:

  1. Die zuständigen Bundesstellen werden angewiesen, keine Informatikbeschaffungen über 250'000 Franken ohne öffentliche Publikation im Schweizerischen Handelsblatt mehr vorzunehmen.
  2. Beim Bundesamt für Justiz wird ein Rechtsgutachten über die Anwendbarkeit der Ausnahmetatbestände im Submissionswesen einverlangt.
  3. Durch verbindliche Weisung an die Verwaltungsstellen wird sichergestellt, dass künftig freihändige Beschaffungen nur noch in absoluten Ausnahmefällen zugelassen werden.
  4. Insbesondere auch bei mehrjährigen Lizenzverlängerungen und Wartungsverträgen für bereits im Einsatz stehende Software-Produkte wird eine öffentliche Ausschreibung obligatorisch vorgeschrieben.

Die vierte Forderung zeigt auf, aus welcher Ecke der Wind weht. Ausgelöst wurde die Motion und sechs weitere Vorstösse der Gruppe „Digitale Nachhaltigkeit“ durch die Beschwerde von 18 Open-Source-Softwarefirmen beim Bundesverwaltungsgericht gegen die freihändige Vergabe eines Bundesauftrags im Wert von CHF 42 Mio. für Lizenzverlängerungen an Microsoft.

Mit dem geforderten Massnahmenkatalog schwimmen Frau NR Graf-Litscher und Mitunterzeichnende klar gegen den Strom der laufenden Revision des öffentlichen Beschaffungswesens. Eine der vier Maximen der Revision heisst nämlich Flexibilisierung. Das geltende Beschaffungswesen beruht auf der Beschaffung standardisierter Güter und Dienstleistungen. Für Beschaffungen, die eine intensive Kommunikation zwischen der Beschaffungsstelle und den Anbietern erfordern (beispielsweise komplexe Informatikdienstleistungen), hat sich das formalisierte Verfahren als zu rigide erwiesen. Eine Flexibilisierung soll nun zu mehr Spielraum bei der Durchführung komplexer Beschaffungen und teils auch zu kürzeren Verfahren führen. Den Beschaffungsstellen werden gemäss Vernehmlassungsentwurf zur Totalrevision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BoeB) verschiedene, teilweise neue Elemente zur Ausgestaltung der jeweiligen Beschaffungsverfahren zur Verfügung gestellt.

Die Motion Graf-Litscher verlangt anstelle einer Flexibilisierung die Versteifung der öffentlichen Beschaffungsverfahren und dürfte schon rein deshalb bei der Landesregierung auf wenig Gegenliebe stossen. Verständlicherweise neigt man im Kreise der SP dazu, die Regulierung des Wettbewerbs als vordringliche Aufgabe des Staates zu verstehen und beruft sich dabei etwa auf Art. 95 und 96 der Bundesverfassung.

Im Zusammenhang mit der Verwendung öffentlicher Mittel im IT-Bereich setze ich die Prioritäten anders: Effizienz, d.h. die optimale Verwendung der Ressourcen, und Effektivität, d.h. das Erreichen der anfänglich festgelegten Ziele. Bekanntermassen erleiden viele IT-Projekte auch beim Bund in dem Sinne Schiffbruch, dass sie die anvisierten Ziele nie erreichen, bedeutende und ungeplante Mehrkosten nach sich ziehen oder sogar ergebnislos abgebrochen werden nach dem Motto: Ausser Spesen nichts gewesen. Leider fokussiert sich die Optik der Motionärin viel zu stark auf die formalen Aspekte der Auftragsvergabe und das Bestreben, der Open-Source-Software-Szene eine bessere Ausgangslage in der Erlangung öffentlicher Aufträge zu sichern.

Tatsache ist, dass auch die öffentliche Verwaltung nur in seltenen Fällen in der Lage ist, ihren spezifischen IT-Bedarf in offenen Ausschreibungsverfahren nach WTO-Richtlinien in der nötigen Klarheit und Tiefe vorab und schriftlich so zu formulieren, dass rein auf dem anonymisierten Korrespondenzweg das attraktivste eingeholte Angebot auch tatsächlich dem wirtschaftlich effizientesten und effektivsten Lösungsansatz entspricht. Diese Erkenntnis liegt der Vernehmlassungsvorlage zum neuen BoeB zu Grunde, bzw. ihrer Forderung nach direkterer Kommunikation und einer klaren Flexibilisierung der Vergabepraxis.

Ich empfehle der Motionärin und ihren Mitunterzeichnenden die gelegentliche Aussprache mit ihrem Nationalratskollegen und IT-Unternehmer Ruedi Noser (FDP, ZH). Er wird den Urhebern des Vorstosses noch vor dessen Beantwortung durch den Bundesrat darlegen können, weshalb seine Begeisterung für noch rigidere Beschaffungsabläufe gegen Null tendiert und weshalb uns die Motion Graf-Litscher bei allem Respekt ihrer Motive auf einen Holzweg führt. Ich habe diesen Austausch mit NR Noser bereits geführt, und zwar anlässlich der letztjährigen Herbsttagung der Schweizerischen Gesellschaft für Verwaltungswissenschaften, wo wir beide zum Thema öffentliche Beschaffung referiert haben.

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