Die Schweiz gehört zwar zu den reichsten Ländern, doch seit 1974 liegt unser Wirtschaftswachstum unter dem Durchschnitt der übrigen OECD-Länder. Im Auf und Ab der Konjunktur liegt das Wirtschaftswachstum des Kantons Bern in Phasen des Aufschwungs sogar typischerweise unter demjenigen unseres ganzen Landes. Schwaches Wachstum aber generiert tendenziell weniger Arbeitsplätze, erschwert unsere Sozial- und Umweltpolitik, vermindert die Staatseinnahmen, senkt die Standortattraktivität, und verringert schliesslich unseren relativen Wohlstand. Deshalb gehört eine Wachstumsstrategie zur unserer Entwicklungspolitik auf der Grundlage: „Wer eine Leistung erbringt und mit Investitionen Risiken eingeht, muss Gewähr haben, dass er dafür belohnt und nicht behindert wird.“
Träger des Wirtschaftsaufschwungs können nur Unternehmen sein, insbesondere KMU, die investieren und Arbeitsplätze schaffen. Der Staat kann Wirtschaftswachstum nicht einfach verordnen, auch nicht mit dem Zauberwort „Cleantech“. Vielmehr soll er sich auf die Schaffung eines institutionellen Rahmens konzentrieren, in welchem produktive unternehmerische Initiative stärker belohnt wird als andere Formen wirtschaftlichen Handelns.
Glücklicherweise steckt in jeder Bürgerin und jedem Bürger ein „Unternehmer“. Welche Art Initiative sie oder er entfacht, entscheiden unter anderem die Rahmenbedingungen. Wo etwa im grossen Stil durch Subventionen umverteilt wird, regt sich natürlich eine Form von Unternehmertum, das insgesamt keine Mehrwerte schafft – ein Null-Summen-Spiel. Wo horrende Steuern den „Unternehmer“ plagen, wird er seine Gewinnsituation durch Massnahmen am Rande oder gar ausserhalb unserer Rechtsordnung zu optimieren wissen – ein Negativ-Summen-Spiel.
Leiten aber unsere Rahmenbedingungen die Bürgerin und den Bürger zu produktivem wirtschaftlichem Handeln an, so erfüllen solche „Unternehmer“ eine doppelte Rolle. Zum einen suchen und finden sie bis anhin ungenutzte Gewinnmöglichkeiten. Allein schon dadurch gewinnt die Wirtschaft an Effizienz. Zum anderen treiben sie Innovationen an, die einen effizienteren Ressourceneinsatz zur Folge haben. In solchen Veränderungen liegt der Kern wirtschaftlichen Wachstums: im Zuwachs des realen Produktionsausstosses aufgrund höherer Produktivität.
Zu den wirtschaftlich relevanten Rahmenbedingungen zählen zweifellos Fähigkeit und Wille eines Kantons zu Infrastrukturinvestitionen. Statt sich aber in einem ausgabenseitigen interkantonalen Wettbewerb (z.B. um Spitzenmedizin, Bundessubventionen) auszuzehren, ist Wettbewerb im Bereich der Besteuerung durchaus der gesündere Ansatz und geeignet, die Steuerquote zu senken. Insofern besteht keinerlei Anlass, den Steuerwettbewerb grundsätzlich zu verdammen oder gar zu verbieten, wie das die „Steuergerechtigkeitsinitiative“ der SP will. Mit der Ausgestaltung der direkten Bundessteuer als einer der Progression unterliegenden „Reichtumssteuer“ enthält unsere Rechnung bereits ein Element der gesellschaftlichen Umverteilung. Die kantonalen Steuern dienen aber in erster Linie der Finanzierung der öffentlichen Güter (Schulen, Strassen, Ordnungskräfte, …), die allen Bürgerinnen und Bürgern in gleicher Qualität und Quantität zur Verfügung stehen. Daraus, und aus dem Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, lässt sich kein Ruf nach einem progressiven oder noch progressiveren Steuersystem ableiten, sondern bestenfalls nach einem linearen. Eine Steuerbelastung proportional – und eben nicht überproportional – zum Einkommen stellt einen grösseren Arbeitsanreiz und damit eine bessere Rahmenbedingung für den wirtschaftlichen Aufschwung dar. Die „Steuergerechtigkeitsinitiative“ der SP, die Pflicht zur stärkeren Progression in den kantonalen Steuersystemen und die Aushebelung des Wettbewerbs lehne ich deshalb konsequent ab.
Umgekehrt wäre es völlig falsch, die kantonale oder kommunale Steueranlage als Standortfaktor über alle anderen Faktoren zu stellen, die zusammen die Standortattraktivität ausmachen. Genau das tut aber auf kommunaler Ebene die von Vertretern der SVP und FDP soeben lancierte Volksinitiative zur Senkung der städtischen Steueranlage in Thun von 1.74 auf 1.54 Einheiten. Der daraus für die Stadt zu erwartende Steuerausfall von über 10 Millionen Franken pro Jahr käme einem Kahlschlag gleich, der alle anderen Standortfaktoren sehr negativ beeinflussen würde. Wie falsch die von den Initianten getroffene Annahme ist, diese Form von Steuerdumping steigere die Attraktivität des Wirtschafts- und Wohnstandorts Thun wirksam und nachhaltig, zeigt der folgende Vergleich.
