Montag, 24. November 2008

Kein Kompetenzbeweis der SP Thun

In einem Leserbrief an das Thuner Tagblatt unter dem Titel „Niemand ist so naiv“ bezichtigt mich die Thuner SP-Stadträtin Eveline Fahrni namens der gesamten SP-Fraktion, an der Budgetsitzung des Stadtrats vom 20. November 2008 das Kommissionsgeheimnis gezielt verletzt zu haben, und das gar in der Rolle des Kommissionspräsidenten. Die erneute öffentliche Anklage erfolgt, nachdem die Entschuldigung eines SP-Stadtrats für eine andere an mich persönlich gerichtete, unhaltbare Unterstellung im Rat noch kaum verklungen ist.

Mit Naivität hat die massive Kritik der SP tatsächlich nichts zu tun, sondern im besten Fall mit einem grundlegenden Missverständnis der Aufgaben und Verantwortung der Budget- und Rechnungskommission (BRK) sowie der Rolle einer vorberatenden Stadtratskommission und ihres Sprechers im Rat. Die Anklage ist leider alles andere als ein Kompetenzbeweis.

Mein kritisiertes Votum im Stadtrat habe ich zum Thuner Aufgaben- und Finanzplan 2009-2012 abgegeben. Der Teilverkauf der Energie Thun AG war gar nicht traktandiert, und ich habe auch keinen Bezug dazu hergestellt. Das Votum ist vom Stadtrat überhaupt nicht kommentiert worden, weder von Frau Fahrni noch von anderen SP-Ratsmitgliedern.

Gemäss Finanzreglement soll der rollende Aufgaben- und Finanzplan (AFP) „insbesondere Aussagen über die Abstimmung des Finanzplans mit wesentlichen Sachplanungen machen.“ Aufgabe meiner Kommission ist es, diese Vierjahresplanung in ihrer gesamten Breite zu prüfen und dem Stadtrat allfällige Mängel oder Lücken aufzuzeigen. Das habe ich gemacht, indem ich den Rat darauf hingewiesen habe, dass in den kommenden Jahren ein zusätzlicher Investitionsbedarf von bis zu 50 Millionen Franken auf die Stadt Thun zukommt, der im aktuellen AFP mit keiner Silbe erwähnt wird. Ein dringendster Teil dieser Investitionen aus dem Bereich der Sportstättenplanung fällt in den Planungszeitraum 2009-2012. Auch ohne diesen zusätzlichen Bedarf fehlen der Stadt Thun aus aktueller Sicht bis 2012 Investitionsmittel von mindestens Fr. 11 Mio.

In der Vorberatung der BRK ist dieser Aspekt eingehend diskutiert und protokolliert worden. Leider hat die einzige SP-Vertreterin in der BRK die Sitzung vorzeitig verlassen, die Diskussion verpasst und sich vor der Stadtratssitzung bei mir auch nicht um das im Entwurf bereits vorliegende BRK-Protokoll bemüht.

Ich lasse mir die fehlende Sitzungsdisziplin der SP und ihre Sprachlosigkeit im Stadtrat nicht nachträglich zum persönlichen Vorwurf machen. Die mir von der SP mangels besserer Argumente im laufenden Abstimmungskampf um einen Teilverkauf der Energie Thun AG zugeschobene Rolle als Buhmann akzeptiere ich im Interesse einer gewissenhaften Aufgabenerfüllung im Rat und seinen Kommissionen.

Sonntag, 14. September 2008

Strom auf Vorrat

Ich stehe in der Warteschlange an der Kasse im Supermarkt und studiere die Auslagen, die über dem Förderband hängen: Batterien und Kaugummi. Wie die der Titel erahnen lässt, spreche ich hier von den Stromkonserven, nicht vom Kauzeug. „Letzte Stromtankstelle vor Ihrem nächsten Einkauf“, scheint das Hängeregal voller „Energizer“ und anderen Zellen mit viel sagenden Attributen wie „Ultra“, „Ultimate“ und „Supreme“ zu verkünden. Die Vielfalt des Angebots ist gross in den beiden häufigsten Grössen AA und AAA sowie 2er-, 4er- und 8er-Packungen. Was fehlt, sind die wiederaufladbaren Standardakkus in denselben Grössen. Dafür ist der Gang in die Fachabteilung erforderlich.

Dass die Grossverteiler in erster Linie die Wegwerfbatterien zum Einmalgebrauch vermarkten, hat wohl seinen Grund. Denn die wiederaufladbaren modernen Hochleistungsakkus sind zwar etwas teurer, erlauben aber bis zu 1‘000 Ladezyklen und untergraben damit natürlich das gute Geschäft mit den Stromkonserven.

In der Schweiz werden pro Jahr 120 Millionen Batterien verkauft. Der jährliche Verbrauch von Batterien hält sich konstant auf rund 3‘700 Tonnen, wovon gemäss Angaben von Batrec rund 66% rezykliert werden. Die Herstellung einer Wegwerfbatterie verbraucht etwa 100-mal mehr Energie als sie zu speichern vermag. Ihre Entsorgung verbraucht nochmal das 50-fache der abgegeben Energie.

Gegen die wiederaufladbaren Akkus in den Standardgrössen AA und AAA sprach bisher ihre relativ hohe Selbstentladungsrate. Die Tests von Dr. Rolf Zinniker vom Institut für Elektronik der ETH Zürich an einer neuen Generation von „easy to use“ Akkus sprechen aber eine andere Sprache. Demnach verfügen diese Akkus auch nach einem Jahr Nichtgebrauch noch über rund 80% ihrer ursprünglichen Ladung.

Das hat mich dazu bewogen, mir einmal Rechenschaft über den Batterieverbrauch unseres Haushalts abzulegen. Wir verbrauchten bisher etwas weniger als das statistische Mittel pro Haushalt von rund 50 Wegwerfbatterien. Beim Kauf von hochwertigen Einweg-Alkali-Mangan-Markenprodukten („Alkaline“) sind das dann zwischen 75 und 100 Franken pro Jahr.

Nun habe ich mir stattdessen einen Satz von 16 Stück dieser neuen Hochleistungsakkus und ein intelligentes Ladegerät gekauft. Bei der Firma Sistech AG gibt es das Ganze als Paket für 88 Franken im Versand. Das im Paket enthaltene Schnellladegerät Swisscharger G4 ist wohl eines der zurzeit besten auf dem Markt. Es kommt ohne externes Netzteil aus, nimmt 100-270 Volt AC und mit dem beiliegenden Anschlusskabel für den Zigarettenanzünder im Auto auch 11-30 Volt DC auf. Es analysiert und lädt von einander unabhängig vier Nickel-Metallhydrid- oder ältere Nickel-Cadmium-Akkus. Auch eine versehentlich eingelegte Wegwerfbatterie wird erkannt und geschont. Der Ladezustand jeder Zelle ist jederzeit über die eingebaute LCD-Anzeige ersichtlich. Auch die mitgelieferten NiMH-Akkus des Typs „accubattery“ halten bis jetzt, was sie versprechen. Und das alles unter dem Label „swissbatteries.com“ von einer Schweizer Firma. Sehr empfehlenswert!

Samstag, 6. September 2008

Energie Thun AG: Tafelsilber auf Pump

Die Stadt Thun sitzt auf einem Schuldenberg von rund 200 Millionen Franken und steht vor der Möglichkeit, diesen mit dem Erlös aus einem möglichen Teilverkauf der Energie Thun AG um rund 75 Millionen Franken abzubauen und die laufende Rechnung um jährlich rund 2 Millionen Franken Schuldendienst zu entlasten. Die SP und Gewerkschaften bekämpfen diesen Schritt erbittert und bezeichnen die vorgeschlagene Beteiligungsnahme der BKW von 49% am Aktienkapital der Energie Thun AG despektierlich als „Verscherbeln des Thuner Tafelsilbers“.

Offenbar entspricht es dem Zeitgeist, nicht mehr danach zu fragen, ob einem das Tafelsilber tatsächlich gehört oder ob man es bloss auf Pump unterhält. Im Zeitalter des Kleinkredits wird so mancher Gegenstand des Wohnungsinventars vorausgesetzt, ob man ihn sich leisten kann oder nicht.

Was einem zwar aktienrechtlich, aber nicht vermögenstechnisch gehört, kann man auch nicht verscherbeln. In einer Gesamtsicht gehören Anlagen im Wert von 200 Millionen Franken aus dem öffentlichen Haushalt von Thun unseren Kreditgebern und gar nicht der Stadt, darunter auch die Energie Thun AG. Angesichts ansteigender Zinsen und auslaufender Darlehen an die Stadt bereitet diese Verschuldung nicht nur mir Sorgen.

Gestern Abend von 17:00 bis 18:30 Uhr liessen sich die interessierten Mitglieder des Thuner Stadtrats über das aktuelle Vertragswerk zwischen Stadt Thun und BKW informieren. Der Vertrag liegt dem politischen Geschäft zugrunde, über welches der Stadtrat an unserer Sitzung vom 18. September zu entscheiden hat. Zeit für das Studium der umfangreichen Sitzungsunterlagen blieb dabei nicht.

Zumindest der SP Thun hat dieser erste Eindruck, ihrer gestrigen Medienmitteilung zufolge, gereicht um festzustellen, dass es sich beim neuen Vertrag um eine Regelung handelt, die „miserabel für die Energie Thun AG“ sei. Nachdem der neue Verwaltungsratspräsident der Energie Thun AG, Kurt Bill, diese Regelung als durchaus valable und in etwa gleichwertige Variante zum Status quo bezeichnet, bedeutet die scharfe Kritik der SP nichts anderes, als dass in den Augen der Linken die Unternehmensleitung der Energie Thun AG in den vergangenen neun Monaten gegen die Interessen des Unternehmens miserabel verhandelt hat.

