Eine Trilogie: Erster Teil
Am 14. Februar 2013 hatte das Thuner Stadtparlament über eine
Volksinitiative zu befinden, die eine Winterüberdachung des 50m-Schwimmbeckens im Strandbad Lachen mit einer Traglufthalle fordert. Gedeckte und damit wintertaugliche 50m-Becken lassen sich in der Schweiz ja bekanntermassen an einer Hand abzählen, und Traglufthallen in der hier vorgeschlagenen Art sind ebenso selten. Es gibt ihrer landesweit zurzeit lediglich drei, nämlich in Schaffhausen, Chur und Tenero. Der Seltenheitswert solcher Anlagen korreliert mit dem viel zu spärlichen Angebot an Wintertrainingsmöglichkeiten für Wassersportler und ernsthafte Schwimmerinnen. So müssen sich die Thuner Wassersportvereine seit Jahren schmalen Zugang zu den Hallenbädern der Region in Aeschi b. Spiez, Frutigen, Interlaken und Oberhofen erkämpfen und erkaufen. Das nächstgelegene Bad in Heimberg ist im Winter derart stark durch Einzeleintritte ausgelastet, dass an Vereinssport dort nicht zu denken ist.
Das Angebotsdefizit ist seit Jahren hinlänglich bekannt, anerkannt und beklagt, was aber die Vertreter gerade jener Volkspartei im Stadtrat, die sich gerne mit dem besten Gehör für Volkesstimme brüstet, nicht davon abgehalten hat, die Volksinitiative bereits vor der Stadtratsdebatte öffentlich als „Schnappsidee“ zu disqualifizieren. So ereiferte sich ihr derzeit lautester Exponent, Lukas Lanzrein, am 5. Februar 2013 auf Facebook, es sei nicht Sache der öffentlichen Hand, jedes Lifestyle- und Freizeitbedürfnis mit Steuergeldern zu befriedigen.
Bezeichnenderweise war es auch die SVP als stärkste Fraktion im Thuner Stadtrat, die einer Einladung des initiativen Vereins „Winterdach“ zur Besichtigung der Traglufthalle Schaffhausen und zum Erfahrungsaustausch mit dem dortigen Betriebsleiter als einzige Stadtratsfraktion demonstrativ ferngeblieben ist.
Den Besuch im
Sportzentrum KSS Schaffhausen am 26. Januar 2013 habe ich mitorganisiert und zusammen mit Stadtratskolleginnen und -kollegen aller anderen Fraktionen mitgemacht. Meine Erkenntnis daraus auf den Nenner gebracht sind diese drei Punkte:
Erstens die lapidare Feststellung eines Stadtratskollegen vor Ort: „Hier hat sich jemand etwas überlegt!“ Ganz offensichtlich hebt sich Schaffhausen von Thun in dieser Beziehung ab, und das feststellen zu müssen tut weh. Nicht, dass wir in Thun gedankenlos herumliefen, aber wir haben in den letzten Jahren schon praktisch jede Gelegenheit verpasst, die jeweils dringenden Investitionsentscheide im Sportbereich so zeitlich aufeinander abzustimmen, dass wir Synergien durch eine örtliche Zusammenlegung an sich unterschiedlicher Sportanlagen hätten nutzen können. Wir sprechen zwar in Thun von einem Sportcluster, aber das ist mindestens im Moment, und bleibt auf unbestimmte Zeit hinaus, ein Papiertiger.
Die zweite Erkenntnis ist diejenige der Machbarkeit: Eine Traglufthalle ist eine relativ einfache, dauerhafte und pflegeleichte Konstruktion.
Drittens: Die Voraussetzungen für eine Traglufthalle gestalten sich in Thun leider völlig anders als in Schaffhausen. Das Strandbad Lachen ist eine reine Badeanlage, die ausschliesslich auf Sommerbetrieb ausgelegt ist, ohne irgendwelche wintertauglichen Infrastrukturen. Schaffhausen ist ein Sport- und Freizeitpark mit Ganzjahresbetrieb an der Kasse, im Hallenbad, Restaurant, in Seminarräumen und Garderoben, ebenso mit Winterbetrieb auf einer freien Kunsteisbahn und in einer Eissporthalle. Das 50m-Becken kann im Winter mit der Abwärme der Eiserzeugungsanlage geheizt werden. Das Zentrum dort lebt also von Synergien zwischen Anlagen, die sich gegenseitig befruchten. Ähnliche Voraussetzungen in Thun schaffen zu wollen, aus der heutigen Ausgangslage heraus, wäre hoffnungslos.
Deshalb schliesse ich mich der Analyse des Thuner Gemeinderats an und sage: Die Traglufthalle, als isoliertes Projekt, so wie sie für Thun vorgeschlagen wird, lohnt sich nicht. Ich habe im Stadtrat auf Ablehnung plädiert und dagegen gestimmt.
Zum nahezu einstimmigen Ablehnungsentscheid des Thuner Stadtrats sind gleichwohl einige Punkte kritisch anzumerken.
Das aktuelle Thuner Konzept für Sport- und Bewegungsräume vom September 2008 sah unter dem Titel „Phase 1: Sofort in Angriff zu nehmende Massnahmen und Erteilung von Planungsaufträgen“ als konkrete Massnahme 4 die Unterstützung der Initianten einer mobilen Überdachung des 50m-Beckens (Traglufthalle) im Strandbad vor: „Eine finanzielle Unterstützung durch Bund, Kanton und Gemeinden ist durch die Stadt abzuklären. Planungskostenbeitrag von Seiten Stadt zu bestimmen; Betriebsbeitrag noch offen.“ In der Detailbeschreibung der Massnahme 4 ging man dort von einem jährlichen Betriebsdefizit von CHF 200‘000 aus. Der Gemeinderat stellte damals einen Grundsatzentscheid innerhalb von 12 Monaten über die Federführung und Höhe des finanziellen Engagements der Stadt in Aussicht gestellt. Der Entscheid hätte also bis September 2009 erfolgen sollen.