Die Schweiz ist ja bekanntlich ein Land der Mieter. Rund 60 Prozent unserer Landsleute wohnen zur Miete, und nicht für die Krankenkassen oder die Steuern geben die Schweizerinnen und Schweizer am meisten Geld aus, sondern für die Mieten. Dennoch wird niemand allen Ernstes behaupten wollen, bei der Wohnungssuche entscheide allein der Mietzins die Wahl. Neben Faktoren wie Grösse, Raumaufteilung und Ausbau spielen ganz gewiss die Besonnung, Lage, Nachbarschaft, Erschliessung mit dem öffentlichen Verkehr, mit Schulen und Einkaufsmöglichkeiten eine ebenso wichtige Rolle bei der Wohnungswahl. Die optimale Anbindung ans ÖV-Netz erlaubt unter Umständen den Verzicht auf das eigene Auto und den Autoeinstellplatz und damit den Entscheid für eine teurere Wohnung. Ein gutes Tagesschulangebot erlaubt vielleicht die Berufstätigkeit beider Elternteile, sichert ein höheres Familieneinkommen und eröffnet auch damit die Aussicht auf eine höherwertige Wohnung.
Genauso verhält es sich mit der Steueranlage. Sie ist zweifellos ein Faktor der Standortattraktivität – aber bloss einer unter vielen. Steuerwettbewerb ist solange zu begrüssen, als er nicht andere wichtige Standortfaktoren negativ tangiert oder gar das Funktionieren des betreffenden Gemeinwesens in Frage stellt.
Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, das Wachstumspotenzial und damit auch das Steigerungspotenzial der Steuerkraft verteilen sich nicht gleichmässig über den ganzen Kanton Bern. Als Lokomotive fungiert nach wie vor die Region Bern-Mittelland, wo rund 35% der Bevölkerung rund 55% des kantonalen Bruttoinlandprodukts erwirtschaften. Die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Kanton Bern soll sich deshalb auf die Achsen Thun-Bern-Biel und Bern-Burgdorf-Langenthal konzentrieren. Im tourismusstarken Berner Oberland liegt ein bedeutendes Wachstumspotenzial in einer bis heute weitgehend fehlenden echten regionalen Zusammenarbeit und einer ehrlichen Orientierung an internationalen Qualitätsstandards. Eine gelebte weltoffene, multikulturelle, tolerante und leistungsorientierte Gesellschaft ist auch hier Voraussetzung, um als Visitenkarte des Kantons noch erfolgreicher zu werden.
Der wirtschaftliche Aufschwung wird von der erwerbstätigen Bevölkerung getragen. Der Kanton Bern leidet aber nicht nur an einem im nationalen Vergleich unterdurchschnittlichen Bevölkerungswachstum, sondern an einer vergleichsweise ungünstigen Bevölkerungsstruktur: Die ältere Generation ist eher über-, jüngere Menschen eher untervertreten. Ohne Trendwende, die sich leider nicht abzeichnet, wird die bernische Bevölkerung bis 2030 um beinahe 10% schrumpfen und weitaus zahlreicher aus Rentnerinnen und Rentnern bestehen als heute. An einer Attraktivitätssteigerung unserer Region für Familien mit Kindern und einer effizienten Integration der häufig kinderreicheren ausländischen Wohnbevölkerung führt kein Weg vorbei. Auch so werden in bereits näherer Zukunft die Arbeitskräfte bei uns knapp, die unseren Wirtschaftsaufschwung und die öffentliche Finanzierung nachhaltig tragen sollen.
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1 Kommentar:
Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz: Steuerquote spielt eine untergeordnete Rolle!
Die Wettbewerbsposition der Schweiz gegenüber dem Ausland hängt meines Erachtens von weit wesentlicheren Faktoren ab als von der in der Schweiz relativ hohen Zuwachsrate bei den staatlichen Zwangsabgaben. Die Ungleichgewichte bei der beruflichen Ausbildung zwischen Angebot und Nachfrage sowie die Turbulenzen im Währungsbereich beeinflussen diese Position weit stärker. Schweden als Beispiel hat traditionell hohe Steuern, aber auch hohe Wachstumsraten. Entscheidender als die absolute Höhe oder die Zuwachsrate bei den staatlichen Zwangsabgaben ist die Verwendung der öffentlichen Gelder. Dazu wären wohl einmal Studien anzustellen, bevor gesicherte Korrelationen zwischen der Entwicklung der Zwangsabgaben und der Wettbewerbsposition unterstellt werden. Die durch Steuergelder finanzierten staatlichen Leistungen sind in der Regel für unsere Gesellschaft und Wirtschaft nicht minderwertiger als die privatwirtschaftlich erzeugten Leistungen, im Gegenteil: Bei manchen privatwirtschaftlich erzeugten Gütern und Diensten hatte ich schon den Eindruck, sie würden nur nachgefragt, weil die Kaufkraft nicht sinnvoller verwendet werden kann (Stichwort: Luxuskonsum); auch hatte ich schon das dumpfe Gefühl, die Marktwirtschaft funktioniere in der Schweiz noch nicht vollkommen. Alex Schneider, Küttigen
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