Mit diesem vorgefassten Urteil desavouiert die SP Thun in erster Linie die Unternehmensleitung der Energie Thun AG und in zweiter Linie die intensive und konstruktive gemeinsame Verhandlungsarbeit von Energie Thun AG, Stadt Thun und BKW. Das Urteil ist Ausfluss bornierter Parteidogmatik und wird weder der Entwicklung der vergangenen neun Monate, der Situation der Energie Thun AG noch der Finanzlage der Stadt Thun gerecht.

Montag, 1. September 2008

HPV-Nachholimpfungen fallen im Kanton Bern aus

Gemäss einem Factsheet des Bundesamts für Gesundheit gibt es mehr als hundert humane Papillomaviren (HPV), welche die Haut oder genitale Schleimhaut befallen. Sie werden sehr leicht durch Geschlechtsverkehr, einfachen Hautkontakt oder Berührung infizierter Schleimhäute übertragen. Bestimmte Papillomaviren rufen Warzen hervor, andere wiederum Krebsvorstufen oder tatsächliche bösartige Veränderungen, insbesondere am Gebärmutterhals aber auch an anderen Orten im Genitalbereich. Dank sehr wirksamer und sicherer Impfstoffe besteht die Möglichkeit eines Impfschutzes gegen die Viren HPV 16 und 18, die mehr als 70% aller Gebärmutterhalskrebserkrankungen verursachen, sowie gegen die Viren HPV 6 und 11, die für über 90% aller Genitalwarzen verantwortlich sind.

Die Eidgenössische Kommission für Impffragen hat im Mai 2007 umfassende Empfehlungen zur HPV-Impfung veröffentlicht. Die wichtigsten Punkte dieser Empfehlungen sind:

  • Alle Mädchen im Alter von 11-14 Jahren (vor dem 15. Geburtstag) sollten geimpft werden.
  • Während der nächsten fünf Jahre, also bis zum Jahr 2012, sollten auch junge Frauen im Alter von 15-19 Jahren geimpft werden (so genannte „Nachholimpfungen“).
  • Bei Frauen über 19 Jahre muss individuell beurteilt werden, ob eine Impfung sinnvoll ist. Zugelassen ist die Impfung für Frauen bis 26 Jahre.

Das Eidgenössische Departement des Innern hat am 21. November 2007 beschlossen, dass ab 1. Januar 2008 die Kosten für die Impfung gegen humane Papillomaviren von der Krankenversicherung übernommen werden, sofern diese im Rahmen von kantonalen Impfprogrammen durchgeführt wird. Somit sind die generelle Impfung der Mädchen im Alter von 11 bis 14 Jahren und die Nachholimpfung der jungen Frauen im Alter von 15 bis 19 Jahren (nur bis zum 31. Dezember 2012) krankenkassenpflichtig.

Die Plenarversammlung der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) hat am 22. November 2007 beschlossen, eine einheitliche Vertragslösung über den Preis der HPV-Impfung auszuhandeln. Am 10. April 2008 hat die GDK den Tarifvertrag zwischen GDK und santésuisse sowie den Vertrag zwischen GDK und dem Impfstofflieferanten Sanofi Pasteur MDS AG genehmigt. Vom 1. Januar 2008 bis 30. Juni 2009 beträgt die im Tarifvertrag festgehaltene Netto-Impfpauschale CHF 159.- (inkl. MWSt) pro Impfung. Der vereinbarte Impfstoffpreis beträgt CHF 140.- (+ 2,4% MWSt). Der Tarifvertrag wurde am 18. Juni 2008 auch vom Bundesrat genehmigt.

Die Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern ist dem Tarifvertrag beigetreten und hat den Liefervertrag mit Sanofi Pasteur MDS AG unterschrieben. Während des Schuljahrs 2008/2009 werden alle Mädchen der 4. bis 9. Volksschulklasse Informationen über die HPV-Impfung, das Impfprogramm und das konkrete Vorgehen im Kanton Bern für ihre Eltern erhalten. Allenfalls wird die Schule in Zusammenarbeit mit dem schulärztlichen Dienst eine öffentliche Sonder-Impfaktion für die HPV-Impfung (für alle 3 Impfungen) der Mädchen der 7. bis 9. Klassen organisieren. Da nicht überall Schulärzte zur Verfügung stehen oder Reihenimpfungen durchgeführt werden, können sich auch Praxisärzte für die Impfprogramme anmelden und den Impfstoff kostenlos beziehen. Dabei dürfen die Hausärzte im Kanton Bern eine Entschädigung von CHF 15.- pro Impfung verrechnen. Zudem müssen sie mindestens 9 Dosen des Impfstoffs bestellen. Falls die Dosen bis zum 30. Juni 2009 nicht gebraucht werden, muss der Arzt sie selber bezahlen.

Diese Ansätze sind nach Ansicht der Schweiz. Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SGAM) ein Skandal, weil sie nicht einmal die eigenen Unkosten decken. Denn eine HPV-Impfung ist weit zeitaufwändiger als von den Kantonen vorgesehen. Sie braucht vorgängig eine ausführliche Beratung, welche im Gegensatz zum Impfstoff aber nicht kassenpflichtig ist. Es geht nach Ansicht der SGAM nicht an, ein Impfprogramm auf Kosten der Hausärzte durchzuführen und gleichzeitig die Pharmaindustrie mit einem horrenden Impfstoffpreis zu belohnen. In den USA kostet übrigens die vollständige Impfung mit Gardasil (drei Impfdosen) bloss 360 US-Dollar, in der Schweiz hingegen CHF 710.

Die SGAM empfiehlt deshalb ihren Mitgliedern, unter diesen Bedingungen auf HPV-Impfungen in der eigenen Praxis zu verzichten. Die Nachholimpfung der jungen Frauen im Alter von 15 bis 19 Jahren dürfte damit wohl ins Wasser fallen. Zumindest unser Hausarzt in Thun wird die Impfung unter diesen Rahmenbedingungen nicht anbieten, wofür ich Verständnis aufbringe.

Gebärmutterhalskrebs ist nach dem Brustkrebs die zweithäufigste Krebserkrankung bei Frauen. Täglich sterben in Europa noch 40 Frauen daran. Mir ist unbegreiflich, wie man vor diesem Hintergrund den medizinischen Fortschritt einer kurzsichtigen Tarifregelung am Verwaltungsschreibtisch opfern kann.

Dass es auch anders geht, zeigt der Fall des Kantons Solothurn, wo sich als Verhandlungspartner der Impfstoffhersteller, die Gesellschaft der Ärztinnen und Ärzte des Kantons Solothurn, die Ärztekasse und das kantonale Gesundheitsamt an einen Tisch gesetzt und eine einvernehmlich Regelung getroffen haben, die der solothurnische Regierungsrat voraussichtlich an seiner morgigen Sitzung genehmigen wird.

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass man auch im Kanton Bern noch zur Räson und zu einer pragmatischen Tarifregelung kommt, welche die Rolle der Praxisärzte nicht einfach ausblendet.

Sonntag, 31. August 2008

Thuner Strom: Rhapsodie in grau

Die neuen Stromprodukte der Energie Thun AG sind da und werden ab 1. Januar 2009 im Versorgungsgebiet des Unternehmens geliefert. Es sind dies

  • „Graustrom“
  • „Blaustrom“
  • Thuner AAREstrom
  • Thuner Solarstrom
„Graustrom“ definiert das Unternehmen als Strom aus nicht erneuerbaren Energien (Kernkraft, fossile Energieträger) oder unbekannter Herkunft. „Blaustrom“ ist zu 97.5% Elektrizität aus Wasserkraft und zu 2.5% aus so genannten neuen erneuerbaren Energien. „AAREstrom“ produziert die Energie Thun AG selbst in ihrem Laufkraftwerk an der Aare in Thun. Wer sich als Kunde nicht wehrt, wird ab Neujahr automatisch mit „Blaustrom“ beliefert, der 1 Rappen pro Kilowattstunde teurer ist als „Graustrom“. Soweit das Produktmanagement der Energie Thun AG.

„Graustrom“ weckt Assoziationen. An „Grauzone“: Weder gut noch schlecht, zumindest noch nicht nachweislich schlecht – sonst dürfte man’s ja nicht verkaufen; undefinierbar. An „graue Energie“: Verdeckter Energieaufwand. An „grau“ wie schmutzig. An „Grauen“: Da ist Atom drin, mir graut davor… Ebenso weckt „Blaustrom“ Assoziationen. „Blau“ wie der Thunersee und die saubere Aare. An der schönen blauen Donau. „Blau“ wie der Blaue Planet: Inbegriff für unsere Existenzgrundlage. Soweit das Produktmarketing der Energie Thun AG.

Nun zu den Realitäten. Rund 46% des von der Energie Thun AG gelieferten Stroms stammt aus Kernkraft. Rund 6% des Stroms stammt aus nicht überprüfbaren Quellen. Das heisst, dass etwa die Hälfte des in Thun verbrauchten Stroms „Graustrom“ ist. Der Rest stammt aus Wasserkraft (38%) und Abfällen (9%). Solarstrom und fossil erzeugter Strom existieren bisher faktisch nur in den Unternehmensbroschüren, nicht aber im Leitungsnetz.

