Sonntag, 17. Oktober 2010

Thun – Stadt der Alten

Sie lesen richtig: Die Rede soll hier vom Alter sein und nicht von den Bergen, die sich auch in den nächsten hundert Jahren vor unserer Haustür erheben werden und die Thun seit jeher zur Stadt der Alpen gemacht haben. Wer da aber behauptet, unsere Stadt werde sich in den nächsten Jahrzehnten zur Stadt der Alten entwickeln, muss weder Prophet, Spinner noch Schwarzmaler sein, sondern einfach zur Kenntnis nehmen, was sich aus der Altersstruktur unserer Bevölkerung seit längerem zwangsläufig ergibt. Thun – wie jede andere Stadt der Schweiz – wird demnach über kurz oder lang von Bürgerinnen und Bürgern im dritten und vierten Lebensabschnitt dominiert werden.

Ja, werden Sie sagen, das weiss ich doch: Dass sich zwischen 1875 und 2000 die Lebenserwartung in der Schweiz fast verdoppelt hat; dass nach 2050 die Frührentner, Alten und Hochbetagten zahlenmässig gleich stark sein werden wie alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen zusammen. Vielleicht gehören Sie sogar zu jenem Drittel aller heute Berufstätigen, die nicht mehr daran glauben, je in den Genuss einer AHV-Rente zu kommen, weil das Sozialwerk vermutlich vorher unter der unaufhaltsam wachsenden Rentenlast zusammenbrechen wird.

Was also machen wir mit dieser nüchternen Erkenntnis? Rechtzeitig zusätzliche Alters- und Pflegeheime bauen? Ein kurzer Blick auf die erwartete Alterstruktur in 50 Jahren zeigt uns aber, dass wir dannzumal gar nicht genügend Betriebs- und Pflegepersonal haben werden, um diese Heime zu betreiben – geschweige denn die Finanzen, um die benötigten Heerscharen an Betreuern und Pflegern zu bezahlen.

50 Jahre sind mehr als zehn Legislaturen, mag sich der Politikverdrossene sagen. Was kümmert diese Perspektive also den heutigen Politiker? Wer jetzt im Rampenlicht der Stadtpolitik steht, darf sich mit aktuellen Bauprojekten wie etwa jenem für ein neues Kultur- und Kongresszentrum auseinandersetzen (das, so nebenbei gesagt, unsere volle Unterstützung verdient).

Allerdings: Das Stadtquartier Seefeld, in dem ich wohne, ist vor 100 Jahren entstanden, und das Haus, in dem ich bis eben lebte, vor 100 Jahren gebaut worden, zu einem Zeitpunkt also, als es in Thun noch fast beliebige räumliche Entwicklungsmöglichkeiten gab. Die Stadtentwicklung misst sich an solchen Zeiträumen viel eher als an vierjährigen Legislaturzyklen. Und grosse Herausforderungen erfordern grosse Pläne oder zumindest eine gross angelegte Planung. Ich stelle mir vor, wie froh ich in 50 Jahren als dann Hochbetagter sein werde, dass die Stadt Thun zu Beginn des 21. Jahrhunderts – gerade rechtzeitig – aufgebrochen ist, eine Lösung für das Wohnen im Alter zu finden.

Von dieser Lösung vorwegnehmen lässt sich dies: Alte werden noch Ältere betreuen und pflegen müssen, weil Jüngere dazu gar nicht in genügender Anzahl verfügbar sein werden und ein anderer Ansatz gar nicht finanzierbar sein wird. Wir werden neue und mit Sicherheit verdichtete Wohnformen entwickeln müssen, um der eingeschränkten Mobilität und zunehmenden Isolation im Alter zu begegnen. Wir werden aus rein versorgungstechnischen Gründen, aber auch um einer Gettobildung entgegen zu wirken, auf eine gesunde Durchmischung von Altersinfrastrukturen mit belebenden kommerziellen und kulturellen Angeboten achten müssen. Kurzum: Wir werden den Begriff des altersgerechten Wohnens ganz neu definieren und überlieferte Generationenkonzepte wie den „Stöcklivertrag“ über Bord werfen müssen.

Klar ist auch, dass die benötigten Alterskomplexe weitgehend privat und mit integralen Konzepten finanziert werden müssen. Sie werden auf Skaleneffekte angewiesen sein und folglich recht gross ausfallen. Die integrierte Versorgungsinfrastruktur beispielsweise in Form von Einkaufsangeboten wird Mehrverkehr generieren, der wiederum die ökologisch ausgerichteten Interessenvereinigungen als Opposition auf den Plan rufen wird.

In raum- und verkehrsplanerischer Hinsicht ist es keineswegs zu früh, sich ernsthaft mit möglichen Standorten für solche Alterskomplexe zu befassen. Angesichts der politischen Schwierigkeiten, denen Grossprojekte naturgemäss begegnen, und angesichts der heute nur noch geringen Entwicklungsmöglichkeiten ist die Aufnahme entsprechender Planarbeiten vermutlich sogar dringend angezeigt.

Bereits vor Jahren haben sich die politischen Gremien in unserer Stadt für den Aufbruch entschieden. Aufbruch heisst, die grossen Herausforderungen der Zukunft anzunehmen, die sich abzeichnenden Probleme bei den Hörnern zu packen und unsere Zukunft aktiv mitzugestalten. Eine unübersehbare Herausforderung für den, der sie sehen will, stellt die zukünftige Lebensqualität im dritten und vierten Lebensabschnitt dar. Packen wir sie an!

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ich war eigentlich auf der Suche nach Informationen zu Thun - Stadt der Alpen.
Trotzdem habe ich mir ein bisschen Zeit genommen und Ihren Beitrag gelesen.