Was verbindet das Berner Oberland mit Indien? Auch wenn Bollywood offenbar unsere Alpenlandschaft als Kulisse für Filmproduktionen längst entdeckt hat und dem politisch instabileren Kaschmir vorzieht, meine ich nicht den Drehort solcher Streifen.
Ich spreche von der Unantastbarkeit der Kuh, in der hinduistischen Tradition Indiens wie auch in der alpwirtschaftlichen des Oberlands. Nicht bloss im Reich der Simme, zwischen Wimmis und der Lenk, sondern auch in weiteren Teilen des Berner Oberlands geniesst die Kuh einen Stellenwert, der einen mit alpinen Kenntnissen unbelasteten Touristen wohl auf eine Form von Rinderkult schliessen lassen muss.
Eine Wanderung im Naturschutzgebiet des Seebergsees über die Chumigalm und um den Gestelegrat herum hat mir letztes Jahr diese Vorherrschaft der Kuh im bernischen Alpenraum eindrücklich vor Augen geführt. Die weidenden Kühe haben das Terrain dort nach ihrem Gusto terrassiert, die Wanderpfade über weite Strecken in praktisch unbegehbare Furchen verwandelt und manche feuchte Bergwiese in einer Dichte mit tiefen Trittlöchern überzogen, die jeden Wanderer einen Knöchelbruch befürchten lässt. In Verbindung mit reichlich ausgelegten Kuhfladen wird die Bergwanderung so zum unfreiwilligen Ballet, bei dem auch die Nase nicht zu kurz kommt. Aufgrund dieser Routenerfahrung habe ich mir vorgenommen, das Diemtigtal zukünftig zu meiden.
Diese Woche daher zur Abwechslung ein Ausflug ins angrenzende Gurnigelgebiet und dort eine Rundwanderung von der Wasserscheide über Schüpfenflue, Süftenegg und Schwefelbergbad. Hier soll ja ein Regionaler Naturpark Gantrisch entstehen, im „Einklang von Natur, Landwirtschaft und Tourismus“. Als nachhaltig fallen hier vor allem die Einzäunungen der Weiden auf: Im mittleren Abstand von etwa 250 Metern gilt es für den Wanderer, massive Gatter zu entketten und hinter sich wieder zu verschliessen. Zudem finden wir am Fuss des Birehubels entlang das bereits vom Seebergsee her vertraute Bild der vierbeinig ausgetretenen Fusspfade, die unsere gehörnten Freunde bei Regennässe in richtige Schlammlöcher verwandelt haben.
Dann eine Wanderung im Gebiet des Niederhorns, auf der uns eine befreundete Besucherin aus der Topfebene von Ungarn begleitet. Beim Abstieg nach Vorsaas empfängt uns eine Kuhherde und mitten auf dem Wanderweg eine ihr Kalb säugende Mutterkuh. Bei allem Familiensinn beschliessen wir, einen grossen Bogen um das skeptisch dreinblickende Tier, dafür aber wieder Bekanntschaft mit den vertrauten Dungfladen zu machen. Unsere Besucherin findet diesen Abschnitt unverdrossen „very nice“.
Ich gebe zu: Wenn die Rolle der Landwirtschaft im Alpenraum zur Sprache kommt, bekunde ich Mühe mit dem Anspruch unserer Bergbauern auf Entschädigung ihres Aufwands für „Hege und Pflege“ der Bergwelt. Die Alpwirtschaft stellt einen nicht zu übersehenden schwer wiegenden Eingriff in die Natur der Voralpen dar und steht in einem Interessenkonflikt mit den Ansprüchen des Naturschutzes. In diesem Spannungsfeld schlägt mein Herz klar für die unberührte Natur, die ich im Berner Oberland gerne als Reich der Sinne erleben möchte – auch an der Simme.
Samstag, 2. August 2008
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