Mit Ausnahme von „Graustrom“ bezeichnet die Energie Thun AG ihre anderen drei Produkte völlig willkürlich als „CO2-frei“. In umfangreichen Lebenszyklusanalysen von Stromproduktionsanlagen sind aber folgende Emissionswerte für Treibhausgase in Gramm-Äquivalenten CO2/kWh erhoben worden [Frans H. Koch, Hydropower – Internalised Costs and Externalised Benefits, in Externalities and Energy Policy: The Life Cycle Analysis Approach, Workshop Proceedings, Paris, 15.-16. November 2001, OECD/NEA]:
Technologieg/kWh
Wasserkraft2 - 48
Kernkraft2 - 59
Windkraft7 - 124
Photovoltaik13 - 731
Erdgas (GUD)389 - 511
Kohle (modern)790 - 1‘182

Das heisst für alle praktischen Belange und über die ganze Lebensdauer eines entsprechenden Elektrizitätswerks gesehen (und im Falle der Kernkraft über den ganzen Kernbrennstoffkreislauf von der Mine bis zum Endlager) sind Wasserkraft und Kernkraft bezüglich Treibhausgasemissionen pro erzeugter Kilowattstunde vergleichbar – und wesentlich emissionsärmer als Windturbinen und Photovoltaikanlagen. Nimmt man andere Schadstoffemissionen hinzu wie etwa SO2, NOx, flüchtige organische Verbindungen neben Methan, oder Partikelstoffe, dann akzentuiert sich das Bild von der vergleichbar sauberen Wasser- und Kernkraft noch, und die anderen Technologien fallen klar ab.

Das Marketing der Energie Thun AG setzt auf die Suggestivkraft der Farben und ein zweifelhaftes Label, um zweit-, dritt- und viertrangige Stromprodukte hochzuspielen. Ich lasse mir den ebenso sauberen Atomstrom nicht „vergrauen“ und werde aus Überzeugung „Graustrom“ bestellen.

Misstöne im Leidgesang der Energie Thun AG

Auch gekleidet in die Ankündigung neuer, bunter Stromprodukte ab Januar 2009 liess sich die Hiobsbotschaft der Energie Thun AG vom 27. August 2008 nicht wirksam verhüllen: Der Strom in Thun wird teurer und zwar massiv. Auf den Zeitpunkt der Marktöffnung für Grossverbraucher am 1. Januar 2009 verteuert das Unternehmen seine Stromlieferungen an Privathaushalte um rund 20%, für kleinere Haushalte sogar um deutlich mehr.

In der Medienberichterstattung über die Hintergründe dieses Preisschubs fehlte der Hinweis auf höhere Steuern und Abgaben – auch an die Stadt Thun – nirgends. „Der Bund“ vom 28. August führte höhere Abgaben an die Stadt unter den Hauptgründen für die Preiserhöhung an, noch vor den gestiegenen Kosten für die Beschaffung. Auch das Thuner Tagblatt vom 28. August und Radio DRS im Regionaljournal BE FR VS vom 27. August begründeten eine Mehrbelastung der Energie Thun AG mit höheren Abgaben an die Stadt Thun.

Die für die Thuner Haushalte schmerzhafte Teuerung mag verschiedene Gründe haben, von denen die höheren Stromeinkaufspreise bei der BKW ab 1. Oktober 2008 mit Sicherheit der gewichtigste sind. Ebenso sicher lässt sich sagen, dass im Zuge dieser Preisanpassung jeder erklärende Hinweis auf höhere Abgaben und Steuern an die Stadt Thun absolut haltlos ist.
Wohl haben wir im Thuner Stadtrat an der Sitzung vom 5. Juni 2008 eine Änderung der Versorgungsvereinbarung mit der Energie Thun AG beschlossen, und zwar auf Antrag des Unternehmens. Der beschlossene Systemwechsel zum Bruttoprinzip besteht darin, dass die bisherige Mischung von fixen und umsatzabhängigen Barzahlungen sowie Gratislieferungen von Energie und Wasser der Energie Thun AG an die Stadt abgelöst wird durch einen genau definierten Globalbeitrag der Energie Thun AG an Stadt einerseits und die marktmässige Bezahlungen aller erbrachten Lieferungen und Leistungen durch die Stadt andererseits. Die überarbeitete Vereinbarung hat insgesamt weder für die Stadt Thun noch für die Energie Thun AG eine Mehrbelastung zur Folge.

Der Stadtrat würdigte diesen Änderungsantrag als Möglichkeit, dem Unternehmen Energie Thun AG im künftigen Wettbewerb zu mehr Flexibilität zu verhelfen, indem beispielsweise bei Offerten für Grossabnehmer künftig nicht mehr die bisherige 2%ige Umsatzabgabe an die Stadt einfliessen muss.

So gesehen ist mir unerklärlich, wie die Unternehmensleitung an der Medienorientierung vom 27. August die oben erwähnte Falschdarstellung in Radio- und Zeitungsberichten ausgelöst hat. Zumindest lenkt sie vom Umstand ab, dass es mit der viel beschworenen traditionellen Unabhängigkeit des Unternehmens nicht weit her ist. Bei einem Eigenversorgungsgrad mit Strom von lediglich 20% und gar von Null beim Erdgas schlagen höhere Einkaufspreise zwangsläufig direkt auf die Endkonsumenten durch. „Wir könnten die höheren Kosten sonst nicht tragen“, klagte Michael Gruber, Direktor der Energie Thun AG, denn auch gegenüber der Thuner Tagblatt sein Leid.

Auch wenn die angekündigte Preiserhöhung ansonsten in keinem Zusammenhang mit dem politischen Geschäft eines möglichen Teilverkaufs der Energie Thun AG an die BWK steht, so unterstreicht sie doch die Bedeutung strategischer Partnerschaften in der Beschaffung von Strom und Gas und in der Senkung von Betriebs- und Unterhaltskosten. Am 5. September werden wir mehr wissen über die Perspektive einer solchen engeren Zusammenarbeit mit der BKW.

Dienstag, 26. August 2008

Wenn die Lust zum Frust wird …

Meine Lust am Lesen ist ungebrochen, obwohl auch sie zuweilen zum Frust wird. So geschehen bei der Lektüre der jüngsten Ausgabe von „thun!dasmagazin“, Nr. 4 / August 2008, dem Thuner Stadtmagazin und Gemeinschaftswerk von Stadtmarketing Thun, Innenstadt-Genossenschaft Thun, Thun Tourismus, Thun Expo und Parkhaus Thun AG. Das bunt aufgemachte Magazin, das sechsmal pro Jahr in sämtlichen Haushalten im Amt Thun und zusätzlich in Geschäften, Hotels der Thuner Innenstadt und der Kaserne Thun landet, versucht seit seiner Lancierung die Gratwanderung zwischen sachlicher Information und kommerzieller Werbung.

In dieser neuesten Ausgabe wirbt unter dem Rubriktitel „Gesundheit“ der Thuner Arzt Dr. med. Max Brönnimann für medizinische Abhilfe im Fall, dass der Mann ihn nicht mehr hoch kriegt, d.h. bei erektiler Dysfunktion. In einem gestellten Interview mit der Firma Vitarena AG mit Postfachadresse in Thun, aber ohne Handelsregistereintrag, führt Brönnimann aus: „Der erste Schritt liegt also beim betroffenen Mann, der sich nicht scheuen sollte, zu mir als Arzt zu kommen. Die nötige Diskretion ist ihm hier sicher. Es freut mich immer auch, wenn sich betroffene Frauen melden, wenn das ihr Mann nicht übers Herz bringt.“

Ein Blick auf die Website von Dr. Brönnimann, die sich nicht unbescheiden www.hausarzt-thun.ch nennt, lässt vermuten, dass Patienten bei ihm tatsächlich in guten Händen sind, wenn seine medizinischen Künste nur halb so weit reichen wie sein Flair für Marketing. Wie er seine Promotionsoffensive insgesamt mit der Standesordnung der FMH in Einklang bringt, wird er wohl wissen.

Werbung als solche zu kennzeichnen, betrachte ich noch immer als gute verlegerische Praxis. Immerhin sind andere Beiträge im Thuner Magazin ja auch klar ersichtlich als bezahlte Publireportagen ausgezeichnet. Denn: „Eine offene Kommunikation schafft Klarheit, Verständnis und gegenseitiges Vertrauen.“ Schreibt die ominöse Vitarena AG in der Randspalte des hier kritisierten Werbetextes.

Wadenbiss durch Pinguin

Der Steffisburger Präsident des Vereins „Wilhelm Tux“, Kampagne für Freie Software, Theo Schmidt, nimmt aktuelle Betriebsstörungen im Thuner Schulnetz zum Anlass für einen Leserbrief im Thuner Tagblatt vom 21. August 2008. Darin schreibt er: „Unser Verein […] durfte damals dem Stadtrat und der Projektleitung darstellen, wie mit Freier Open-Source-Software (FOSS) kostengünstigere und zuverlässigere Lösungen möglich wären, sei es mit Linux- statt Windows-Servern oder mit einzelnen Programmen wie beispielsweise Open Office statt Microsoft Office. Trotzdem wurde dies abgelehnt.“

Schmidt nimmt damit Bezug auf einen Kreditbeschluss des Thuner Stadtrats von 2005 für den Ausbau der IT-Infrastruktur an den Thuner Volksschulen. Und was in seinem Leserbrief nach Einladung an seinen Verein zur Präsentation von Lösungsvarianten auf der Basis von Freier Software im Stadtrat klingt, waren in Wirklichkeit seine spontanen Lobbying-Aktivitäten bei den einzelnen Ratsmitgliedern, was tatsächlich nicht verboten ist.

