Ich suche auf Google nach „Babyfenster“, und Google AdSense beglückt mich zynisch mit der Werbung für den Online-Shop mit allem fürs Neugeborene: „So fühlt sich Ihr Baby wohl!“ – „Wohl kaum“, denke ich konsterniert.
Eine unbekannte Mutter legt am 1. August ihren Säugling ins Babyfenster des Spitals Einsiedeln, und die Schweiz freut sich darüber, dass diese landesweit einzigartige Einrichtung wieder einmal verwendet wurde. Das Spital selbst bewirbt die Babyklappe denn auch entsprechend: „Die Mutter öffnet das Fenster, legt es hinein, schliesst das Fenster wieder und entfernt sich. Im Spital gibt es verzögert Alarm. Krankenschwestern nehmen sich des Kindes an. Es kommt in gute Hände.“
Nun ja, besser aufgehoben ist der Säugling allemal im Spital als das Neugeborene, das am 8. Oktober 2005 von seiner Mutter in einem Einkaufswagen im Coop-„Saagi-Zentrum“ in Steffisburg abgelegt und verlassen wurde. Ich gebe zu, dass diese Not meine Vorstellungskraft übersteigt, die Not, welche eine Mutter oder ein Elternpaar zur Aussetzung ihres neugeborenen Kindes treibt. Und trotzdem gibt es solche Fälle, und hat sie wohl immer gegeben – von Ödipus im alten Griechenland, von Romulus und Remus im alten Rom bis heute.
Bei allen rechtlichen und ethischen Vorbehalten gegen die Institution Babyklappe ist sie doch von vielen denkbaren Alternativen nicht die schlechteste. Zumindest der Gedanke an Abtreibung oder eine Kindheit und Jugend in zerrütteten familiären Verhältnissen eröffnet keine besseren Perspektiven.
Und trotzdem: Der Aussetzung im Babyfenster geht ja wohl in aller Regel eine einsame und nicht ungefährliche Geburt unter misslichen Bedingungen voraus. Diese Erfahrung könnten wir einigen Müttern in Not mit der Möglichkeit zur anonymen Geburt im Spital ersparen, wo die medizinische Betreuung sichergestellt ist. Diese Möglichkeit ist seit Jahren in Frankreich legalisiert, in Österreich straffrei, und in Deutschland machen sich die Spitäler eine Gesetzeslücke zu Nutze, um straffrei zu bleiben.
Einem Bericht des Tagesanzeiger vom 7. August 2008 zufolge kommen in Deutschland jährlich mehrere Hundert Kinder anonym zur Welt. Über 60% der anonym gebärenden Frauen hätten sich aber unmittelbar nach der Geburt dafür entschieden, ihr Kind zu behalten. Von den übrigen Müttern hätten die meisten innerhalb von wenigen Tagen beschlossen, ihre Identität bekannt zu geben, so dass ihre Kinder später erfahren können, von wem sie abstammen. Die Geheimhaltung helfe in erster Linie, die kurzfristige Notlage zu überbrücken.
Das Anliegen der anonymen Geburt ist auch in der Schweiz nicht neu. Bereits im Herbst 2001 reichte EDU-Nationalrat Christian Waber mit Unterstützung von Walter Donzé und Heiner Studer (EVP) eine entsprechende Motion ein, die der Bundesrat ablehnte, die im Parlament schlechte Aufnahme fand und schliesslich 2003 altershalber abgeschrieben wurde. Eine zweite, ähnlich lautende Motion von SP-Nationalrätin Josy Gyr vom Juni 2005 ist im Ratsplenum noch nicht behandelt worden. Nach dem Tod von Frau Gyr hat ihr Parteikollege Andy Tschümperlin den hängigen Vorstoss übernommen.
Der Schwyzer CVP-Nationalrat Reto Wehrli hat nun angekündigt, er wolle das Thema im Herbst mit einem eigenen Vorstoss neu aufnehmen. Das scheint mir durchaus lohnenswert zu sein.
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