Jener Massnahme wurde damals höchste Priorität eingeräumt, ebenso hohe wie der Sanierung der Leichtathletik-Rundbahn im Stadion Lachen und dem Standortentscheid Kunsteisbahn. Von dieser Dringlichkeit ist heute leider nichts mehr zu spüren. Die Thuner Sportministerin Ursula Haller begründet den 3-jährigen Verzug mit der zwischenzeitlich national eingeleiteten Energiewende. Ehrlicher wäre wohl das überfällige Eingeständnis der Stadtregierung, 2008 einen zu überladenen Forderungskatalog aus der lokalen Sportstättenplanung zu unkritisch pauschal verabschiedet zu haben, ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit der ausführenden Verwaltungsabteilungen und die knappen Stadtfinanzen.
Weiter steht heute die von allen Seiten erhobene Forderung im Raum, der Betrieb der Traglufthalle müsse selbsttragend sein. Davon ist im Sportstättenkonzept von 2008 nirgends die Rede. Vielmehr geht der Gemeinderat dort vom erwähnten Betriebsfehlbetrag von CHF 200‘000 aus.
Bei der Lektüre der Mitberichte, welche die Thuner Verwaltungsabteilungen zum Projekt abgegeben haben, stösst man auf sehr viele kritische Fragen, die mehrheitlich durchaus berechtigt sind. Aber es sind teilweise auch schwierige Fragen, die zumindest ich auch als langjähriges Parlamentsmitglied nicht in der Lage wäre zu beantworten. Darum erachte ich es als einigermassen unfair, wenn den Initianten heute vorgeworfen wird, es gäbe in ihrem Projekt noch etliche offene Fragen. 2008 hat man ihnen im Konzept für Sport- und Bewegungsräume mit höchster Dringlichkeit Unterstützung zugesichert, und dazu hätte für mich auch die Mithilfe bei der Klärung solcher Fragen gehört. Was einem bei der Lektüre entgegenschlägt, ist also nicht sehr viel Goodwill seitens Stadtverwaltung.
So hält auch der Gemeinderat dieser Initiative heute entgegen, der Investitionsmittelbedarf sei nicht im Aufgaben- und Finanzplan der Stadt eingestellt. Aber liegt es nicht gerade in der Natur von Volksvorstössen, dass sie Projekte anstossen wollen, die nicht bereits in der Planung sind, bzw. bräuchte es wohl noch eine Volksinitiative für ein Projekt, das der Gemeinderat bereits in seiner rollenden Mittelfristplanung hat?
Der Gemeinderat bezeichnet das Anliegen der Initiative, d.h. eine Schwimm- und Schwimmtrainingsmöglichkeit während der Wintermonate, als absolut unbestritten. Der Bedarf sei gegeben. Und trotzdem verzichtet er auf einen Gegenvorschlag. Das Timing seiner Vorlage an den Stadtrat ist so, dass die Ausarbeitung eines Gegenvorschlags auf Wunsch des Stadtrats, und damit verbunden eine zweite Lesung im Rat, praktisch unmöglich geworden ist, ohne dabei die Fristvorgaben der Stadtverfassung zu verletzen. Dies, obwohl das Geschäft jetzt bereits sechs Jahre Vorlauf hat.
In der Summe heisst das für mich, dass die Stadt Thun in diesem konkreten Geschäft – und ich will hier in keiner Art und Weise verallgemeinern – für die Initianten kein verlässlicher Partner war: Man hat den Initianten 2008 Unterstützung bei der Planung und Projektierung zugesichert, klare Entscheide bis Herbst 2009, mit höchster Priorität, und lässt sie jetzt einfach fallen – zwar mit guten Gründen, aber auch mit einem Argumentationskatalog, den man unverändert bereits 2007 hätte festschreiben können. In dieser Begründung gibt es absolut nichts Neues und Unerwartetes. Das war auch einer der Gründe, weshalb ich 2009, zwar auf verlorenem Posten, aber doch ziemlich unüberhörbar, im Stadtrat das Konzept für Sport- und Bewegungsräume scharf kritisiert habe, eben weil es Versprechen enthält, welche die Stadt absehbar nicht erfüllen kann.
Nach dem Nein des Stadtrats liegt der definitive Entscheid über die Realisierung einer Traglufthalle nun am 9. Juni 2013 bei den Thuner Stimmberechtigten. Im diesem Urnengang werden sie sich fragen müssen, ob sie jetzt ja sagen sollen zu einer nicht ganz befriedigenden Traglufthalle, weil Thun sonst nie zu einem Wintertrainingsangebot kommt, oder ob in Thun früher oder später mit einiger Verlässlichkeit mit einem richtigen zusätzlichen Hallenbad zu rechnen ist.
Ich danke den Initianten, dem Verein Winterdach, dass sie ihre Idee so weit mit sportlicher Ausdauer vorangetrieben haben, dass wir jetzt politisch darüber befinden können. Es ist eine sehr vernünftige Idee, die wir aber in unserer Ausgangslage in Thun nicht einfach mit gutem Gewissen umsetzen können.