Unter dem Titel „Facts“ schreibt Wilhelm Tux auf der Website des Vereins: „Kaum ein Thema in der Informationstechnologie birgt ein derart reichhaltiges Angebot an Für und Wider, an heissblütigen, manchmal auch ideologischen Manifesten zugunsten und zu Ungunsten Freier Software. Befürworter und Gegner werfen sich gegenseitig Teil- und Unwahrheiten an den Kopf, sodass die Frage berechtigt ist, welcher Anteil an Fakten in der Diskussion übrigbleibt.“ Ganz im Sinne dieser Frage nimmt es Schmidt mit der Wahrheit selbst nicht allzu genau, wenn er schreibt: „Die Genfer Schulen möchten allein durch Open Office statt MS Office 300‘000 Franken pro Jahr sparen und gleichzeitig moderne Standardformate unterstützen, was MS Office noch nicht kann.“ Tatsache ist, dass die aktuelle Version 2007 von Microsoft Office mit OOXML, PDF, XPS und ODF alle gängigen modernen Dateiformate schreiben kann – entweder out-of-the-box oder mittels kostenloser Plug-ins. Ob Schmidt neben PDF und ODF ein anderes Format als „Standard“ gelten lässt, bleibt offen. Zumindest hat seine Bewegung für Freie Software unter Federführung der Free Software Foundation die ISO-Standardisierung von OOXML, dem natürlichen Dateiformat von MS Office 2007, weltweit sehr aktiv bekämpft.

Wo in der Ideologie von Wilhelm Tux der Frosch die Locken hat, zeigt das Manifest des Vereins in der Rubrik „Freier Wettbewerb und Ordnungspolitik“: „Gegenwärtig wird der Software-Markt von einem Hersteller in monopolartiger Weise dominiert. Andere Anbieter werden durch eine äusserst aggressive Marktpolitik dieses Herstellers verdrängt, andere Technologien gelangen somit nicht bis zu den Anwendern/Anwenderinnen.“ Ob damit wohl IBM, SAP, Oracle, SAS, CA – oder doch Microsoft – gemeint ist? Wie auch immer, entweder hat man bei Wilhelm Tux ein sehr enges Verständnis des Software-Markts oder schiesst aus anderen Gründen ganz gezielt auf die Firma Microsoft.

Die öffentliche Intervention von Theo Schmidt suggeriert zu Unrecht, auf der Basis einer bestimmten IT-Technologie liessen sich Betriebsstörungen vermeiden. Wer’s glaubt, wird selig. Oder nach Joh 20,29: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“

Freitag, 22. August 2008

25 kleine Negerlein rocken in Thun

Der Thuner Gemeinderat hat in verschiedenen Anläufen aus unterschiedlichen Richtungen versucht, den bekannten Auswüchsen des Nachtlebens in der Altstadt – insbesondere Nachtruhestörungen und Vandalismus – und anderen unerwünschten Entwicklungen in der Innenstadt Herr zu werden. Eine geplante Zonenplanänderung gegen die Ausbreitung des Rotlichtmilieus ist am Veto des Kantons gescheitert. Der Versuch zu einer generellen Überzeitbeschränkung hatte zwar den Segen des kantonalen Wirtschaftsamts, beco, im Spielraum des Gastgewerbegesetzes, scheiterte aber am Veto des Regierungsstatthalters Niedersimmental.

Der an der gestrigen Stadtratssitzung vorgelegte Neuanlauf hatte schon eine öffentliche Mitwirkung hinter sich, in dem nur eine einzige Stellungnahme eingegangen war. Die Vorprüfung durch das kantonale Amt für Gemeinden und Raumordnung war positiv ausgefallen, und während der öffentlichen Planauflage anfangs Jahr war die Vorlage kaum bestritten. Die von Seiten Stadtrat gestern so laut vorgebrachte Kritik an der Vorlage kam für den Gemeinderat wohl relativ spät und unerwartet. Deshalb fragte ich mich, einmal abgesehen von der Detailargumentation und der Frage ihrer Stichhaltigkeit, wie gross ehrlicherweise die Chancen sind, dass der Stadtrat in absehbarer Zeit einen wirklich befriedigenden Alternativvorschlag auf dem Tisch haben wird, falls er den Vorschlag zur Plafonierung als unbefriedigend taxierte und zurückwies. Nach der langen Vorgeschichte gab ich mich diesbezüglich keinen Illusionen mehr hin.

Ich unterstützte die Zielsetzung der vorgeschlagenen Baureglementsänderung voll und ganz. Anstoss nahm ich einzig an der vorgesehenen Plafonierung der Anzahl Betriebe mit Überzeitbewilligung auf den Altstadtgebieten auf die willkürliche Anzahl von 25. Das ist zwar ein sehr einfacher und nachvollziehbarer Mechanismus, aber vielleicht eben ein zu einfacher. Sicher bekämpfte er das Übel nicht an der Quelle, sondern nur sehr indirekt.

Der Regierungsstatthalter Baur des Niedersimmentals hatte seinen abschlägigen Entscheid zum Thuner Antrag für eine generelle Überzeitbeschränkung zuvor damit begründet, die Massnahme sei zu pauschal. Die Stadt Thun und Polizei müssten diejenigen Betriebe ermitteln, die zu Klagen Anlass gäben, und für diese spezifischere Massnahmen entwickeln. Der gestern vorlegte Ansatz war wiederum absolut pauschal. Der Stadtratsbeschluss dazu hätte dem fakultativen Referendum unterlegen. Ausserdem gibt es, neben betroffenen Gastgewerbebetrieben, eine Bewegung von mehrheitlich jungen Leuten in Thun, die gerne eine Perspektive hätten für ein neues Ausgangsangebot als Selve-Ersatz – aus meiner Sicht zu Recht. Diese Perspektive fehlt heute, für diese Nachtschwärmer wäre eine Plafonierung ein weiterer Sargnagel für ihr Freizeitprogramm, und die Unterschriftensammlung für ein Referendum würde im Spätsommer sicher besser klappen als zur Weihnachtszeit.

Einen weiteren reglementarischen Misserfolg der Stadt in der nächtlichen Beruhigung der Innenstadt sähe ich nur sehr ungern.

Deshalb liess ich mich von den im Rat vorgebrachten Argumenten überzeugen, dass eine Rückweisung des Geschäfts das kleinere Übel bedeutete und dass wir eine differenziertere Lösung suchen müssen, welche direkter an der Störungsquelle ansetzt. Ich empfahl deshalb meinen Fraktionskollegen das Geschäft zur Rückweisung.

Der zuständige Gemeinderat Peter Siegenthaler zog schliesslich das Geschäft angesichts drohender Rückweisung aus freien Stücken zurück.

Tausendjähriges Juwel und Kraftort

An bester Lage gegenüber Schadaupark und Scherzligkirche in Thun will die Bieler Firma Espace Real Estate AG als privater Investor Wohnungen gehobenen Standards erstellen. Das entsprechende Baubewilligungsgesuch ist eingereicht, die Einsprachefrist läuft in den nächsten Tagen ab. An Einsprachen gegen das Bauvorhaben wird es nicht mangeln, und darüber hinaus formiert sich leider breiterer Widerstand gegen das Projekt aus Einwohnerkreisen, die nicht direkt einspracheberechtigt sind.

Anstoss genommen wird hauptsächlich an der vorgesehenen Bauhöhe der drei Wohneinheiten gegenüber der Scherzligkirche, die viergeschossig ausgelegt sind und in erdrückender Nähe zur Kirche das Ortsbild einschneidend verändern werden.

Das Bauprojekt stützt sich auf das Baureglement und den Zonenplan der Stadt Thun von 2002, den wir Stadträte und Stadträtinnen an der Sitzung vom 14. März 2002 zu Handen der Volksabstimmung vom 2. Juni 2002 verabschiedet und so mitzuverantworten haben. Die darin für die Schadau vorgesehene Zone mit Planungspflicht sieht als grundsätzliches Nutzungsmass dreigeschossige Bauten vor mit der Möglichkeit zu punktuellen Abweichungen, sofern diese „städtebaulich begründet sind und zu einer erhöhten räumlichen Qualität führen.“

Die Prüfung der Zonenkonformität und Einhaltung der baupolizeilichen Vorschriften ist Sache des laufenden Baubewilligungsverfahrens, auf das wir keinerlei Einfluss nehmen wollen. Bei Einhaltung der relevanten Vorschriften steht dem Investor die Realisierung des Projekts wie vorgesehen zu. Das gebietet sein Anspruch auf Planungssicherheit, die wir hochhalten.

Daneben zeigt uns aber die Anzahl und Vehemenz der ablehnenden öffentlichen Reaktionen quasi „in letzter Minute“, dass eine lokalpolitische Auseinandersetzung mit dem konkreten Bauprojekt und seinen Implikationen für das Ortsbild nicht oder nur ungenügend stattgefunden hat – dies in erster Linie weil es aus einer kantonalen Ausschreibung mit Projektwettbewerb hervorgegangen ist.

Die Frage des Gestaltungsgrundsatzes, inwieweit mit der vorgesehenen Auslegung die spezifischen Qualitäten des Ortes Scherzligen als Standort der Scherzligkirche die nötige Beachtung finden, wurde offenbar von der Jury und der kantonalen Denkmalpflege deutlich anders beantwortet als von breiten Bevölkerungskreisen.

Die Scherzligkirche ist keine Kathedrale und hat in ihrer langen Geschichte nie den Anspruch erhoben, mit umliegenden Gebäuden konkurrieren zu wollen. Der Aufbau einer mächtigen, viergeschossigen Fassadenfront unmittelbar jenseits der Seestrasse würde aber auch in meinem Empfinden eine bedauerliche Entwertung des tausendjährigen Sakralbaus bedeuten, um nicht zu sagen die Entweihung eines noch viel älteren Kult- und späteren Wallfahrtsortes.

