Donnerstag, 31. Juli 2008

Von Energiestädten und Atomköpfen

Mit Stolz verweist die Stadt Bern auf das Label „Energiestadt“. Verliehen durch eine unabhängige Kommission des Trägervereins Energiestadt soll ihr das Zertifikat eine „konsequente und zukunftsorientierte Energiepolitik“ bescheinigen. Der Prüfungsbericht von 2006 zur Bestätigung des Labels bezeichnet das öffentlichrechtliche Unternehmen Energie Wasser Bern (EWB) als wichtigste Partnerin der Stadt für eine sichere und nachhaltige Energieversorgung.

Neben der aktuellen Frage der zukünftigen Eigentümerstrategie von EWB kommt im Berner Stadtrat eine Motion der Fraktion Grünes Bündnis / Junge Alternative (GB/JA!) zur Beantwortung, die von EWB einen schrittweisen Rückzug aus der Produktion und dem Verkauf von Atomstrom verlangt. Die Motionäre, Natalie Imboden und Urs Frieden, beziehen sich dabei insbesondere auf Artikel 8, Absatz 3, der städtischen Gemeindeordnung, der „umweltbelastende oder umweltgefährdende Energieträger, wie die Atomenergie, durch einheimische und regenerierbare Energie zu ersetzen“ verlangt.

Die Stadt Bern hat via EWB während Jahren sowohl von einer hohen Versorgungssicherheit wie auch von tiefen Stromgestehungskosten profitiert – und profitiert weiterhin. Massgeblichen Anteil an diesem Nutzen hatten und haben eine 7.5%-Beteiligung der EWB am Kernkraftwerk Gösgen und eine 2%-Beteiligung am französischen Kernkraftwerk Fessenheim. Besonders Gösgen hat während seiner bisherigen Laufzeit hervorragend gearbeitet und im Jahr 2007 allein rund 35% der EWB-Stromproduktion beigesteuert, und das wohl zu Produktionskosten von weniger als 5 Rappen pro Kilowattstunde. Aufgrund dieses nahezu CO2-freien Erzeugungsmixes sind die Gestehungskosten von EWB weitestgehend unabhängig von der Gas- und Ölpreisentwicklung. Bestehende Produktionsüberschüsse kann EWB heute zudem relativ teuer weiterverkaufen. Über 75% des EWB-Gewinns stammen aus dem Geschäft mit dem Strom. Daneben fallen die Beiträge der anderen Geschäftssparten Gas, Wasser, KVA/Fernwärme und gewerbliche Leistungen geradezu bescheiden aus.

Ich hoffe für die Bürgerinnen und Bürger im Versorgungsgebiet der EWB, dass sich der Berner Stadtrat der sowohl umwelt- wie versorgungspolitisch hervorragenden Ausgangslage von EWB bewusst wird, bevor er die erwähnte Ausstiegsmotion von GB/JA! behandelt. Dafür würde ich sogar in Kauf nehmen, von Stadträtin Natalie Imboden als „Atomkopf“ bezeichnet zu werden, wie sie ihre FDP-Kollegen in einem „Bund“-Interview vom 16. Juli 2008 vorsorglich tituliert.

Im Thuner Stadtrat fällt in regelmässigen Abständen – zu Recht – der Hinweis, Thun habe in Bezug auf das Label „Energiestadt“ einen Umsetzungsrückstand auf andere Schweizer Städte. Sollte sich Bern im Rahmen seiner bestehenden Zertifizierung als „Energiestadt“ die von GB/JA! per Motion geforderte energie-, umwelt- und wirtschaftspolitische Kalberei leisten können, würde ich meine Haltung diesem Label gegenüber revidieren und lieber darauf verzichten.

Keine Kommentare: