Bei Nationalrat Adrian Amstutz weiss man, woran man ist. Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Mit seiner Kolumne im Thuner Tagblatt vom 3. Juli 2010 hat er aber die Grenze zur Demagogie überschritten: „Es wird geschlagen und gemordet. Es wird gestohlen und vergewaltigt. Es wird mit Frauen und mit Drogen gehandelt. Und es werden Privatpersonen, Firmen und Sozialwerke betrogen. Bei all diesen Delikten stellen ausländische Kriminelle einen überdurchschnittlich hohen Anteil, und es ist höchste Zeit, diese verheerende Entwicklung mit einem klaren Tarif endlich zu stoppen … “ Dass dieser Tarif durch die SVP-Ausschaffungsinitiative erlassen und durchgesetzt werden soll, versteht sich von selbst.
Mit dem Wahlkampf 2007 ist die Problematisierung des Fremden zu einem zentralen Thema in der Agenda der SVP geworden. Durch die Zuschreibung, Ausländer oder bestimmte Ausländergruppen seien kriminell, gewalttätig oder integrationsunwillig zeichnet die SVP gezielt ein Bild, das Distanz erzeugen soll. Die mediale Resonanz dieser Typisierung verstärkt das Bild noch. In ihren zahlreichen Gegenreaktionen plädieren die Mitte- und Linksparteien auf Differenzierung in der „Ausländerproblematik“. Sie warnen die SVP vor Fremdenfeindlichkeit und einem Abgleiten in den Rassismus. Was in der Kontroverse aber unwidersprochen im Raum stehen zu bleiben droht, ist der Zusammenhang zwischen Ausländern und Kriminalität.
Die Frage ist also: Verhalten sich Ausländer tatsächlich krimineller als Schweizer, wie Adrian Amstutz dies so eindringlich postuliert? Wer dieser Frage auf den Grund gehen will, stösst rasch auf eine Unsicherheit in der Auffassung von „Ausländer“. Ist damit die Gruppe von Ausländerinnen und Ausländern gemeint, die einen Wohnsitz in der Schweiz aufweisen und somit einen Ausländerausweis besitzen? Oder meint man eine zweite Gruppe von Asylbewerbern, die zwar keinen Schweizer Wohnsitz, aber eine Aufenthaltserlaubnis bei uns haben? Oder gar eine dritte Gruppe, die sich aus Touristen, Durchreisenden sowie Personen zusammensetzt, die sich illegal in der Schweiz aufhalten?
Im Weiteren ist zu entscheiden, welche Kriminalstatistik man zu Rate ziehen will. Die polizeiliche Kriminalstatistik stützt auf die erstatteten Anzeigen nach schweizerischem Strafgesetzbuch ab. Die Strafurteilsstatistik der Schweiz hingegen weist die Tätigkeit der Gerichte aus und stellt auf die tatsächlich erfolgten Verurteilungen aufgrund schweizerischen Rechts während eines Erhebungsjahres ab. Genau diese Richtertätigkeit der „Kuscheljustiz“ kritisiert Amstutz ja aber als deutlich zu lasch.
Glücklicherweise gibt es eine hinlängliche Untersuchung des Bundesamts für Statistik „Zur Staatszugehörigkeit von Verurteilten – Kriminalistische Befunde“ aus dem Jahr 1996. Sie geht diese definitorischen und untersuchungstechnischen Unsicherheiten explizit und statistisch-methodisch korrekt an und kommt zu sehr klaren Aussagen.
Demnach haben wir bezüglich Kriminalitätsrate kein Ausländerproblem, sondern ein Männerproblem: 86% sämtlicher Verurteilten sind Angehörige des männlichen Geschlechts. Und die Hälfte ist zwischen 18- und unter 30jährig.
Bei der durchschnittlichen schweizerischen Wohnbevölkerung sind 46% der mindestens 18jährigen männlichen Geschlechts; bei der ausländischen Wohnbevölkerung sind es 59% und bei den Asylsuchenden 81%.
In der Sprache der Statistik gesprochen stammen die vier Verurteiltengruppen – Schweizer Wohnbevölkerung, ausländische Wohnbevölkerung, Asylsuchende und durchreisende Ausländer – aus unterschiedlichen Grundgesamtheiten mit unterschiedlich strukturierter Zusammensetzung hinsichtlich der soziodemographischen Merkmale Geschlecht und Alter.
Nach Differenzierung der strafrechtlich Verurteilten nach Alter und Geschlecht ergeben sich für die schweizerische und ausländische Wohnbevölkerung etwa gleich hohe Verurteiltenraten. Asylsuchende werden etwas häufiger verurteilt.
Die Einbeziehung von Geschlecht und Alter in die Analyse zeigt, dass es für das Verurteilungsrisiko wichtigere Bestimmungsgrössen als die Nationalität gibt. „Ausländerkriminalität“ wird damit relativiert. Andere Merkmale wie Geschlecht und Alter müssen zur Erklärung herangezogen werden. Bei der SVP hat man das entweder nicht begriffen, oder es steckt ein anderes Kalkül hinter der Ausschaffungsinitiative als vermeintliche statistische Erkenntnisse.
Die Liste der Gründe für eine Ablehnung der Ausschaffungsinitiative ist lang. Der Vorstoss missachtet wichtige Verfassungsgrundsätze, ist durchzogen von juristischen Mängeln und lässt Vollzugsschwierigkeiten ohne Ende erwarten. Vorab aber legitimiert sich die Initiative durch einen Sachverhalt, der in der postulierten Form schlicht nicht existiert.
Sonntag, 11. Juli 2010
SVP-Halali zur Treibjagd auf die Ausländer
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2 Kommentare:
Mit diesen Argumenten müssten Sie sich auch gegen den Gegenvorschlag einsetzen – oder sehe ich das falsch?
Ihre Frage ist berechtigt. Mein Votum ist keineswegs als Freipass für Kriminalität in irgendeiner Ausprägung zu verstehen. Deshalb befürworte ich auch eine Verschärfung des Strafrechts: Abschaffung der bedingten und teilbedingten Geldstrafe, die Wiedereinführung der kurzen Freiheitsstrafe, die unbedingte gemeinnützige Arbeit, die Erhöhung der Altersgrenze von 22 auf 25 Jahren im Jugendstrafrecht, die Wiedereinführung der strafrechtlichen Landesverweisung und die Angleichung des Strafmasses für verschiedene Straftatbestände. Die Abschaffung der Landesverweisung war falsch. Bei einer Strafe von mehr als einem Jahr soll ein ausländischer Täter aus der Schweiz verwiesen werden dürfen. Bei längeren Freiheitsstrafen soll eine Verweisung auf Lebzeiten ausgesprochen werden können.
Ich unterstütze den Gegenvorschlag zur Ausschaffungsinitiative. Ausländerrechtliche Bewilligungen sollen bei schwerwiegenden Straftaten widerrufen werden. Die Ausschaffungsinitiative der SVP bricht aber mit Artikel 5 unserer Bundesversammlung über die Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns, insbesondere mit Ziffer 2über dessen Verhältnismässigkeit. Sie beruft sich dabei auf eine unter Ausländern grassierende Kriminalität, die es als Differenzierungsmerkmal zur einheimischen Bevölkerung nicht gibt.
Kriminalität in der Schweiz ist ein Männerproblem, insbesondere ein Problem der jungen Männer – auch, aber nicht nur, der ausländischen jungen Männer.
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