Der angezeigte Respekt vor dieser Geschichte und Bedeutung des Orts gebietet für mich eine zurückhaltendere Bauweise. Eine derartige Beeinträchtigung des Ortsbildes wäre auch volkswirtschaftlich-touristisch ein Sündenfall und würde vergangene und zukünftige Bemühungen um die Wertsteigerung und Nutzung des touristisch hervorragenden Ensembles Schadau/ Scherzligkirche zunichte machen.

Die Bauherrschaft hat im Werdegang des Projekts und in der Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege ein hohes Mass an Verantwortungsbewusstsein und Kooperationsbereitschaft bewiesen. Das lässt uns auf ein offenes Ohr für bisher noch zu wenig artikulierte Anliegen der Thunerinnen und Thuner hoffen.

An der gestrigen Stadtratssitzung regte ich deshalb im Rahmen einer Fraktionserklärung beim Gemeinderat an, informell das konstruktive Gespräch zur Bauherrschaft zu suchen, um ihr den Hintergrund der breiten Opposition auszuleuchten und die Möglichkeiten und allfällige Bereitschaft für eine angemessene Reaktion auszuloten.

Donnerstag, 14. August 2008

Klappe auf und zu – So fühlt sich Ihr Baby wohl

Ich suche auf Google nach „Babyfenster“, und Google AdSense beglückt mich zynisch mit der Werbung für den Online-Shop mit allem fürs Neugeborene: „So fühlt sich Ihr Baby wohl!“ – „Wohl kaum“, denke ich konsterniert.

Eine unbekannte Mutter legt am 1. August ihren Säugling ins Babyfenster des Spitals Einsiedeln, und die Schweiz freut sich darüber, dass diese landesweit einzigartige Einrichtung wieder einmal verwendet wurde. Das Spital selbst bewirbt die Babyklappe denn auch entsprechend: „Die Mutter öffnet das Fenster, legt es hinein, schliesst das Fenster wieder und entfernt sich. Im Spital gibt es verzögert Alarm. Krankenschwestern nehmen sich des Kindes an. Es kommt in gute Hände.“

Nun ja, besser aufgehoben ist der Säugling allemal im Spital als das Neugeborene, das am 8. Oktober 2005 von seiner Mutter in einem Einkaufswagen im Coop-„Saagi-Zentrum“ in Steffisburg abgelegt und verlassen wurde. Ich gebe zu, dass diese Not meine Vorstellungskraft übersteigt, die Not, welche eine Mutter oder ein Elternpaar zur Aussetzung ihres neugeborenen Kindes treibt. Und trotzdem gibt es solche Fälle, und hat sie wohl immer gegeben – von Ödipus im alten Griechenland, von Romulus und Remus im alten Rom bis heute.

Bei allen rechtlichen und ethischen Vorbehalten gegen die Institution Babyklappe ist sie doch von vielen denkbaren Alternativen nicht die schlechteste. Zumindest der Gedanke an Abtreibung oder eine Kindheit und Jugend in zerrütteten familiären Verhältnissen eröffnet keine besseren Perspektiven.

Und trotzdem: Der Aussetzung im Babyfenster geht ja wohl in aller Regel eine einsame und nicht ungefährliche Geburt unter misslichen Bedingungen voraus. Diese Erfahrung könnten wir einigen Müttern in Not mit der Möglichkeit zur anonymen Geburt im Spital ersparen, wo die medizinische Betreuung sichergestellt ist. Diese Möglichkeit ist seit Jahren in Frankreich legalisiert, in Österreich straffrei, und in Deutschland machen sich die Spitäler eine Gesetzeslücke zu Nutze, um straffrei zu bleiben.

Einem Bericht des Tagesanzeiger vom 7. August 2008 zufolge kommen in Deutschland jährlich mehrere Hundert Kinder anonym zur Welt. Über 60% der anonym gebärenden Frauen hätten sich aber unmittelbar nach der Geburt dafür entschieden, ihr Kind zu behalten. Von den übrigen Müttern hätten die meisten innerhalb von wenigen Tagen beschlossen, ihre Identität bekannt zu geben, so dass ihre Kinder später erfahren können, von wem sie abstammen. Die Geheimhaltung helfe in erster Linie, die kurzfristige Notlage zu überbrücken.

Das Anliegen der anonymen Geburt ist auch in der Schweiz nicht neu. Bereits im Herbst 2001 reichte EDU-Nationalrat Christian Waber mit Unterstützung von Walter Donzé und Heiner Studer (EVP) eine entsprechende Motion ein, die der Bundesrat ablehnte, die im Parlament schlechte Aufnahme fand und schliesslich 2003 altershalber abgeschrieben wurde. Eine zweite, ähnlich lautende Motion von SP-Nationalrätin Josy Gyr vom Juni 2005 ist im Ratsplenum noch nicht behandelt worden. Nach dem Tod von Frau Gyr hat ihr Parteikollege Andy Tschümperlin den hängigen Vorstoss übernommen.

Der Schwyzer CVP-Nationalrat Reto Wehrli hat nun angekündigt, er wolle das Thema im Herbst mit einem eigenen Vorstoss neu aufnehmen. Das scheint mir durchaus lohnenswert zu sein.

Dienstag, 12. August 2008

Misstrauen in den Genen

Jsabel Jaberg-Stern, kaufmännische Angestellte, wirbt mit dem Slogan für ihre Partei, die FDP: „Toleranz ist in meinen Genen. Misstrauen gegenüber dem Staat aber auch.“ Meint Frau Jaberg den Staat freisinnigen Zuschnitts von 1848, der „auch heute noch das politische Geschehen in unserem Land bestimmt?“ Die Heimat, die uns am Herzen liegt, sei also freisinnigen Ursprungs. Das wäre ja dann, wie wenn man den eigenen Wurzeln misstraute.

Auf diese Fahrt in die Zukunft mit dem Blick fest im Rückspiegel verhaftet spielte ich an, als ich unlängst behauptete: „Bei der FDP blickt man mit einem Auge zurück auf die staatstragende Rolle des Freisinns während und nach der Gründung unseres Bundesstaates.“

Heute und hier geht es mir mehr um das Misstrauen den staatlichen Institutionen gegenüber. Offenbar trägt man sich nämlich bei der FDP Thun mit einer politischen Initiative zur Einführung einer Amtszeitbeschränkung für Mitglieder des Gemeinderats, unserer Exekutive. Die Begründung für dieses Ansinnen kenne ich noch nicht, aber entsprechende Medienanfragen sind trotzdem schon da, die sich nach meiner Haltung in dieser Frage erkundigen.

Geht man bei der FDP davon aus, es liege in der menschlichen Natur, dass Einsatzwille und Durchsetzungskraft in einem Exekutivamt allgemein nach zwei bis drei Legislaturen erlahme und sich deshalb eine personelle Erneuerung aufdränge, um untätige Sesselkleber zu vermeiden? Dann müsste man konsequenterweise im Management der Privatwirtschaft mit derselben Elle messen, denn auch dort gibt es zuhauf exponierte und aufreibende Stellen.

Oder zielt der Vorstoss konkret auf heutige Mitglieder der Thuner Stadtregierung, die man anlässlich der nächsten Wahlen 2010 aus dem Rennen nehmen möchte? Zu einer eigentlichen Lex Haller biete ich nicht Hand. Wer findet, BDP-Gemeinderätin und Vize-Stadtpräsidentin Ursula Haller solle ihren Kommandoposten räumen, kämpfe bitte mit offenem Visier und nenne Personen und Dinge beim Namen.

Jedenfalls spricht einiges dafür, auf eine Amtszeitbegrenzung zu verzichten, die es ja nota bene für die Verwaltungsspitzen auch nicht gibt. Wer sich eine Stadtregierung wünscht, die nicht am Gängelband der Verwaltung hängt, sondern ihre Führungsfunktion kompetent wahrnimmt, muss auch die Komplexität der Aufgabenstellung anerkennen. Die Lernkurve nach erfolgter Wahl hat einen grossen Radius, und das Rennen sollte nicht bereits abgewinkt werden, bevor der Amtsträger und die Amtsträgerin die Strecke richtig kennen.

Wenn das Misstrauen bei der FDP Thun gegenüber Exekutivmitgliedern tiefer gründet, die fest im Sattel sitzen, dann stellt sich die Frage, weshalb solche Regierungsämter aus freisinniger Sicht überhaupt erstrebenswert sind – womit wir wieder bei der Aussage von Jsabel Jaberg und dem Misstrauen in ihren Genen wären.

Montag, 11. August 2008

Taxi-Krieg

Mein Taxifahrer in Thun stammt aus dem Orient. Nennen wir ihn hier Mustafa, denn auch er hat Anspruch auf Wahrung seiner Privatsphäre. Wo Mustafa herkommt, herrschen noch immer kriegsähnliche Zustände. Und hinein geraten ist er nun in den Kampf unter den Thuner Taxihaltern und -fahrern, in einen Kampf ums wirtschaftliche Überleben.

Nach seiner Einreise in die Schweiz erlernte Mustafa in kurzer Zeit unsere Sprache, die er heute fliessend spricht, auch Mundart. Er scheint eine Begabung zu haben für Sprachen, jedenfalls begann er schon früh, so neben her Arabisch- und Deutschkurse für die jeweils andere Sprachgruppe anzubieten. Als eigentliche Existenzsicherung aber fuhr er Taxi. Die überlangen Arbeitstage und unregelmässigen Arbeitszeiten fingen an, ihn zu stören, nachdem er eine Familie gegründet hatte und das erste Kind da war. Mustafa machte sich selbständig und nutze eine gute Kaufgelegenheit zum Erwerb des gepflegten Occasions-Mercedes, den er heute fährt – sehr vorsichtig, denn ein Ersatz läge finanziell nicht drin.

Wie Mustafa einkommensmässig dasteht, weiss ich nicht. Jedenfalls beklagt er sich nicht, ist stets freundlich, gut gelaunt und prompt da, wenn ich ihn auf seiner Mobilnummer anrufe, was nicht sehr häufig vorkommt. Von Kleinkrieg mit seinen Mitkonkurrenten lässt er sich nichts anmerken.

Dieser scheint aber Realität zu sein. Das Thuner Tagblatt brachte bereits im Juni 2008 einen Szenenbericht, in dem von Wildwest-artigen Zuständen die Rede war, von gegenseitigen Beschimpfungen und Tätlichkeiten im Gerangel um spärliche Kundschaft. Hauptsächlich wurden von Insidern aber illegale Praktiken angeprangert: Unterschlagung von AHV-Beiträgen der Arbeitnehmer, Umgehung der MWST-Pflicht, Nichteinhalten der gesetzlichen Ruhezeiten, Fahren in angetrunkenem Zustand.

Einem aktuelleren Bericht des Thuner Tagblatts vom 9. August 2008 zufolge will der Thuner Gemeinderat und Sicherheitsvorsteher Peter Siegenthaler (SP) diesen Missständen nun mit einer Verschärfung des städtischen Taxireglements begegnen. Neuanträge für Taxi-Lizenzen sollen auch auf ihre Aussichten bezüglich Wirtschaftlichkeit geprüft werden können. Aller Voraussicht nach werde der Gemeinderat „in den nächsten Wochen“ über die Verschärfung des Reglements befinden.

Peter Siegenthaler beklagt in diesem Zusammenhang die „sehr liberale“ kantonale Gesetzgebung, die den städtischen Behörden vielfach die Hände binde. Ähnlich lautet die Analyse seiner Parteikollegin, der Berner Stadträtin Gisela Vollmer, die im Namen der SP/Juso-Fraktion für die Stadt Bern per Motion eine Begrenzung der Anzahl Konzessionen fordert.

Glücklicherweise liegt die Kompetenz zur Verschärfung der städtischen Taxireglemente noch immer bei den jeweiligen Legislativen, den Stadtparlamenten. Ich werde mich im Thuner Stadtrat klar gegen eine Überregulierung und schleichende Einführung von Planwirtschaft aussprechen. Die von Insidern der Taxiszene angesprochenen Missstände sind samt und sonders ungeahndete Verstösse gegen bestehende Gesetzesnormen. Gegen Vollzugsstau hilft eine weiter gehende Verreglementierung aber nicht. Mit der angestrebten Eindämmung des Wettbewerbs sind Peter Siegenthaler und Gisela Vollmer auf dem Holzweg. Mindestens in Thun hat der Gemeinderat bereits alle Mittel in der Hand, um wirksam Abhilfe zu schaffen – bloss anwenden muss er sie selbst.

Samstag, 9. August 2008

Hört ihr die Signale?

Die Kakophonie der SP zum Thema öffentliche Sicherheit höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube an die Akzeptanz ihres viel beworbenen Sicherheitspapiers in den eigenen Reihen. Bei einem Organismus mit Koordinationsstörungen spricht man zuweilen davon, dass die rechte Hand nicht wisse, was die linke tue. Kann man aber bei einer Partei wie der SP, die sich als die Linke schlechthin versteht, überhaupt von einer rechten Hand sprechen, oder muss man hier nicht vielmehr von zwei linken Händen ausgehen?

Da macht doch die Geschäftsleitung der kantonalbernischen SP in einer Medienmitteilung vom 6. August 2008 unverhohlen Werbung für das umstrittene Papier. „20 Minuten“ vom folgenden Tag nimmt die Meldung planmässig auf und schreibt: „Die SP des Kantons Bern begrüsst es, dass die SP Schweiz zum Thema ‚Öffentliche Sicherheit für alle‘ ein Positionspapier verabschiedet hat.“

Dies nachdem sich die Präsidentin der SP des Kantons Bern, Irène Marti, erst tags zuvor in einem grossen „Bund“-Interview in weiten Teilen vom Positionspapier distanziert hat. Das Papier sei nicht klar in der Analyse, kritisiert Marti. „Littering und Betteln gehören nicht in diese Diskussion. Von liegen gebliebenem Abfall geht kein Sicherheitsrisiko aus, und ich kenne keine gewalttätigen Bettler. Auch die im Papier erwähnten Ruhestörungen als Schattenseite der 24-Stunden-Gesellschaft gehören nicht zum Thema. Nächtliche Ruhestörung ist lästig, aber keine Frage der Sicherheit.“ Ob sie damit auf die jüngsten Vorstösse der SP im Thuner Stadtrat anspielt?

Zum Thema Videoüberwachung des öffentlichen Raums, wie vom Positionspapier – für SP-Verhältnisse revolutionär – propagiert, mein Marti: „Ich empfinde die Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen dagegen als Eingriff in meine persönliche Freiheit, sie tangiert mein Demokratieverständnis. Und ich sehe den Nutzen nicht. Ich sehe nur, dass da viel Geld verlocht wird, das man gescheiter für mehr Polizeipräsenz brauchen würde.“

Da hat Frau Marti durchaus Recht. Sie kann aber die Klassenkämpferin in ihr nicht verleugnen: „Wenn wir uns aber im Thema Sicherheit positionieren, dann müssen wir klar betonen, dass die Polizei ein Service public für alle ist. Sie ist nicht nur dazu da, Villen zu bewachen.“

Hat das jemand bestritten? Mit der Betonung von Gemeinplätzen gewinnt man keine Wahlen – auch bei der SP nicht.

Siehe dazu auch: Unsicherheiten mit der Sicherheit bei der SP.

Dienstag, 5. August 2008

Thun den Vogel zeigen

Während über 10 Jahren hat die Familie von Heinz Jordi aus Thun mit viel Herzblut und grossem Zeitaufwand als Untermieter des Ornithologischen Vereins Steffisburg die Schwäbis-Volière betreut. Zahllose Besucher und Passanten haben die faszinierenden Vögel beobachten und sich am bunten Leben in der Anlage freuen können.

Nun hat der Ornithologische Verein den Mietvertrag mit der Stadt Thun aufgekündigt, und Heinz Jordi ist leider anfangs Juli verstorben. Sein Sohn, Wolfgang Jordi, betreut die Volière vorläufig weiter.

Bei der über 90-jährigen Volièrenanlage besteht Sanierungsbedarf. Als Alternative zur Weitervermietung erwägt das Amt für Stadtliegenschaften deshalb die Abgabe im Baurecht. Offenbar hat mindestens ein möglicher Baurechtnehmer sein Interesse bei der Stadt Thun angemeldet, aber nicht Wolfgang Jordi. Neben den laufenden Pflegeaufwänden würden die Baurechtszinsen und Sanierungskosten einen einzelnen Hobby-Ornithologen finanziell überfordern.

Auch die Stadt Thun ist finanziell keineswegs auf Rosen gebettet und sucht nach mehreren Sparrunden aktuell nach Aufgaben, deren sich die Stadt entledigen könnte, um finanziell zusätzlichen Ballast abzuwerfen. Da wird die Versuchung für die Stadtregierung gross sein, von mehreren möglichen Partnern den zahlungskräftigeren bei der Neuvergabe des Vogelbaus zu berücksichtigen.

In meinen Augen müsste es erstes Ziel des Gemeinderats sein, der Stadt Thun die Attraktion Schwäbis-Volière so zu erhalten, dass sich Jung und Alt weiterhin daran freuen können. Die Familie Jordi zumindest hat während Jahren bewiesen, dass sie sich für diese Institution einsetzt, ja aufopfert. Persönlich schätze ich dieses Engagement sehr: Meine Familie hat auch schon zwei uns ans Herz gewachsene Kanarienvögel umständehalber in die grössere Freiheit der Volière und die Obhut von Jordis entlassen dürfen.

Heinz Jordi wird mir in guter Erinnerung bleiben. Die Stadt verdankt ihm und seiner Familie eine bereichernde Attraktion.

Samstag, 2. August 2008

Im Reich der Simme

Was verbindet das Berner Oberland mit Indien? Auch wenn Bollywood offenbar unsere Alpenlandschaft als Kulisse für Filmproduktionen längst entdeckt hat und dem politisch instabileren Kaschmir vorzieht, meine ich nicht den Drehort solcher Streifen.

Ich spreche von der Unantastbarkeit der Kuh, in der hinduistischen Tradition Indiens wie auch in der alpwirtschaftlichen des Oberlands. Nicht bloss im Reich der Simme, zwischen Wimmis und der Lenk, sondern auch in weiteren Teilen des Berner Oberlands geniesst die Kuh einen Stellenwert, der einen mit alpinen Kenntnissen unbelasteten Touristen wohl auf eine Form von Rinderkult schliessen lassen muss.

Eine Wanderung im Naturschutzgebiet des Seebergsees über die Chumigalm und um den Gestelegrat herum hat mir letztes Jahr diese Vorherrschaft der Kuh im bernischen Alpenraum eindrücklich vor Augen geführt. Die weidenden Kühe haben das Terrain dort nach ihrem Gusto terrassiert, die Wanderpfade über weite Strecken in praktisch unbegehbare Furchen verwandelt und manche feuchte Bergwiese in einer Dichte mit tiefen Trittlöchern überzogen, die jeden Wanderer einen Knöchelbruch befürchten lässt. In Verbindung mit reichlich ausgelegten Kuhfladen wird die Bergwanderung so zum unfreiwilligen Ballet, bei dem auch die Nase nicht zu kurz kommt. Aufgrund dieser Routenerfahrung habe ich mir vorgenommen, das Diemtigtal zukünftig zu meiden.

Diese Woche daher zur Abwechslung ein Ausflug ins angrenzende Gurnigelgebiet und dort eine Rundwanderung von der Wasserscheide über Schüpfenflue, Süftenegg und Schwefelbergbad. Hier soll ja ein Regionaler Naturpark Gantrisch entstehen, im „Einklang von Natur, Landwirtschaft und Tourismus“. Als nachhaltig fallen hier vor allem die Einzäunungen der Weiden auf: Im mittleren Abstand von etwa 250 Metern gilt es für den Wanderer, massive Gatter zu entketten und hinter sich wieder zu verschliessen. Zudem finden wir am Fuss des Birehubels entlang das bereits vom Seebergsee her vertraute Bild der vierbeinig ausgetretenen Fusspfade, die unsere gehörnten Freunde bei Regennässe in richtige Schlammlöcher verwandelt haben.

Dann eine Wanderung im Gebiet des Niederhorns, auf der uns eine befreundete Besucherin aus der Topfebene von Ungarn begleitet. Beim Abstieg nach Vorsaas empfängt uns eine Kuhherde und mitten auf dem Wanderweg eine ihr Kalb säugende Mutterkuh. Bei allem Familiensinn beschliessen wir, einen grossen Bogen um das skeptisch dreinblickende Tier, dafür aber wieder Bekanntschaft mit den vertrauten Dungfladen zu machen. Unsere Besucherin findet diesen Abschnitt unverdrossen „very nice“.

Ich gebe zu: Wenn die Rolle der Landwirtschaft im Alpenraum zur Sprache kommt, bekunde ich Mühe mit dem Anspruch unserer Bergbauern auf Entschädigung ihres Aufwands für „Hege und Pflege“ der Bergwelt. Die Alpwirtschaft stellt einen nicht zu übersehenden schwer wiegenden Eingriff in die Natur der Voralpen dar und steht in einem Interessenkonflikt mit den Ansprüchen des Naturschutzes. In diesem Spannungsfeld schlägt mein Herz klar für die unberührte Natur, die ich im Berner Oberland gerne als Reich der Sinne erleben möchte – auch an der Simme.

Freitag, 1. August 2008

Helvetia zum Geburtstag

Mit dem Nationalfeiertag vom 1. August begeben wir uns alljährlich gedanklich zurück an die Wiege der Schweiz, die bekanntermassen auf dem Rütli stand, um dort den neuen Spross im Jahr 1291 aufzunehmen.

Meine frühesten Kindheitserinnerungen an die Nationalfeier sind Bilder aus dem Heimatort Egerkingen, wo der Männerturnverein unterhalb der Dorfkirche im Schein bengalischer Lichter eine menschliche Pyramide baut, um die sich die Zuschauer schemenhaft im Halbkreis scharen. Bilder vom Vater und dem älteren Bruder auf dem finsteren Nachhauseweg, wie sie Schweizerkracher aus dem Liquidationsbestand von Grossvaters Dorfladen zünden, für die es heute wohl einen Waffenschein bräuchte.

Neben dem Pulverdampf, den ich unweigerlich mit dem 1. August assoziiere, haben sich die Tellensage und die Überlieferung vom Rütlischwur und der Vertreibung fremder Vögte bis heute gehalten, ja bilden nachgerade Staatsdoktrin.

Mein Stolz auf die Schweiz und meine Nationalität gründet auf den Errungenschaften unseres Bundesstaates und seiner direkten Demokratie, wie er erst 1848 geschaffen wurde. Es wäre an der Zeit, den noch immer als Geburtsurkunde der Eidgenossenschaft gehandelten Bundesbrief von 1291 im Licht jüngerer historischer Forschung auch offiziell neu einzuordnen. So bezeichnet etwa der Zürcher Geschichtsprofessor Roger Sablonier die traditionelle historische Kulisse zu unserem Nationalfeiertag als schlicht erfunden.

Das soll der Geburtstagsfeier von Helvetia keinen Abbruch tun. Rütlischwur, Tellentat und Volksaufstand gegen die habsburgische Herrschaft haben auch im Kapitel Sagen und Legenden ihren Stellenwert. Zur Begründung des Sonderfalles Schweiz – mechanistisch wie chronologisch – möchte ich sie aber aus unseren Schulbüchern gestrichen haben.

Feiern wir also weiter und seinen wir stolz auf das, was wir in der Schweiz mit dem liberalen, demokratischen Verfassungsstaat des 19. Jahrhunderts erreicht haben.

Donnerstag, 31. Juli 2008

Von Energiestädten und Atomköpfen

Mit Stolz verweist die Stadt Bern auf das Label „Energiestadt“. Verliehen durch eine unabhängige Kommission des Trägervereins Energiestadt soll ihr das Zertifikat eine „konsequente und zukunftsorientierte Energiepolitik“ bescheinigen. Der Prüfungsbericht von 2006 zur Bestätigung des Labels bezeichnet das öffentlichrechtliche Unternehmen Energie Wasser Bern (EWB) als wichtigste Partnerin der Stadt für eine sichere und nachhaltige Energieversorgung.

Neben der aktuellen Frage der zukünftigen Eigentümerstrategie von EWB kommt im Berner Stadtrat eine Motion der Fraktion Grünes Bündnis / Junge Alternative (GB/JA!) zur Beantwortung, die von EWB einen schrittweisen Rückzug aus der Produktion und dem Verkauf von Atomstrom verlangt. Die Motionäre, Natalie Imboden und Urs Frieden, beziehen sich dabei insbesondere auf Artikel 8, Absatz 3, der städtischen Gemeindeordnung, der „umweltbelastende oder umweltgefährdende Energieträger, wie die Atomenergie, durch einheimische und regenerierbare Energie zu ersetzen“ verlangt.

Die Stadt Bern hat via EWB während Jahren sowohl von einer hohen Versorgungssicherheit wie auch von tiefen Stromgestehungskosten profitiert – und profitiert weiterhin. Massgeblichen Anteil an diesem Nutzen hatten und haben eine 7.5%-Beteiligung der EWB am Kernkraftwerk Gösgen und eine 2%-Beteiligung am französischen Kernkraftwerk Fessenheim. Besonders Gösgen hat während seiner bisherigen Laufzeit hervorragend gearbeitet und im Jahr 2007 allein rund 35% der EWB-Stromproduktion beigesteuert, und das wohl zu Produktionskosten von weniger als 5 Rappen pro Kilowattstunde. Aufgrund dieses nahezu CO2-freien Erzeugungsmixes sind die Gestehungskosten von EWB weitestgehend unabhängig von der Gas- und Ölpreisentwicklung. Bestehende Produktionsüberschüsse kann EWB heute zudem relativ teuer weiterverkaufen. Über 75% des EWB-Gewinns stammen aus dem Geschäft mit dem Strom. Daneben fallen die Beiträge der anderen Geschäftssparten Gas, Wasser, KVA/Fernwärme und gewerbliche Leistungen geradezu bescheiden aus.

Ich hoffe für die Bürgerinnen und Bürger im Versorgungsgebiet der EWB, dass sich der Berner Stadtrat der sowohl umwelt- wie versorgungspolitisch hervorragenden Ausgangslage von EWB bewusst wird, bevor er die erwähnte Ausstiegsmotion von GB/JA! behandelt. Dafür würde ich sogar in Kauf nehmen, von Stadträtin Natalie Imboden als „Atomkopf“ bezeichnet zu werden, wie sie ihre FDP-Kollegen in einem „Bund“-Interview vom 16. Juli 2008 vorsorglich tituliert.

Im Thuner Stadtrat fällt in regelmässigen Abständen – zu Recht – der Hinweis, Thun habe in Bezug auf das Label „Energiestadt“ einen Umsetzungsrückstand auf andere Schweizer Städte. Sollte sich Bern im Rahmen seiner bestehenden Zertifizierung als „Energiestadt“ die von GB/JA! per Motion geforderte energie-, umwelt- und wirtschaftspolitische Kalberei leisten können, würde ich meine Haltung diesem Label gegenüber revidieren und lieber darauf verzichten.

Mittwoch, 23. Juli 2008

Kohle lebt – und Menschen sterben dafür

In der heutigen Ausgabe des „Bund“ lese ich, dass in einer überfluteten Kohlegrube in der südchinesischen Region Guangxi sechs Bergleute ihr Leben verloren haben und 30 Arbeiter noch immer 2‘000 Meter unter Tag eingeschlossen sind. Allein im vergangenen Jahr kamen gemäss der Agenturmeldung von AP in chinesischen Kohleminen 3‘800 Menschen bei Unfällen zu Tode.

Unser Jahrhundert werde stark auf Kohle aufbauen, bestätigte jüngst der Leiter der EU-Generaldirektion Energie und Verkehr, Matthias Ruete. Während die Förderung heimischer Kohle innerhalb der EU zwischen 1990 und 2005 um die Hälfte zurückgegangen ist, wird die Abhängigkeit der EU von importierter Steinkohle bis 2030 auf über 80% zunehmen, gemäss dem EU-Bericht „European energy and transport: Trends to 2030 – Update 2007“. Zu den weltweit wichtigsten Steinkohle-Exportländern zählen neben Australien auch Indonesien, Russland, Südafrika – und China.

Ins Bewusstsein der Bernerinnen und Berner ist die moderne Kohleverstromung durch ein Kraftwerksprojekt der BKW in Dörpen im niedersächsischen Emsland gerückt. Deutschland, das unter politischem Druck von Rot-Grün den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen und neben AKWs auch einige veraltete Kohlekraftwerke stillzulegen hat, sieht eine Stromversorgungslücke von 12‘000 Megawatt auf sich zukommen. Um diese Lücke zu schliessen, werden allein an der deutschen Nordseeküste zurzeit 13 Kohlekraftwerke geplant oder bereits gebaut.

Während sich die Trägerschaft der bernischen Gruppe Fokus Anti-Atom über die 1‘900 eingereichten Einsprachen gegen die unbefristete Betriebsbewilligung für das Kernkraftwerk Mühleberg freut, müssten auch diese Aktivisten eigentlich zur Kenntnis nehmen, dass sich die zur Grundlast-Stromproduktion geeigneten Energieträger an einer Hand abzählen lassen. Dazu zählt auch die Kohle.

Wer heute den raschen Ausstieg aus der Kernenergie verlangt, nimmt damit, zumindest in Deutschland, eine Renaissance der Kohle in Kauf. Wie lässt sich eine solche Politik angesichts der Tatsache rechtfertigen, dass allein in chinesischen Kohlebergwerken jeden Tag rund 10 Menschen unfallbedingt ums Leben kommen? Ganz zu schweigen von den Heerscharen von Bergleuten, die während ihrer Arbeit schwerstwiegende Berufskrankheiten entwickeln.

Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, weshalb sich die bernische Regierungspräsidentin und Energiedirektorin Barbara Egger trotz ihres Verwaltungsratsmandats bei der BKW demonstrativ gegen das Dörpener Kohlekraftprojekt stellt.

Nur bleibt uns Egger die Antwort schuldig auf die Frage, womit denn die Kernkraft als Bandenergie klimaverträglich substituiert werden soll, in Deutschland wie in der Schweiz. Auch sie verlässt sich darauf, dass der Strom aus der Steckdose kommt, ob der Wind weht oder nicht, ob die Sonne scheint oder nicht.

Dienstag, 22. Juli 2008

Unsicherheiten mit der Sicherheit bei der SP

Die SP Schweiz meldet sich mit einem Positionspapier zur öffentlichen Sicherheit zu Wort, und im Thuner Stadtparlament nimmt die SP diese neuen Thesen zum Anlass, mit einem Strauss von gleich fünf Vorstössen die Themenführerschaft in Sachen öffentliche Sicherheit einzufordern. Begeistert von der unerwarteten Schützenhilfe von links sieht der von Nachtlärm in der Innenstadt geplagte Sheriff mit der spitzen Feder vom Lokalblatt bereits ruhigere Nächte auf sich zukommen.

Was lässt mich daran zweifeln, dass sich die SP mit der Sicherheit so sicher ist? Sind es die Kommentare von SP-Nationalrat Andrea Hämmerle, der das Thesenpapier als „Verletzung sozialdemokratischer Grundsätze“ bezeichnet? Hämmerle meint in einem Interview mit der WOZ: „Im Vokabular und in der Diktion ist das Papier eine Kehrtwende in Richtung mehr Repression. Rechtsstaat und Freiheitsrechte werden ziemlich marginal behandelt. Dieses Papier ist verunglückt. […] Das Papier ist auch nicht das Ergebnis einer fundierten Analyse. Wir stellten uns bisher zu Recht auf den Standpunkt, dass Sicherheit zwar ein wichtiges Thema ist, dass aber Statistiken und Erfahrungen zeigen, dass die Sicherheit in der Schweiz real nicht abgenommen hat.“ NR Hämmerle findet weiter, man sei bei der SP zumindest im Vokabular und zum Teil auch in den geforderten Massnahmen der SVP nachgelaufen. Das Papier nehme herbeigeredete Gefühle auf und schlage Massnahmen vor, die höchst fragwürdig seien und teilweise gegen die eigenen Grundsätze der SP verstiessen. Er glaubt daher nicht, dass das Positionspapier am entscheidenden Parteitag der SP vom 25.-26. Oktober 2008 in Aarau eine Mehrheit finden werde. Ist mit diesem Papier und dem Thema der öffentlichen Sicherheit ein Spaltpilz nun auch in die SP gekrochen?

Zweifel an der Ernsthaftigkeit der SP Thun im Umgang mit dem Thema Sicherheit weckt bei mir nicht zuletzt der Umstand, dass es neben der GFL- vor allem die SP-Fraktion war, die an der Stadtratssitzung vom 2. November 2006 vehement gegen die vorgeschlagene Verschärfung des Thuner Demorechts eintrat. Über ihren gewerkschaftlichen Arm – Unia Sektion Berner Oberland und Gewerkschaftsbund Thun – hat die Thuner Linke erst im März dieses Jahres ihre Beschwerde gegen das damals gegen ihren Willen verabschiedete Ortspolizeireglement nun ans Bundesgericht weitergezogen. Die mit dem Reglement von einer klaren Mehrheit des Thuner Stadtparlaments angestrebte Erhöhung der öffentlichen Sicherheit bei Demonstrationen bleibt damit weiterhin blockiert. Auslöser für die Verschärfung des Thuner Demorechts waren die antifaschistischen Abendspaziergänge in den Jahren 2003 und 2005. Die dabei angerichteten Schäden an öffentlichem und privatem Gut waren real – und im Sinne von NR Hämmerle keineswegs „herbeigeredet“.

Ich freue mich auf die Auseinandersetzung im Thuner Stadtrat mit den angekündigten Vorstössen der SP. Eines ist sicher: Mit plakativen Sprüchen wie „SP will Sicherheit für alle – Nicht nur für Reiche“ lässt sich heute kein Wahlkampf mehr gewinnen. Das hat man offenbar auch in Teilen der SP erkannt.

Sonntag, 20. Juli 2008

Kapitäne, Knoten, Kapriolen

Als Seefahrer liegt es uns Thunern nahe, die Bilder zur Illustration unserer Sprache der Nautik zu entlehnen. So schreibt auch mein Stadtratskollege Matthias Zellweger (FDP) in seiner Kolumne im Thuner Tagblatt vom 19. Juli 2008 von Kapitänen, Seilwerk und Knoten. Angesichts seines aktuellen Engagements zur Verwirklichung des Projekts Goldfisch – Bau und Einsatz des weltweit ersten solarbetriebenen Unterseeboots im Thunersee – verwundert das nicht. Die Zellwegersche Spalte handelt vordergründig von der anstehenden baulichen Entwicklung des Stadtgebiets Rosenau am Hauptbahnhof Thun bis hin zum Hotel am Lachen in Dürrenast. Die kohärente Entwicklung dieses Stadtgebiets ist in der Tat eine vordringliche Aufgabe.

Nicht allzu weit in den Hintergrund seines Artikels legt Matthias aber das Thema der Gemeindewahlen 2010 mit der Frage, wo denn der Kapitän zu finden sei, der solche Projekte planerisch, führungsmässig und kommunikativ in den sicheren Hafen von Thun führen werde. Unverhohlen ist seine Kritik an der heutigen Stadtregierung, der er Führungsschwäche, Verzettelung und mangelndes Engagement attestiert. Welche Rolle er dabei konkret seiner FDP-Fraktionskollegin und Baudirektorin Jolanda Moser zuschreibt, bleibt unausgesprochen.

Die Gemeindewahlen 2010 liegen in einiger Ferne. Dennoch ist die Sorge darüber angebracht, ob insbesondere die FDP heute so aufgestellt ist oder bis dahin sein wird, dass sie das nächste Wahlergebnis wird zu ihren Gunsten beeinflussen oder gar das Stadtpräsidium beanspruchen können. Politisches Kalkül ist eines, Kalkulierbarkeit etwas anderes. Wenn es unserer Thuner FDP in letzter Zeit an etwas gemangelt hat, dann an Kalkulierbarkeit: Verlässlichkeit in der Zusammenarbeit unter politischen und institutionellen Partnern, Einschätzbarkeit unter politischen Kontrahenten, Nachvollziehbarkeit aus Sicht der Bürgerin und des Bürgers.

Was mich das kümmert? Die FDP erhebt programmatischen Anspruch auf dieselben Grundwerte des Liberalismus, die auch meine persönliche politische Ausrichtung stark prägen. Der Freisinn liegt mir naturgemäss nahe. Die CVP in ihrer heutigen Ausprägung und die FDP bildeten eine natürliche Familie, wenn die beiden Parteien einmal von ihren unterschiedlichen Ahnentafeln absehen könnten.

Bei der FDP blickt man nicht ohne Stolz mit einem Auge zurück auf die staatstragende Rolle des Freisinns während und nach der Gründung unseres Bundesstaates, derweil das andere Auge manisch auf die zurzeit schier unaufhaltsam sinkende Erfolgskurve der Partei fixiert ist. Was fehlt ist der Blick nach vorne, eine überfällige und zügige Erneuerung der Partei, eine unvoreingenommene Auswahl von Allianzpartnern und der unverrückbare Wille zur Zusammenarbeit.

Schliesslich, aber dies nicht zuletzt, braucht es Exponenten mit Entschlossenheit zur beharrlichen Detailarbeit im Rahmen des jeweiligen politischen Kontexts – Exponenten, die nicht bloss Thesen in den Raum stellen, sondern ihre Standpunkte glaubwürdig, geradlinig, kalkulierbar und verständlich zu vermitteln vermögen.

Allein mit PR und Kapriolen lässt sich kein Kapitänspatent erlangen. 2010 ahoi!